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Einheitsfront gegen die Opfer

 
     
 
Karl Feldmeyer, langjähriger Korrespondent der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" in Bonn und Berlin, wird für sein journalistisches Lebenswerk mit dem Theodor-Wolff-Preis ausgezeichnet. Wir nehmen dies zum Anlaß, einen Text zum Thema "Enteignungen in der SBZ 45-49" zu dokumentieren, der auf einer Rede Feldmeyers in Hannover - in Anwesenheit des Ministerpräsidenten Christian Wulff - basiert.

Jeder von uns weiß, daß der endgültige Verlust von Eigentum viele Menschen hart trifft, denn es geht um mehr als um einen bloßen Vermögensgegenstand", so Bundeskanzler Helmut Kohl
am 30. Januar 1991 vor dem Bundestag. "Das gilt vor allem für jene, die zwischen 1945 und 1949 auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage enteignet wurden. Für die Betroffenen war eine andere Lösung in den schwierigen Verhandlungen des vergangenen Jahres nicht zu erreichen. Der Fortbestand der Maßnahmen zwischen 1945 und 1949 wurde von der Sowjetunion zu einer Bedingung für die Wiedervereinigung gemacht. Ich sage klar: Die Einheit Deutschlands durfte an dieser Frage nicht scheitern."

Dem hat Gorbatschow vielfach widersprochen; der damalige Innenminister Schäuble, der den Einigungsvertrag einschließlich der Beibehaltung der "Bodenreform" ausgehandelt hat, hat nach langem Schweigen in einem Interview in der "Welt" erklärt, er habe diese Behauptung nie erhoben, es sei ihm darum gegangen, den Bürgern der DDR die Aufhebung der "Bodenreform" zu ersparen. Auch Helmut Kohl hat nicht dementierten Berichten zufolge inzwischen eingestanden, daß die Behauptung, die er dem Bundestag gegeben hatte, nicht zutrifft.

Somit ist festzustellen: Erstens, daß das Parlament vorsätzlich getäuscht und seine Zustimmung unter Vorspiegelung falscher Fakten herbeigeführt wurde; zweitens, daß auch das Bundesverfassungsgericht sein Urteil unter Zugrundelegung von Fakten gefällt hat, die unzutreffend waren. Und zwar all dies absichtlich. All das ist seit Jahren öffentlich bekannt.

Nicht weniger erstaunlich ist, daß dies zu keinerlei Reaktionen geführt hat. Weder hat das Bundesverfassungsgericht Anstoß daran genommen und sich genötigt gesehen, sich über den Sachverhalt ein eigenes Bild zu machen und gegebenenfalls sein Urteil vom April 1991 zu korrigieren, noch hat sich der Bundestag für den Sachverhalt interessiert und sich mit dem dringenden Verdacht befaßt, betrogen worden und hierdurch an einer Verletzung des Grundgesetzes und seiner Eigentumsgarantie beteiligt worden zu sein.

Jeder der Sachverhalte, die ich hier erwähne, gibt in jedem normalen Rechtsstaat als Ungeheuerlichkeit, die rechtliche wie politische Konsequenzen hat. Was ist Nixons Watergate-Skandal, der ihn das Amt gekostet hat, gegen diese Vorwürfe? Nicht einmal "peanuts".

Aber nicht nur dies unterscheidet die Bundesrepublik. Anders ist auch das Verhalten der Öffentlichkeit und der Medien. Sie haben offenkundig alle kein Interesse daran, daß diese Vorgänge geklärt und aufgearbeitet werden. Der Grund dafür ist uns bekannt: Es gibt eine Einheitsfront gegen die Betroffenen, "die Junker". Sie werden faktisch aus dem Prinzip der Gleichheit aller vor dem Recht ausgenommen.

Derselbe Kanzler, der dies zu verantworten hat, hat die Formulierung von der "Gnade der späten Geburt" geprägt. Er meinte damit den Umstand, daß er und seine Generation dadurch, daß sie zwischen 1933 und 1945 zu jung gewesen waren, um in schuldhaftes Handeln verstrickt werden zu können, Glück gehabt hätten. Zu dieser Gnade gehört aber auch, daß sie die Chance enthält, aus der Erfahrung zu lernen.

