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Kurz vor seinem Treffen mit Präsident Wladimir Putin am Schwarzen Meer (OB 29/02) hat sich Frankreichs Staatschef Jacques Chirac in einem Interview mit der russischen Nachrichtenagentur Interfax für eine pragmatische Lösung des Problems der russischen Exklave Königsberg ausgesprochen. Die Pressestelle des Elysée-Palasts, von dem Alleingang des Präsidenten allerdings wohl auch überrascht, bestätigte das. Gleichzeitig äußerten sich sowohl der französische Außenminister Dominique de Villepin als auch seine Kollegin, Europaministerin Noelle Lenor, auf einer Pressekonferenz in Brüssel im selben Sinn.
Frankreichs Diplomatie scheint eine Vorreiterrolle bei der Behandlung der Exklave eingenommen zu haben, obwohl deren Fähigkeit, eine für alle betroffenen Staaten befriedigende Lösung herbeizuführen, als ziemlich begrenzt erscheint. Auf jeden Fall räumt man in Pariser diplomatischen Kreisen ein, es handele sich um eine delikate Angelegenheit. Dies um so mehr, als Präsident Chirac sich mit der Bemerkung auf die Seite Rußlands geschlagen hat, ein Visum-Zwang zwischen dem Mutterland und der Exklave sei unannehmbar.
In der Brüsseler Pressekonferenz hatte Madame Lenor erklärt, das Problem der Exklave sei "einzigartig", es gebe nichts Vergleichbares in ganz Europa. Deswegen müßten alle Wege geprüft werden, die zu einer neuen Lösung führten. Beim Lesen des Protokolls dieser Pressekonferenz, das vom Pariser Außenministerium verbreitet wurde, scheint durch, daß die beiden Unterhändler Frankreichs etwas in Verlegenheit gerieten, weil die Stellungnahmen ihres Präsidenten keinesfalls mit denen der Brüsseler Kommission in Einklang stehen.
Für die Brüsseler Kommission gibt es keine Zweifel daran, daß für die Russen, die auf dem Landweg aus oder nach der Exklave reisen, Visumpflicht besteht. Ab Mitte Juli, das heißt vor der Reise Chiracs zu Putin, gab es keine anderslautenden Darstellungen von den Brüsseler Behörden. In einer Pressekonferenz am 12. Juli in Moskau hatten die EU-Unterhändler ihre Weigerung präzisiert, vierseitige Verhandlungen (EU, Rußland, Polen, Litauen) in Betracht zu ziehen, und ausdrücklich darauf bestanden, das Problem der Exklave bilateral mit dem Kreml zu regeln.
Aus der Sicht der EU-Kommission ist das Königsberger Problem eher ein wirtschaftliches als ein politisches. Vom staatlichen Rundfunksender France-Culture befragt, zeigte sich der dänische Botschafter in Moskau (Dänemark führt gegenwärtig den EU-Vorsitz) darüber besorgt, daß die Diskrepanz im Lebensstandard zwischen der Königsberger Exklave sowie Polen und Litauen nach der Osterweiterung sich noch vergrößern könnte.
Seitens der EU-Kommission wird unterstrichen, daß Rußland seit 1991 durch das Programm TACIS eine technische Hilfeleistung von 2,5 Milliarden Euro gewährt wurde. In der Region Königsberg hat die EU während der jüngsten Zeit 40 Millionen Euro investiert, darunter 15 Millionen für eine Erdölleitung. Umfangreiche Hilfen für die Exklave stehen auf der Tagesordnung, besonders für die Landwirtschaft. Weil die EU der größte Kunde Rußlands mit fünfunddreißig Prozent seines Exports ist, was nach der Osterweiterung auf 50 Prozent steigen dürfte, glauben offensichtlich die Brüsseler Unterhändler, daß die russische Empfindlichkeit hinsichtlich der Visumproblematik nicht gerechtfertigt ist.
Von dem EU-Rußland-Gipfel Ende des Jahres erwartet man nun eine einvernehmliche Lösung des Problems. Trotz mancher, meist besorgter Überlegungen schließt die Kommission eine Integration der Königsberger Exklave in die EU ausdrücklich aus.
Nach Ansicht von französischen Beobachtern ist nicht auszuschließen, daß die EU in dieser Frage um die Hilfe der amerikanischen Diplomatie bittet. Die Tatsache, daß die aktuellen Publikationen der Nato der Lage in den baltischen Staaten großen Raum widmen, lasse vermuten, die US-Diplomatie könnte sich für Königsberg interessieren. Das deutsche Außenministerium würde seinerseits amerikanische Vermittlungen begrüßen, um so mehr, wenn die EU-Rußland-Verhandlungen in Schwierigkeiten mündeten oder gar erfolglos wären.
Wie dem auch sei, die Lösung des Problems der Königsberger Exklave wird sein, mehr Flexibilität und weniger Verkrampfung sowohl seitens der EU-Kommission als auch Rußlands zu fordern. Francisco Lozaga |
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