|
Preußen, dem so gerne nachgesagt wird, daß es kriegslüstern sei, verhielt sich während der napoleonischen Kriege lange auffallend passiv und neutral. Der König war friedliebend und wenig entschlußfreudig, das Land war mehr mit der polnischen als mit der deutschen Frage beschäftigt und die Außenpolitik hoffte, als lachender Dritter aus den Kriegen zwischen den anderen Großmächten hervorzugehen. Und Napoleon, der die Gegner seiner Weltherrschaftsambitionen verständlicherweise lieber nacheinander als alle auf einmal niederzuringen versuchte, gelang es, die Preußen bis nach der Schlacht von Austerlitz hinzuhalten.
Nachdem Bonaparte Rußland und Österreich bei Austerlitz geschlagen hatte, konnte er sich nun Preußen zuwenden. Am 7. Oktober 1806 drang der Kaiser der Franzosen mit 160000 Soldaten in Thüringen ein und eröffnete damit den sogenannten Vierten Koalitionskrieg. In diesem Krieg stand Preußen dem Kaiserreich weitgehend isoliert gegenüber. Abgesehen von halbherziger russischer Hilfe stand nur die Nicht-Großmacht Sachsen an seiner Seite. Nach einem Vorhutgefecht bei Saalfeld, bei dem der preußische Hoffnungsträger Prinz Louis Ferdinand fiel, erlitt das Königreich in der Doppelschlacht von Jena und Auerstedt am 14. Oktober eine vernichtende Niederlage.
Die Niederlage von Jena ist weniger verblüffend. Hier waren die Franzosen zahlenmäßig überlegen. Der Armee des Generals Friedrich Ludwig Fürst zu Hohenlohe-Ingelfingen mit ihren 38000 Mann und dem Korps von General Ernst von Rüchel mit 15000 Mann stand die Hauptstreitmacht der Franzosen unter dem Befehl Napoleons gegenüber. Zu den 55600 Mann, über die Bonaparte bereits am Morgen des 14. Oktober verfügte, kamen bis 11 Uhr weitere 22300 und bis Mittag nochmals 18000. 95900 von Napoleon kommandierten Franzosen (von denen allerdings nur 54000 unmittelbar eingesetzt wurden), standen nur 53000 Mann unter preußischem Kommando gegenüber. Angesichts dieser Konstellation kann der französische Sieg kaum verblüffen. Die Franzosen schlugen die Preußen und deren sächsische Verbündete in die Flucht. 7500 verwundeten und getöteten Franzosen standen 10000 preußische und sächsische Verwundete und Tote gegenüber, zu denen noch einmal 10000 durch Gefangennahme verlorene Soldaten kamen.
Viel erschreckender war die preußische Niederlage von Auerstedt, denn hier wurde die fünf Divisionen und eine leichte Brigade umfassende preußische Hauptarmee mit ihren zusammen 49800 Mann von einem Korps unter dem Kommando Louis Nicolas Davouts geschlagen, das mit seinen drei Divisionen und einer Kavalleriebrigade gerade einmal 27300 Mann aufzubieten wußte. Noch erdrückender war die zahlenmäßige Überlegenheit Preußens bei Kavallerie und Artillerie. 8800 Reitern in 80 Eskadronen auf preußischer Seite standen nur 1300 Reiter in neun Eskadronen auf französischer gegenüber, 230 Geschützen auf der Seite Preußens nur 44 auf jener Frankreichs. Und dennoch verloren die Preußen die Schlacht von Auerstedt wie jene von Jena. 7000 verwundeten oder gefallenen Franzosen stehen 10000 preußische Verwundete und Tote gegenüber. Hinzu verlor Preußen 3000 Mann durch Gefangenschaft. Wenigstens gelang den Preußen ein geordneter Rückzug bis sie mit den ungeordnet zurückflutenden Verlierern von Jena zusammenstießen. Statt das letztere aufgefangen und in den geordneten Rückzug integriert worden wären, steckten sie die Verlierer von Auerstedt mit ihrer Kopflosigkeit an, so daß der gemeinsame Rückzug in der Nacht zum 15. Oktober in einem Fiasko endete.
Trotz alledem wäre die Doppelniederlage von Jena und Auerstedt nur halb so demoralisierend gewesen, wenn sie nicht aufgedeckt hätte, zu welch zerbrechlichem Kartenhaus sich die Armee und mit ihr der Staat der Preußen seit den Tagen Friedrichs des Großen entwickelt hatten. Überheblich und voller Dünkel hatte man sich auf den Lorbeeren Friedrichs II. ausgeruht und von dessen Nimbus gelebt. Die Formen Friedrichs des Großen hatte man akribisch gewahrt, aber die Dynamik war verlorengegangen. Der Anachronismus des preußischen Feudalismus war im Kampf mit der fortschrittlichsten Großmacht des Kontinents offenbar geworden. Preußen brach ähnlich einem Kartenhaus zusammen. Bereits elf Tage nach der Doppelschlacht marschierten die Franzosen in die Hauptstadt Berlin ein. Schließlich mußte Preußen trotz aller Härten des Friedens von Tilsit sogar froh sein, daß es diesen Krieg überhaupt als Staat überlebte. In all dem Elend, das die preußische Niederlage der Zivilbevölkerung brachte, hatte sie doch wenigstens etwas Gutes. In der Stunde der Not erhielten Preußens Reformer endlich eine Chance.
Der tödlich verwundete Herzog von Braunschweig wird aus der Feuerlinie geführt: Mit dem frühen Ausfall ihres Oberbefehlshabers wurden die Preußen in der Schlacht buchstäblich kopflos, da der König, von dem es hieß, daß seine liebste Zeit stets die Bedenkzeit gewesen sei, sich zu einer zeitnahen Entscheidung über die Nachfolge nicht durchringen konnte. (Archiv) |
|