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Eine der klangvollsten neuen Adressen in Berlin lautet: In den Ministergärten. Sie bildeten, im übertragenen und unmittelbaren Sinn, bis 1945 die Rückseite der Macht. Der Name verweist zurück in die Zeiten, als sich in der Wilhelmstraße das Regierungszentrum Preußens und des Deutschen Reiches befand. König Friedrich I. hatte 1732 den wohlhabende n Mitgliedern seines Hofstaates befohlen, in der Wilhelmstraße Stadtpalais zu errichten. Zu den Gebäuden auf der westlichen Straßenseite gehörten weitläufige Gärten, die bis an die damalige Stadtgrenze reichten.
Seit Anfang des 19. Jahrhunderts ließen sich preußische Ministerien nieder, so das Außen-, das Handels- und das Justizministerium. Die Westseite der Wilhelmstraße wurde nach 1871 die Reichs-, die Ostseite blieb die preußische Meile. Legendär war das Auswärtige Amt in der Wilhelmstraße 76. In der benachbarten Nummer 77 war ab 1878 Bismarcks Reichskanzleramt untergebracht. 1919 erhielt auch der Reichspräsident seinen Sitz in der Wilhelmstraße, im ehemaligen Königlichen Hausministerium der Hohenzollern. Über die rückwärtigen Ministergärten konnten die Minister und Staatssekretäre zu heimlichen Treffen zusammenfinden. Am 30. Januar 1933 führte Franz von Papen Hitler und die anderen Mitglieder der neuen Regierung durch die verschneiten Anlagen in das Reichspräsidentenpalais, wo Hindenburg ihnen die Ernennungsurkunden überreichte. Ab 1940 entstand unter den Gärten ein Bunkersystem, zu dem auch der sogenannte Führerbunker gehörte, wo Hitler die letzten Wochen seiner Herrschaft vegetierte.
Die Wilhelmstraße sank im Zweiten Weltkrieg unter den alliierten Luftangriffen in Trümmer. Die Ministergärten waren von Kratern der Bomben- und Granateinschläge übersät. Vom üppigen Baumbestand blieb kaum etwas übrig. Hitlers Reichskanzlei wurde 1947 abgetragen, ihr Marmor für ein sowjetisches Ehrenmal und eine U-Bahnstation verwendet. Ministergärten und Wilhelmstraße, die in Otto-Grotewohl-Straße umbenannt wurde, lagen fortan an der Sektorengrenze und ab 1961 im Schatten der Mauer. Das Gartenareal gehörte nun zum Todesstreifen. Die Wilhelmstraße wurde in den 80er Jahren mit öden Plattenbauten bestückt.
"In den Ministergärten" heißt heute eine Sackgasse, die von der Ebert-Straße abzweigt und zu beiden Seiten mit Landesvertretungen bebaut ist. Brandenburg hat mit Mecklenburg-Vorpommern einen gemeinsamen Gebäudekomplex errichtet. Zwei leicht zueinander verschobene, J-förmige Baukörper umfassen eine verglaste Halle, die als Veranstaltungsraum genutzt werden kann. Die mit Muschelkalk verkleideten Rasterfassaden repräsentieren das brandenburg-preußische Element, die hölzernen Teile am Baukörper sollen Bezüge zu Mecklenburg-Vorpommern herstellen. Um das Grundstück ist eine abweisende Betonmauer gezogen worden. Die anderen Vertretungen sind von der Straße her offen zugänglich. Niedersachsen und Schleswig-Holstein haben ebenfalls ein gemeinsames Gebäude, während das Saarland und Rheinland-Pfalz nebeneinander in getrennten Häusern residieren. Vermutlich wollen sie allen Plänen, die auf einen Zusammenschluß hinauslaufen, von vornherein einen Riegel vorschieben.
Die Bauten in den Ministergärten sind wenig originell, sie enthalten genau jenen Anteil an Glas und hellem Beton, wie er für staatliche Institutionen heute üblich ist. Ihre alte, zentrale Bedeutung werden die Wilhelmstraße und die Ministergärten nicht wiedererlangen. Für eine Landesvertretung aber kann die Adresse kaum günstiger sein. Sie liegt auf halbem Wege zwischen Bundestag und Bundesrat, und bis zum Finanzministerium, das im ehemaligen Reichsluftfahrtministerium untergebracht ist, sind es nur ein paar Minuten Fußweg.
Foto: Begehrter Standort: Neubauten prägen die kleine Sackgasse "In den Ministergärten". Wo einst Bismarck und Hindenburg die Geschicke Preußens und Deutschlands lenkten, beherrschen heute wenig originelle Bauten aus Glas und Beton das Straßenbild. Die hessische Landesvertretung (Bild) mit ihren ineinandergeschobenen Betonkuben gehört dabei zu den interessanteren Beispielen moderner Architektur. |
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