Hat er das gelernt? Hat das die politische Klasse der Bundesrepublik gelernt? Ich kann diese Frage nicht mit Ja beantworten. Was Kohl und seine Regierung, was die Parteien, die Medien und die öffentliche Meinung in Sachen Bodenreform zu vertreten haben, ist die Ausgrenzung der von den Kommunisten Entrechteten und Enteigneten aus der Anwendung des Prinzips der "Rechtsgleichheit für alle". Und das stellt sich für mich als Rückfall dar. Mir fällt als Beleg hierfür das Reichsbürgergesetz vom September 1935 ein, das mit der Einführung einer heimtückischen Unterscheidung zwischen Reichsbürgern und Staatsangehörigen des Deutschen Reiches die rechtliche Diskriminierung der Juden vollzog. Von Mord und Totschlag war in diesem Gesetz natürlich nicht die Rede, sondern "nur" von der Aberkennung der Befähigung, Beamter, Arzt, Rechtsanwalt, Unternehmer zu sein. Es gibt Juristen, die es für bemerkenswert halten, daß dieses Gesetz rechtstechnisch ganz einwandfrei gewesen sei. Und es gab hochqualifizierte Juristen wie Globke und E. R. Huber, die das genau so sahen und kommentierten.

So groß die Unterschiede zwischen beiden Sachverhalten, zwischen 1935 und 1991, ansonsten auch sind, eines bleibt festzuhalten: In beiden Fällen geht es um die Ausgrenzung einer Gruppe aus der Rechtsgemeinschaft nicht nur durch Gesetze, sondern durch die Außerkraftsetzung des Grundgesetzes. In meinen Augen macht dies die Bedeutung des Vorganges aus, mit dem wir es zu tun haben. Daß hierdurch die rechtlichen Eigentümer ihres Eigentums beraubt bleiben - diesmal durch die Entscheidung eines Staats, der Rechtsstaat zu sein beansprucht -, ist

eine Ungeheuerlichkeit und dennoch nachgeordnet, wenn man erkennt, daß es hier um viel mehr geht, nämlich um den Rechtsstaat selbst. In Goerdelers nie gehaltener Regierungserklärung wurde die Wiederherstellung der Unverletzbarkeit des Rechtes als oberstes Ziel der Absetzung Hitlers genannt. Heute werden er und seine Mitverschworenen als Blutzeugen des demokratischen Deutschland in Anspruch genommen und auch dieses Jahr wieder am 20. Juli gefeiert. Ihnen das 1945 von den Kommunisten geraubte Eigentum zurückzugeben aber ist die Bundesrepublik nicht bereit. Axel von Busche, der sein Leben geben wollte, um die Welt von Hitler zu befreien, mußte erleben, daß ihm die Rückgabe verwehrt wurde. Er starb 1994 enttäuscht und verbittert ob des Verhaltens seiner vermeintlichen Freunde, und er ist nur einer von vielen Betroffenen. Die Weigerung der Regierenden, sich unter das Recht zu stellen, statt sich darüber hinwegzusetzen, geht einher mit dem Verlust der Fähigkeit, sich zu schämen.

Das ist der Befund, zu dem ich gekommen bin. Er ist bitter. Für mich besonders beklemmend ist dabei das Verhalten des Bundesverfassungsgerichtes. Zumindest für einen Nichtjuristen wie mich ist es schlicht unbegreiflich, daß es nicht bereit war, sein Urteil von 1991 zu prüfen, nachdem begründete Zweifel an den Fakten aufgekommen waren, auf denen sein erstes Urteil gründete. Zur Begründung werden - so vermute ich - Verfahrens- oder Zuständigkeitsaspekte in Anspruch genommen. Das ist eine Fachdiskussion unter Juristen, die ich ihnen überlasse. Für mich ergibt sich eine ganz andere Erklärung. Sie findet sich in dem Sammelband "Wiedergutmachungsverbot?", der 1998 erschienen ist. Darin bezweifelt der ehemalige Verfassungsgerichtspräsident und spätere Bundespräsident Roman Herzog, daß es der Gerechtigkeit diene, das erlittene Unrecht bei denen wiedergutzumachen, bei denen dies sachlich noch möglich ist, weil der enteignete Grund und Boden ja noch existiert, während anderes Unrecht, wie Haft oder Zwangsadoption nicht rückgängig gemacht werden könnten. "Ist es gerecht, einen kleinen Teil der Unrechtsopfer voll zu entschädigen, wenn man weiß, daß es bei allen anderen nicht mehr möglich ist?" fragt Herzog und läßt erkennen, daß der damalige Vorsitzende des Zweiten Senats, der die Sache zu verhandeln hatte, die Rückgabe als nicht gerecht ansah. Das ist eine Haltung, die dem Grundsatz aller Rechtspflege widerspricht, daß es keinen Anspruch auf Gleichheit im Unrecht gibt.

Ich schäme mich, daß es heute in Deutschland wieder möglich ist, einen Teil der Bevölkerung von den Grundrechten des Grundgesetzes auszunehmen, ohne daß die Öffentlichkeit sich empört. Ich schäme mich dafür, und ich sage das hier auch öffentlich. Denn ich möchte später nicht zu denen gehören, denen nachgesagt wird, sie hätten nichts getan, als sich das in Deutschland ereignet hat.
 
     
     
 
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