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Als blickbetörende Bizarrerie prägt sich das unweit von Bayreuth gelegene Schloß „Eremitage“ (sogenanntes „Neues Schloß“) ins Gedächtnis; als Wunder der Stille empfindet man den weiten, sich zum Roten Main absenkenden Park. Es ist später Nachmittag. Ich stehe am „Großen Bassin“, dieser die mythischen Sonnen- und Wassergottheiten verherrlichenden Schloß- anlage. Riesige Tritonen, Delphine und Fabelwesen spucken Wasser zur jeweils vollen Stunde. Aus 56 Speichern quillt platschendes, glucksendes Naß; rieselt aus, versiegt. Danach ist die Stille ringsum noch deutlicher hörbar. Eine blutrote Sonne hängt zwischen Buchen und Eichen. Sie färbt des Schlosses Fassaden brandig ein. Der Glitzerpalast scheint zu verglühen. Seine blauen, roten, gelben, braunen Inkrustierungen flimmern, Bergkristalle schillern, Vergoldungen blenden.
In Form von zinnernen Büsten halten 43 römische Kaiser die gekuppelten Säulen der Kolonnade besetzt. Die meisten blicken griesgrämig, freudlos, als hätten sie die Fragwürdigkeit aller Machtausübung bis zur schalen Neige gekostet und entsprechend verinnerlicht. Einzelne wenden die Gesichter dem achteckigen Sonnentempel zu. Von dessen Kuppel jagt Apollo, gleißender Lichtgott, im goldenen Wagen mit goldenen Rössern den Wolken entgegen. Souverän läßt er die Kaiser, den gesamten Erdbettel hinter sich zurück.
Die Geschichte der „Eremitage“ - richtiger gesagt, der „Eremitagen“, denn es handelt sich zum zwei, dicht nebeneinanderliegende Schlösser - ist einzigartig. In ihren Anfängen entbehrt sie nicht der Komik. Sie endet mit der Wirklichkeit gewordenen, grandiosen Architektur-Träumerei einer Frau, die der griechischen Mythologie geradezu besessen huldigte. Mit dem „Neuen Schloß“ leistete die Bauherrin der uralten Sagen- welt gewissermaßen Wiederer- weckungshilfe.
Von markgräflicher Männerseite her begann es mit der „Eremitage“ bescheiden. Im Jahre 1666 ließ der regierende Christian Ernst in der Wildnis außerhalb seiner Residenzstadt Bayreuth einen Tiergarten anlegen, dem alsbald eine Grotte und ein Brunnenhaus folgten. Das war nichts Auffälliges, schon gar nicht etwas Zeitunübliches. Jahrzehnte später allerdings, unter der Regentschaft des Markgrafen Georg Wilhelm (1712 bis 1726), erlebten biedere Bürger, die wie eh und je in dem Waldstück spazierengingen, einigermaßen Befremdliches. Auf schmalen Pfaden, zwischen mächtigen Bäumen und buschigen Sträuchern, wandelten Mönche in wallenden Kutten. Sie verständigten sich mittels seltsamer Zeichensprache, versuchten offensichtlich das Lachen zu unterdrücken; verschwanden kichernd hinter Büschen, um das Wasser abzuschlagen. Es waren keine Mönche, sondern Hofkavaliere Georg Wilhelms, die der Ehre teilhaftig geworden waren, als Eremiten in verstreut im Wald stehenden Holzhütten zu hausen. Sie sollten sich des Schweigens und sonstiger mönchischer Verhaltensweisen befleißigen. Andere, unglücklicherweise noch begünstigtere Kavaliere, lebten, zusammen mit dem Markgrafen, in dem von ihm errichteten, kleinen Eremitage-Erstbau, heute „Altes Schloß“ genannt. Fünf winzige Zellen sind zu besichtigen. Sie erfüllen die Bedingungen für einen „Trimm-dich-auf-Armut-Kurs“ vollauf. Die barocken, genußfreudigen Hofkavaliere mußten in schmalen Bettgestellen auf Stroh schlafen. Viel Anreiz zu spielerischer Phantasie bot solche Unterlage nicht. Ferner wurde von den Herren erwartet, unter Verwendung rauher Holzlöffel aus irdenen Näpfen eine Armensuppe zu verzehren.
Georg Wilhelm, der einmal geäußert hatte, „ich bin allein, wenn ich vergnügt sein will“, ergötzte sich auch an gewagtem Schabernack. Manchmal lud er Gäste in die „Innere Grotte“ ein. Der quadratische Kuppelbau schimmerte mystisch. Seine Wände waren mit Glasschlacken, muschelartigen Gebilden, großäugigen Delphinen und Wasserblumengebinden überzogen. Alles glänzte feucht. Betrachteten unwissende Neugierige die Grotte, dann wurden 200 wasserspritzende Düsen in Tätigkeit gesetzt, beplätscherten die Beinkleider der Herren, sprudelten unter die Reifröcke der Damen und benetzten zu guter Letzt die Häupter. Von der Empore blickte der Markgraf dem, jedenfalls für ihn, vergnüglichen Treiben zu.
