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Die Kommission sollte Vorurteile und Feindbilder in den Schulbüchern abbauen helfen. Dies konnte nur erreicht werden, indem man gemeinsame Sichtweisen zu den einzelnen Epochen der tausendjährigen deutsch-polnischen Beziehungsgeschichte erarbeite.
Angesichts der historischen Belastungen seit Ende des 18. Jahrhunderts Stichworte: polnische Teilungen, Versailler Vertrag , NS-Besatzungspolitik, Vertreibung der deutschen Bevölkerung östlich von Oder und Lausitzer Neiße, Verlust der Ostgebiete schien dies ein fast unmögliches Unterfangen zu sein. Das Bild des Deutschen in Polen und des Polen in Deutschland war zu Beginn der 70er Jahre eindeutig bzw. weitgehend negativ geprägt.
Eine weitere Hypothek bildete die Tatsache, daß die polnischen Kommissionsmitglieder bis zur Wende im Auftrag einer kommunistischen Volksrepublik handelten und natürlich die damals verbindlichen Geschichtsbilder ihres Staates vertreten mußten, beispielsweise die These von den "wiedergewonnenen urslawischen Gebieten" oder die Negierung einer deutschen Volksgruppe in Oberschlesien oder Masuren.
Auf deutscher Seite zeichnete von Beginn an das "Georg-Eckert-Institut für internationale Schulbuchforschung" in Braunschweig für die Zusammenarbeit verantwortlich. Der Name dieser von den meisten Bundesländern getragenen Einrichtung besagt bereits, daß vielfältige vergleichende Schulbucharbeit geleistet wird, so auch mit Frankreich, Israel oder den USA.
Das Eckert-Institut beruft die Mitglieder der Schulbuchkommissionen. Was die deutsch-polnischen Gespräche betrifft, warf man den Braunschweigern vor 1989 eine einseitige Handhabung vor. Es kämen, so hieß es, nur Wissenschaftler zum Zuge, die mehr oder weniger einseitig die polnischen Positionen verträten.
Diese Kritik ist im Zusammenhang mit den 1976 in der Bundesrepublik und in Polen veröffentlichten 26 Empfehlungen für das Fach Geschichte zu sehen, die in der Tat polnische Auffassungen zur Oder-Neiße-Linie, zur Vertreibung, zur Spaltung Deutschlands usw. beinhalteten. 300 000 Exemplare dieses bedenklichen Rahmenwerkes wurden in der Folgezeit in Westdeutschland unters Volk gebracht.
Es kam damals zu einer heftigen Debatte, zumal SPD-geführte Länder die Empfehlungen an Schulen verteilen ließen und sie zum Maßstab für die Zulassung von Unterrichtsmaterialien erklärten. Die Kultusministerkonferenz lehnte es immerhin ab, die 26 Punkte als eine eigene Empfehlung für den historisch-politischen Unterricht an den Schulen der Bundesrepublik Deutschland zu verabschieden.
Die Kritik wurde, allen entsprechenden Legenden zum Trotz, keineswegs nur von den Vertriebenenverbänden getragen. Sie war auch nicht destruktiv, sondern mündete in die "Alternativ-Empfehlungen zur Behandlung der deutsch-polnischen Geschichte in den Schulbüchern", die unter Federführung von Professor Menzel einem exzellenten Kenner ostdeutscher Geschichte ausgearbeitet und 1978 veröffentlicht wurden.
Gut ein Jahrzehnt nach dem Umbruch in Europa sieht man die damaligen Kontroversen mit größerer Klarheit. Dies gilt insbesondere für den geringen Verhandlungsspielraum der polnischen Vertreter in der gemischten Schulbuchkommission. Das imperative Mandat durch das kommunistische Polen wurde bereits erwähnt; hinzu kam die totale Abhängigkeit von der Sowjetunion. Letztere erklärt auch, warum in den Empfehlungen weder das Geheime Zusatzprotokoll zum Hitler-Stalin-Pakt von 1939 noch die Ermordung polnischer Offiziere in Katyn auftauchten.
Ein weiterer Punkt wurde erst nach der Wende bekannt: die massive Einflußnahme der DDR auf die Schulbuchgespräche.
Um so mehr ist es zu würdigen, daß sich in den regelmäßigen Konferenzen beiderseits der Grenze zwischen den meisten Teilnehmern ein freundschaftliches Verhältnis entwickelte und bei den Kamingesprächen auch sehr viel inhaltliche Übereinstimmung zeigte, die sich dann offiziell naturgemäß nicht widerspiegelte.
Als weiteres Positivum kann festgestellt werden, daß seit Veröffentlichung der Empfehlungen in den 70er Jahren das Thema Polen in der bundesdeutschen Unterrichtswirklichkeit mehr Bedeutung gewann.
Der Umbruch von 1989/90 brachte dann einschneidende qualitative Veränderungen für die Schulbucharbeit. Politische Tabus fielen weg, und es begann ein freier Dialog freier Wissenschaftler. Die vorherigen Streitthemen konnten nun offen angesprochen werden, ohne daß man in jedem Fall zu gemeinsamen Sichtweisen gelangte. Dies zeigt sich etwa hinsichtlich des Potsdamer Abkommens, das nach polnischer Interpretation bereits eine endgültige Regelung der Grenzfrage bedeutete.
Auch personell gab es einen Wandel; viele jüngere Wissenschaftler (auf deutscher Seite oft aus den neuen Bundesländern) arbeiten jetzt in der Schulbuchkommission mit.
Auf den Konferenzen der 90er Jahre kam man überein, die Empfehlungen von 1976 durch wissenschaftlich aktualisierte Materialien für die Fächer Geschichte und Geographie zu ersetzen. Das Ergebnis liegt nun vor: in Gestalt des vom Eckert-Institut herausgegebenen Bandes "Deutschland und Polen im zwanzigsten Jahrhundert". Dieser geht an die Kultusministerien, Schulbuchverlage sowie interessierte Pädagogen etc. und liefert ihnen "Handreichungen" (keine Richtlinien!) für die Schulpraxis.
Bei der Umsetzung bestehen besonders in den neuen Ländern Probleme, zumal dort zu DDR-Zeiten bekanntlich die gesamte Thematik Ostgebiete, Vertreibung usw. tabu war. Hier müssen gezielte Angebote an den Universitäten und in der Lehrerbildung den Nutzwert der Schulbuchempfehlungen steigern.
Der Verfasser arbeitet seit 1988 in der deutsch-polnischen Schulbuchkommission mit.
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