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Die mitteldeutsche Enteignungsfrage erhebt bald zehn Jahre nach der Wende erneut ihr Haupt. Die Impulse hierfür kommen von draußen, von Brüssel und aus den Staaten:
Ein erstes konkretes Zeichen dafür, daß die Zeiten der ungehinderten Veräußerung des von den Kommunisten konfiszierten Eigentums durch die Bundesregierung zu Ende gehen, war die kürzliche EU-Entscheidung zum Flächenerwerb. Die Sache hat moralische, politische und wirtschaftliche Folgen, welche nun auf den Tisch nicht der Kohl-Administration, sondern der rotgrünen Regierung kommen.
Zunächst ist eine Blamage des Bundesverfassungsgerichts zu konstatieren. Als die EU-Kommission kurz vor Weihnachten das sogenannte "EALG" stoppte (das Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz samt Flächenerwerbsverordnung mit den Vorschriften, welche die Veräußerungsaktionen regulieren), hatten die Alteigner ihren ersten Erfolg gegen die Bundesregierung eingefahren. Vordem hatten sie vergeblich ein solches Ergebnis in Karlsruhe zu erreichen versucht. Der erste Senat wollte damals aber keine einstweilige Verfügung hergeben. Die eigenartige Begründung: der Staat sei auf die Veräußerungserlöse angewiesen. Nun korrigiert Brüssel diesen Senat, weil der Beutehandel in seiner jetzigen Form gegen EG-Recht verstoße.
Eine zweite Blamage steht der Bundesregierung ins Haus. Sie wird im Jahresverlauf in Karlsruhe eine weitere kostenträchtige Niederlage einfangen. Denn beim ersten Karlsruher Senat steht eben jenes EALG zur Revision an, welches kraft des Brüsseler Vetos nun ohne Zweifel wird aufgeschnürt und neu gefaßt werden müssen. Man wird an den Vorgaben des EG-Rechts dort nicht vorbeigehen können, sondern anerkennen müssen, daß nach EG-Recht nur Billigveräußerungen an die bestohlenen Eigentümer keine Beihilfen darstellen, für alle anderen Gruppierungen indessen sehr wohl.
Außerdem kommt das Verfassungsgericht (auch) bei seiner EALG-Entscheidung am Gleichheitssatz der Verfassung (Art. 3) nicht vorbei und nicht daran, die vom Gesetzgeber vorgesehenen Entschädigungs-Almosen kräftig hochzufahren. Nachdem das Verfassungsgericht soeben dem Staatshaushalt wegen eben jenes Gleichheitssatzes (im Familienausgleichsrecht) ein zweistelliges Milliardenloch beschert hat, erhöht die fällige EALG-Revision den Druck auf (Teil-) Restitution und/oder Vermögensabgabe gewaltig Vermögensabgabe bei Hunderttausenden, die Häuser "redlich" aber billigst erwarben und (Teil-)Restitution bei denen, deren Immobilien noch nicht verhökert wurden.
Der Brüsseler Verkaufsstop und die damit verzahnte kommende Verfassungsgerichtsentscheidung vor dem Hintergrund der ideellen und materiellen Wiedergutmachungsforderungen seitens der US-Ostküste 55 Jahre nach Kriegsende geben dem deutschen Staat eine letzte Chance, eine gerechte und dauerhafte Lösung zu finden. Das fast zehnjährige mitteldeutsche Enteignungstheater und die zunehmend wohltuende Rolle des Auslandes darin können auch Lehrstück sein für die Bewältigung vergleichbarer Probleme in Ostdeutschland.
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