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Beim Wiederaufbau nach dem Einfall der Russen in Ostdeutschland während des Ersten Weltkrieges übernahm Schleswig-Holstein, damals preußische Provinz, die „Patenschaft für Tilsit“. Nach dem Zweiten Weltkrieg beschloß die Kieler Stadtvertretung einstimmig die „Patenschaft“ für die (vertriebenen) Tilsiter erneut zu übernehmen. Als die politischen Verhältnisse es zuließen, wurde eine „Partnerschaft “ mit der nun unter russischer Verwaltung stehenden Stadt begründet. Dieses Dreier-Bündnis funktioniert.
In dieser Stadt wurde 61 Jahre nach Kriegsende, ein deutscher Soldatenfriedhof eingeweiht. Wenn die Einweihung auch erst diesen Sommer erfolgte, so reichen seine Wurzeln doch bis weit ins vorherige Jahrhundert zurück. Vor 100 Jahren wurde er als ziviler Friedhof geschaffen. Der sogenannte Waldfriedhof war ursprünglich fünf, dann sieben Hektar groß. Er lag idyllisch in einer Wald-/Parklandschaft unter Bäumen und großen blühenden Büschen. Für die Bestattungen bestanden keine Bindungen, er stand offen für alle Glaubensbekenntnisse und für alle Bestattungsformen. Es war eine wunderschöne Parkanlage, die nicht nur Bestattungsstätte war, sondern von den Bürgern auch als „Park“ angenommen wurde.
Im Ersten Weltkrieg wurden auf diesem zivilen Friedhof auch die im Raum Tilsit gefallenen deutschen und russischen Soldaten beerdigt. Auch die russischen Krieger bekamen, sofern identifizierbar, ihre eigenen Grabsteine, und für alle wurden zwei größere Gedenksteine mit zugehöriger Inschrift und dem orthodoxen Kreuz gesetzt. Diese Anlagen wurden von den Tilsiter Bürgern als „die Russengräber“ voll akzeptiert und von ihnen und von der Stadtverwaltung bis zuletzt gepflegt – nicht nur bis 1941, wie die „Prawda“ wohl irrtümlich schreibt. Auch im Zweiten Weltkrieg wurden hier Kriegsopfer beerdigt. Abgesehen von den tausenden nicht kriegsbedingt verstorbenen Tilsitern, die hier zwischen 1903 und 1944 beigesetzt wurden, haben hier 514 deutsche, 486 russische und ein rumänisches Opfer des Ersten Weltkrieges sowie 805 deutsche Soldaten und sechs Italiener, die im Zweiten Weltkrieg fielen, und 86 der 724 zivilen Bombenopfer Tilsits aus den Jahren 1943/44 ihre letzte Ruhestätte gefunden.
Weil seine Eltern die Ruhe in dieser schönen Landschaft liebten, war die Familie von Tilsits Stadtvertreter Horst Mertineit oft dort, und er kannte schon in seinen jungen Jahren jeden Winkel.
Groß war seine Enttäuschung als er nach Kriegsende, beim ersten offiziellen Besuch als Vertreter der Tilsiter sehen mußte, daß alle Friedhöfe eingeebnet beziehungsweise zerstört waren. Lediglich der Waldfriedhof war noch in Teilen erkennbar. Betroffen von diesem Zustand, bat er um die Zustimmung zur Errichtung einer kleinen Gedenkstätte auf dem Waldfriedhof für „Alle Toten“. Dem wurde nicht nur zugestimmt, auch etliche heutige Bewohner Tilsits unterstützten diese Arbeiten, so Natalja Ponomarjewa und ihr Ehemann Alexander, ein Offizier der Russischen Armee. Vor einem zu erwartenden Besuch verlegte er in Eigeninitiative in einer Nacht mit etwa 30 freiwilligen Soldaten einen Plattenweg zum Gedenkkreuz. Ein Architekt aus Riga fertigte von sich aus den Plan für die Gedenkstätte. Es wären noch viele zu erwähnen.
Ein sehr wesentlicher Helfer und auch Sponsor war der inzwischen verstorbene Tilsiter Herbert Lettko aus Mainz, der den dortigen „Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge“, Kassel, für die Tätigkeit hier gewinnen konnte. Hierdurch wurden erst die Grablagen und die Zahl der noch erkennbaren Soldatengräber bekannt. Mit Schwierigkeiten und Hindernissen wurde nun in 15 Jahren der „Deutsche Soldatenfriedhof-Waldfriedhof“ gestaltet.
In dieses Areal, das jetzt zwangsläufig wieder auf fünf Hektar reduziert wurde, wurden 274 Tote aus der Umgebung umgebettet, wobei noch eine ganze Anzahl Schicksale durch die gefundenen Erkennungsmarken geklärt werden konnten.
An dieser nunmehr sehr schönen und würdigen Anlage arbeiteten gemeinschaftlich der Volksbund, die Stadtverwaltung Tilsits, die Stadtgemeinschaft Tilsit entsprechend ihren Möglichkeiten, insbesondere aber freiwillige deutsche und russische Helfer – aktive Soldaten wie Reservisten, Schüler und Studenten wie Handwerker, Angestellte und Beamte – mit. Es war eine imposante deutsch-russische Gemeinschaftsleistung, die das Motto des Volksbundes „Versöhnung über den Gräbern“ zur Wirklichkeit werden ließ.
Dieses bewies auch die Zahl der Gäste bei der (Wieder-)Einweihung des (Soldaten-)Friedhofes. Prof. Dr. Dieter Landgraf-Dietz vom Bundesvorstand des Volksbundes war ebenso erschienen wie Hubertus v. Kluge vom Landesverband Rheinland-Pfalz des Volksbundes, der russische Ressortchef Oleg Panasenko vom Ministerium für Kultur, der Oberbürgermeister von Tilsit Wjatscheslaw Swetlow.
Die Gedenkansprache hielt Hubertus v. Kluge; den eigentlichen Akt der Weihe nahmen gemeinsam Probst Heye-Osterwald von der evangelisch-lutherischen, Pater Andrus von der katholischen und Vater Nikifor von der russisch-orthodoxen Kirche vor.
Die regionale und überregionale russische Presse, darunter die „Prawda“, sowie Hörfunk und Fernsehen waren dabei.
Möglich wurde dieses alles erst durch den Präsidenten des Volksbundes, Reinhard Führer, der die Grundsatzentscheidung für diesen Friedhof fällte. Der Geschäftsführer des Landesverbandes Rheinland-Pfalz des Volksbundes, Waldemar Kulpe, und seine Helfer aus dem Süddeutschen vollbrachten den ersten Teil des Aufbaus. Die Verbindungsarbeit zwischen dem Volksbund und der Stadtgemeinschaft leistete deren Vorstandsmitglied Alfred Rubbel. Stefan Dworak schließlich übernahm es, die Einweihungsveranstaltung zu planen und organisieren. Den Soldatenfriedhofes auch zukünftig in Ordnung zu halten, dazu hat sich die in der Nähe liegende Schule Nummer 2 bereit erklärt, die diese Aufgabe auch schon in der Vergangenheit verantwortungsvoll wahrgenommen hat. |
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