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Dschungel der Parteienfinanzierungen freilegen

 
     
 
Demokratische Parteien sind die Voraussetzung eines pluralistischen parlamentarischen Systems in Deutschland, auch wenn mehr plebiszitäre Elemente denkbar und sinnvoll erscheinen. Es dürfte unbestritten sein, daß die Parteien für ihre Funktionsfähigkeit Geld brauchen. Entscheidend ist, wo es herkommt und wie sie damit umgehen.

Einsichtig ist auch, daß die nicht einmal zwei Millionen deutschen Mitglieder in Parteien aus ihren Beiträgen – die ohnehin die Wir-kung einer "Sondersteuer" für politisch Engagierte haben – die erforderlichen finanziellen Mittel nicht aufbringen können. Staatliche Parteienfinanzierung und ein gesetzlich geregeltes Spendenwesen waren daher vernunftgebotene Folgen von "Flick-Affäre" und "Naphtal-Affäre", die Jahrzehnte zurückliegen und einen Dschungel sichtbar machten, in dem sich alle Parteien beim Bemühen um ihre Finanzierung verirrt hatten.

Daß trotz der gezogenen gesetzlichen Konsequenzen Kohl, Kiep und Kanther an zweifelhaften finanziellen Methoden
festhielten, ist der eigentliche Skandal, der obendrein die CDU als Hauptsünder erscheinen läßt und dieser Partei, die sich zugute hielt, "mit Geld gut umgehen zu können", in vielerlei Hinsicht schweren Schaden zugefügt hat.

Die Wurzeln des Dschungels der Parteienfinanzierung liegen ein halbes Jahrhundert zurück im Bundeswahlkampf 1953, als die SPD Gewerkschaftsgelder kas-sierte. Das jedenfalls berichtete Viktor Agartz, eine der schil-lerndsten Figuren der Nach-kriegszeit und der ersten Jahre der Bundesrepublik, marxistischer Klassenkämpfer und Vordenker des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Der promovierte Nationalökonom war 1946 auf Drängen des damaligen SPD-Vorsitzenden Kurt Schumacher Generalsekretär des Wirtschaftsrates der britischen Zone geworden, nachdem er sich nach Kriegsende sofort aktiv beim Wiederaufbau der SPD und der Gewerkschaften beteiligt hatte. 1948 trat Agartz, mittlerweile im Wirtschaftsrat der drei westlichen Besatzungszonen, aus Protest gegen die Währungsreform zurück. Zu den Kommunisten hatte er keinerlei Berührungsängste. Doch 1949 beauftragte ihn DGB-Chef Hans Böckler mit der Leitung des Wirtschaftswissenschaftlichen Instituts (WWI) seiner Organisation. Sein Einfluß war groß, 1954 hielt er beim 3. DGB-Kongreß das Hauptreferat. Doch seine marxistische Sicht stand gegen den Gedanken der Einheitsgewerkschaft. Agartz stürzte, er stand im Verdacht, Sympathisant der Kommunisten zu sein, der sich zum passiven Werkzeug der kommunistischen Agitation machen ließ. Er mußte das WWI verlassen und begann 1956 mit der Herausgabe der "WISO: Korrespondenz für Wirt-schafts- und Sozialwissenschaf-ten", die direkt und indirekt, auch auf dem Weg konspirativer Transaktionen, aus der DDR finanziert wurde. Wegen Rädelsführerschaft in einer verfassungsfeindlichen Vereinigung wurde er verhaftet. SPD und DGB gingen auf Distanz zu dem Kollaborateur im Kalten Krieg. Die Ost-Berliner Humboldt-Universität hingegen verlieh ihm zu seinem 60. Geburtstag die Ehrendoktorwürde. Der Bundesgerichtshof sprach ihn schließlich 1957 aus Mangel an Beweisen frei. Agartz fühlte sich "verraten und verkauft" und ließ unter diesem Titel ein Buch als eine Art Generalabrechnung mit SPD und DGB schreiben, das 1958 erschien, bevor er 1964 einsam und zurückgezogen starb.

In dieser Schrift wird von einer im Bundestagswahlkampf 1953 praktizierten millionenschweren Außenfinanzierung der SPD durch die Gewerkschaften be-richtet. Über die Vorgänge zur Wahlkampffinanzierung ist darin zu lesen: "In dieser Lage verschicken Erich Ollenhauer und Alfred Nau an führende Funktionäre der Gewerkschafts- und Genossenschaftsbewegung Einladungen zu einer Sitzung, auf der die Finanzierung des Bundestagswahlkampfes erörtert werden soll. Davon steht selbstverständlich nichts auf der Einladung. Erich Ollenhauer bittet offiziell zum Abendessen in den ,Kölner Hof‘ zu Köln. Für die Konsumgenossenschaften und Volksfürsorge erscheinen Gustav Dahrendorff und Karl Wiederkehr, für den DGB u. a. Albin Kahl, und für die Bank für Gemeinwirtschaft Friedrich Simon, außerdem Viktor Agartz.

Die SPD braucht mehrere Millionen Mark, wobei es auf zweierlei im ,Kölner Hof‘ ankommt: Die Beträge müssen getarnt und die Entnahmen so verbucht werden, daß die an führender Stelle stehenden CDU-Kollegen von der Transaktion keine Kenntnis erhalten können. Das Unter- nehmen sieht gar nicht neutral aus. Man diskutiert die Möglichkeiten der Finanzierung durch geringe Verzinsung von Gewerkschaftsguthaben bei den Banken, wobei die ausfallende Differenz als Wahlgelder zugunsten der SPD ausgezahlt werden könne. Man überlegt Scheinzahlungen der Industriegewerkschaften an den Solidaritätsfonds; die anweisende Industriegewerkschaft müßte dann den Betrag verbuchen, nicht aber den Empfänger, oder aber Überweisungen an das Wirtschaftswissenschaftliche Institut (WWI), ohne daß die Summen in der Buchhaltung des WWI als Eingänge verarbeitet würden. Bei den Überlegungen ist weiterhin wesentlich, daß als Geldspender die einzelnen Industriegewerkschaften auftreten, nicht aber der DGB selbst, damit der Bundesvorstand immer in der Lage ist, erklären zu können, daß er niemals Wahlgelder für die SPD zur Verfügung gestellt hat ..."

Soweit das Zitat. Agartz beichtet in "Verraten und Verkauft" auch, er habe sich bereit erklärt, die Transaktion in vollem Umfang zu unterstützen; die auf das WWI ausgestellten Barschecks seien in den darauffolgenden Tagen vom Parteivorstand der SPD in seiner Privatwohnung abgeholt worden.

Wer den damals entstandenen Dschungel der Parteispendenpra-xis in Deutschland zur Kenntnis nimmt, darf diese Darstellung nicht übersehen.

Die damaligen bürgerlichen Honoratiorenparteien, die sich nicht auf die Vorteile der klassischen Mitgliederpartei SPD durch Beitragsaufkommen, ein nicht unerhebliches Parteivermögen und die Verbindungen zu den Gewerkschaften stützen konnten, gründeten nach den Erfahrungen des Jahres 1953 als Reflex auf die Außenfinanzierung der SPD die sagenumwobene "Staatsbürgerliche Vereinigung von 1954 e.V." als Geldsammelstelle mit Anonymität und Steuervorteilen. Deren Spuren führen noch nach einem halben Jahrhundert zu den gegenwärtigen Diskussionen, die um unserer Demokratie willen endlich zu Wahrheit und Klarheit in der Parteienfinanzierung führen müssen.

 
     
     
 
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