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Dunkle Wolken im Osten

 
     
 
Schmuckstück: Sonnenorgel Rund eine Million Menschen haben seit 1989 Mitteldeutschland gen Westen verlassen. Den Statistiken zufolge konnte nur Brandenburg eine wachsende Bevölkerung verbuchen, was jedoch in erster Linie auf die Abwanderung aus dem Moloch Berlin ins Umland zurückzuführen ist.

Am stärksten hat der Aderlaß an jungen, oft gut ausgebildete
n Fachkräften Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen getroffen. Während 1994-98 europaweit die Bevölkerung um 0,2 Prozent angestiegen ist, sank sie dort im gleichen Zeitraum um 1,4 bzw. 1,1 und 0,5 Prozent.

Besonders schlimm ist es, daß die Massenabwanderung bis heute nicht gestoppt werden konnte. Der Freistaat Sachsen teilte erst kürzlich mit, daß ein Rückgang der Einwohnerzahl von 4,8 Millionen 1989 auf nur noch etwa 3,6 Millionen im Jahr 2030 zu befürchten ist.

Doch viel mehr als nüchterne Zahlen es können, verdeutlichen eigene Eindrücke vor Ort die dramatischen Folgen. Wer beispielsweise nach Zittau ins südöstlichste Sachsen reist, kann den Bevölkerungsschwund an den zahllosen leerstehenden Häusern in der Innenstadt erkennen, die die Restaurierung der zu DDR-Zeiten völlig verfallenen Altbausubstanz zusätzlich erschweren. Denn welchen Sinn hat es, Dutzende, ja Hunderte schmucker Häuser aufwendig wiederherzurichten, wenn sie danach leerstehen.

Die Grenzstadt im Dreiländereck zu Tschechien und zur Republik Polen hat ihre Einwohnerzahl seit der Wende fast halbiert – von rund 50 000 auf nicht einmal mehr 30 000. Ein Spaziergang durchs Zentrum wirkt alarmierend: Junge Menschen sind Mangelware, die allgemeine Stimmung ist gedrückt. Mit einem Wort: Zittau ist heute alles andere als eine vitale Stadt.

Das wird noch deutlicher, wenn man den Vergleich jenseits der Grenzen sucht und zum Beispiel das Getümmel junger Menschen im nordböhmischen Reichenberg – der einstigen Hauptstadt des Sudetenlandes – oder auch im schlesischen Hirschberg beobachtet.

In Görlitz ist die Lage nur unwesentlich besser als in Zittau. Die Bevölkerung schrumpfte dort seit der Wiedervereinigung von über 90 000 auf etwa 60 000 Menschen. Wenigstens verfügt die schlesische Stadt durch den Ausbau der A 4 bis zur Grenze über eine erheblich bessere Verkehrsanbindung als Zittau, doch nennenswerte Industrieansiedlungen hatte dies bisher (noch) nicht zur Folge.

Von den einstigen Betrieben sind nur noch die Reste des traditionsreichen Waggonbaus bedeutsam. Die offizielle Arbeitslosenrate liegt bei 28 Prozent, tatsächlich sind es wahrscheinlich 40 Prozent.

Zu den Hoffnungsträgern der nach 1945 geteilten Neißestadt gehört vor allem der Tourismus. Die Voraussetzungen sind in dieser Beziehung – zumindest theoretisch – hervorragend. Denn Görlitz gehört ohne jeden Zweifel zu den schönsten Städten Deutschlands.

Alle Baustile vom Hochmittelalter bis ins 20. Jahrhundert sind vertreten. Über 3600 Bauwerke stehen unter Denkmalschutz – mehr als in jeder anderen bundesdeutschen Kommune. Ein Bummel durch die riesige Altstadt läßt den Besucher aus dem Staunen nicht herauskommen. Zu überwältigend ist der Eindruck einer im Krieg unzerstörten Handelsstadt.

Von den unzähligen Sehenswürdigkeiten seien nur einige herausgegriffen: an erster Stelle der "Schönhof", das älteste bürgerliche Renaissancehaus Deutschlands und Domizil des im Aufbau befindlichen Schlesischen Museums, ferner das "Biblische Haus" mit seinem Straßenaltar, Obermarkt und Untermarkt, der Nikolaifriedhof mit dem Grab Jacob Böhmes, die Peterskirche mit der wunderschönen "Sonnenorgel", die 35 Hallenhäuser von Kaufleuten, der Jugendstil der "Straßburg-Passage" und des Karstadt-Hauses usw. usf.

Trotz dieser Fülle von Attraktionen haben bislang nur vergleichsweise wenige Touristen Görlitz "entdeckt". Selbst viele Vertriebene, die ihre Heimatorte in Schlesien besuchen, machen aus Unkenntnis nicht einmal einen Zwischenstopp.

Man kann für Görlitz und das gesamte Umland nur hoffen, daß sich die Schönheit der Stadt schnell herumspricht. Gleiches gilt für die Tatsache, daß man in der Grenzregion wunderbare Immobilien zu Spottpreisen bekommen kann. Wer ortsungebunden arbeitet und nicht nur schön, sondern auch bezahlbar wohnen will, für den ist Görlitz genau die richtige Adresse.

Görlitz-Besuchern sei der in diesem Jahr im Laumann-Verlag Dülmen erschienene erste richtige Stadtreiseführer "Görlitz und Umgebung" von Lothar Küken empfohlen (156 S., brosch., zahlr. Abb., DM 22,80).

 
     
     
 
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