Ein späterer Markgraf, Fried-rich von Bayreuth, schenkte 1735 diese kleine Eremitage samt großem Wald seiner ihm eben Angetrauten, der Prinzessin Wilhelmine von Preußen. Er konnte nicht ahnen, was sie mit der Hochzeitsgabe in Zukunft anstellen würde. Wieso sollte er auch? Er kannte die Weggefährtin, die ihn aus staatspolitischen Gründen geheiratet hatte, ihrem Wesen nach nicht. Ein vielseitig talentierter Feuergeist war diese Lieblingsschwester Friedrichs des Großen; sie faszinierte jedermann. Nun war sie durch die Eheschließung in das provinzielle Markgrafentum geraten. Sie befreite sich aus der ihr aufgezwungenen Enge, indem sie in eine Zauberwelt aufbrach, die ihr Architekten und Gartenbaukünstler verwirklichen mußten. Sie regte den Ausbau des „Alten Schlosses“ und den Bau der neuen „Eremitage“ an. Letztere sollte als Orangerieschloß mit weithin funkelndem Sonnentempel entstehen. Mit dem Franzosen Joseph Saint-Pierre hatte sie ihren Traumerfüller in Sachen Architektur gefunden. Hinzugezogen wurden die Berliner Architekten Johann Friedrich Grael und Johann Georg Weiß sowie italienische Stukkateure.
Beim Rundgang durch die angebauten Räume des „Alten Schlosses“ offenbaren sich Wesenszüge dieser emanzipierten und vielleicht aus diesem Grunde - wägt man Zeit und Umgebung - vereinsamten Frau. Ihr mit Spiegelscherben bestücktes „Chinesisches Spiegelkabinett“ hebt jegliche Raumbegrenzung auf, täuscht eine Flucht zersplitterter Spiegel vor, in denen sich Wilhelmines Gestalt ins Unendliche verlor. Hier schrieb sie ihre bitterbösen, gewiß aber auch unretuschierten Memoiren. In die graugrünen Stuckmarmorwände des Musikzimmers, wo sie komponierte, ließ sie die Porträts ihrer Hofdamen einfügen. Selbst die Bildnisse jener Damen, mit denen der Ehegatte techtelmechtelte, sind in den Reigen aufgenommen. Zu dieser Zeit hatte Wilhelmine längst eingesehen, daß ihr Wissensdurst, ihr Ideenreichtum den Markgrafen überforderten. Vom Theater lenken Wege tief in Wilhelmines lautlosen Park. Zwischen Bäumen verborgen taucht ein antik anmutendes Grabmal auf. Angeblich ist es eine Nachbildung der in Pozzuoli bei Neapel befindlichen Ruhestätte des Dichters Vergil. In dem aus bruchstückhaften grauen Säulen und roten Ziegeln erstellten Grabmal wurde Wilhelmines Lieblingshund Folichon beerdigt.
Ich schlendere der in voller Länge des Parks niederstürzenden Kaskade zu. Weit unten mündet sie im Roten Main. Gurgelnd strömt das von einer Tuffstein-Einfassung gebändigte Wasser dahin, staut sich sekundenlang in den Etagenteichen, fließt weiter. Jetzt sind es nur noch wenige Schritte zur eigentümlichsten Stelle des Parks, zum „Nymphäum“. Es versinnbildlicht - als gewolltes Konträrthema zur Sonnengottheit Apoll - den Wassergeister-Mythos.
Eine Treppe führt zum langgestreckten Bassin hinunter, in dessen Mitte eine wunderbare Meerjungfrau, von Seepferden, Del- phinen und Putten umschmeichelt, in die silbrigen Strahlen von 25 Fontänen lächelt. Begrenzt wird das Nymphenbad durch ein grottenähnliches Gemäuer mit Fischmäulern, aus denen es unerwartet sprudelt, spritzt. Dunkelgrün schlingert Algengeflecht auf dem Grund. Am Rande des Nymphäums drückt sich ein asymmetrischer Tuffstein-Pavillon in Wild- rosenhecken. Eine Flora verharrt in hoher Mauernische. Das war die „Eremitage des Markgrafen“, die Wilhelmine für den Gatten bauen ließ. Hierher zog er sich zurück, um dem Bad der steinernen Meerfrau, vielleicht auch dem Bad nymphenhafter Hofdamen zuzuschauen. „Wenn schon, denn schon“, mag Wilhelmine gedacht haben. Oder sarkastischer, was ihrem späteren Denken eher entsprach: „Jedem das Seine“. - Wind kommt auf. Er treibt Rosenblätter ins Bassin. Langsam wandere ich durch Wilhelmines Traumpark zurück. Wahrhaftig, wie ein irisierender Schleier spinnt sich das Wesen der preußischen Prinzessin um und über die „Eremitage“.
Bayreuth: Neues Schloß in der Eremitage, erbaut nach einer Idee der Markgräfin Wilhelmine Foto: Rauh
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