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Es traf sich rein zufällig, daß Gudrun Weiß ihren Arbeitskollegen Herbert Huber in dessen Wohnung aufsuchen mußte, um ein wichtiges Schriftstück abzuholen. An ihrem gemeinsamen Arbeitsplatz in der Firma verband beide zwar ein gutes kollegiales Verhältnis, doch privat traf man sich recht selten oder rein zufällig, so wie heute. Sie plauderten über allerlei belanglose Dinge und streiften auch Themen ihrer gemeinsamen Tätigkeit am Arbeitsplatz.
"Nun will ich mich doch endlich auf den Weg machen, aber vorher müßte ich noch ...", meinte Gudrun, ehe sie sich verabschiedete. "Das Badezimmer ist gleich links um die Ecke."
Nachdem sich Gudrun verabschiedet hatte, suchte auch Herr Huber das Badezimmer auf. Er wusch sich die Hände. Dabei streifte sein Blick die Ablage über dem Waschbecken. Doch dann stutzte er plötzlich. Zwischen Flakons mit allerlei Duftwässerchen stand ein buntes Schminktäschchen mit einer goldimitierten Leistenumrandung. Gudrun, schoß es Herrn Huber sofort durch den Kopf. Heiliger Bimbam, das Täschchen muß sofort verschwinden. In wenigen Minuten würde Brigitte, seine Frau, vom Friseur heimkommen. Gar nicht auszudenken, wenn sie dieses Schminktäschchen vorfände!
Denn Brigitte wurde zuweilen von einer krankhaften Eifersucht gepackt, obwohl ihr Herbert geradezu das Paradestück eines mustergültigen Ehemannes war. Aber gegen Brigittes Eifersuchtsszenen kämpfte er vergeblich an. Gegen diese Krankheit gibt s halt keine Pillen, eben nur die Treue. Und diesen Beweis lieferte Herbert täglich.
Er erinnerte sich an die Eifersuchtsszene vor einem halben Jahr. Brigitte war flammend rot im Gesicht. Ihre Augen waren ein einziges Blitzen, zu dem ihre Stimme das Donnergrollen lieferte. Nur ein falsches Wort, schon hatten sie einen handfesten Ehekrach, aus dem fast eine Ehekrise geworden wäre. Und das nur, weil Brigitte im Auto-Aschenbecher einen mit Lippenstift verschmierten Zigarette nstummel gefunden hatte. Dabei war die Sache völlig harmlos, obwohl das Indiz, wie es Brigitte bezeichnete, von Gudrun stammte. Gudrun hatte sich auf einer Betriebsfeier nach dem Genuß ungewohnten Alkohols plötzlich sehr schlecht gefühlt. Deshalb bot Herr Huber sich an, sie schnell nach Hause zu fahren. So gelangte auch der ominöse Zigarettenstummel in den Ascher.
An den fünf Fingern einer Hand konnte sich Herbert abzählen, was passieren würde, wenn Brigitte jetzt dieses Schminktäschchen vorfände. Wollte er keinen Grund für eine neue Eifersuchtsszene liefern, mußte er sofort handeln. Er griff das Täschchen, lief damit zur Garage und verstaute es im Handschuhfach seines Wagens. Morgen früh würde er es Gudrun zurückgeben.
Nun galt es aber, sich rasch umzuziehen, denn für den Abend hatte Herbert seine Brigitte zum Essen in ein gutes Lokal eingeladen. Schließlich war man heute auf den Tag genau 15 Jahre verheiratet. Und das mußte gefeiert werden.
So saßen beide in bester Laune im Auto und fuhren zum Restaurant. Bis Brigitte meinte: "Ich glaube, hier im Handschuhfach müßte noch meine Sonnenbrille liegen."
Herbert glaubte, der Schlag müßte ihn treffen. "Neiiin!" schrie er schrill und trat dabei so auf die Bremse, als sollte bei einem Brems-test die Belastung der Sicherheitsgurte geprüft werden.
Brigitte schrak heftig zusammen. Doch dann sagte sie verwundert: "Was hast du denn? Ich will doch nur im Handschuhfach nachsehen, ob meine Sonnenbrille da drinnen ist!"
"Neiiin!" Diesmal kam es nicht wie ein Urschrei, sondern flehentlich bittend, flüsternd, fast einer Ohnmacht nahe. Herbert schloß die Augen. Hätte er in diesem Augenblick einen Wunsch frei, so hätte er sich - oder besser das Täschchen - in den entferntesten Winkel der Erde verschwinden lassen. Er hörte das Klicken des Handschuhfachs und erwartete Brigittes heiseren Aufschrei.
Er kam nicht. Statt dessen sagte Brigitte mit einem unüberhörbaren Ton der Verwunderung: "Sag mal, wie kommt denn mein Schminktäschchen hier in das Handschuhfach?"
Herbert setzte sich ruckartig gerade hin und öffnete die Augen. "Wie bitte? Dein, dein Schmink..., das ist dein Schminktäschchen?"
"Aber ganz gewiß doch! Ich habe es mir erst heute morgen gekauft. Aber wie um alles auf der Welt kommt es hier in das Handschuhfach deines Wagens?".
Wellen von Margot Michaelis
Der Wind
holt Atem
und feiert
im Wasser
die Wellen singen
die Krönungsmesse
und ahnen nichts
von dem nahen Tod. |
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