|
Heute sollte es ein ganz besonderer Tag werden. Ein großes Hochzeitsfest war angesagt, und da sollte die ganze Sippe zusammenkommen, Familienmitglieder, die sich schon einige Zeit lang nicht gesehen hatten. Einige kamen von weit her, und jeder hatte zugesagt und sie wollten sich im Dorfkrug treffen und gemeinsam feiern. Denn dieser Anlaß war so richtig dazu geeignet, jeder freute sich schon darauf, besonders wir Kinder.
Deshalb gab es schon Wochen vorher riesige Aufregungen: was ziehe ich nur an, kommt auch die Hausschneiderin zur rechten Zeit, bekomme ich einen Termin bei der Friseuse? Ja, und heute war es soweit! Das neue Staatskleid hing im Schrank, die guten Pumps waren gewienert und warteten auf die Stunde des großen Beginns.
Jetzt aber noch der Friseurtermin und ich durfte mit, denn auch ich sollte Locken gedreht bekommen. Also stiegen Muttchen und ich die paar Stufen zum Friseursalon Kunkel hinauf, von der Chefin schon erwartet. Links war der Salon für Herren. Da saßen sie wartend und artig an weißen Waschbecken auf ihren Ledersesseln mit papierbezogenen Nackenstützen und beobachteten mit Argusaugen die Gehilfen im Spiegel, ob sie die Haare auch richtig stutzten und den Nacken ordentlich ausrasierten. Einer von den Herren ließ sich mit dem Pinsel Schaum ins Gesicht schmieren, so daß die Seifenschaumflocken nur so in der Gegend herumflogen. Ganz rasant glitt dann ein schmales Messer an einem Lederriemen entlang, der an einem Haken an der Wand hing. Da wurde mit Inbrunst und schwungvollem Elan auf- und abgestrichen, und Herr Kunkel schaute seinen Kunden bedeutungsvoll und ermutigend dabei an. Die Blicke trafen sich abschätzend im Spiegel, der Meister siegessicher, der Kunde aber doch etwas unsicher, sorgenvoll und beklommen. Da, der schnelle Griff zur Nase und schon war das Messer an der Wange, schwebte geradezu und schabte den Schaum samt Bartstoppeln behutsam herunter.
Etwas mulmig war mir dabei schon, als ich gespannt zusah, wie das Rasiermesser auch an dem hüpfenden Adamsapfel vorsichtig entlang fuhr. Was war ich froh, daß ich kein Herr war! Jetzt noch eine kräftige Dusche aus dem Parfümzerstäuber und der frisch rasierte, haargeschnittene, duftende Herr verließ nach dem Bezahlen erleichtert und tief aufatmend den Salon.
Nun aber schnell in den Damensalon, wo es so merkwürdig nach in den Augen beißenden Essenzen roch. In einem Korbsessel machte ich es mir bequem, vor mir ein Tischchen mit Zeitschriften und Journalen der neuesten Frisuren. Muttchen wurden gerade die Haare gefönt und als dann zwei Lockenscheren aus einer Schublade hervorgesucht wurden, war meine Neugier grenzenlos.
Neben dem großen Wandspiegel wurden links und rechts Metallarme herausgeklappt und mit einem brennenden Streichholz schnell und geschickt über kleine Öffnungen auf der Oberfläche der Metallarme entlanggestrichen. Im Nu züngelten kleine zartblaue Flämmchen heraus und darauf wurden nun die Haarscheren zum Erhitzen gelegt. Frau Kunkel nahm einen Streifen Krepp-papier und klemmte ihn in der heißen Lockenschere ein. Dieser wurde schnell gelb, und es roch versengt. Die Prozedur wurde mehrmals wiederholt, bis das Papier nicht mehr angesengt zurückblieb. Dann noch einmal durch die Luft gewirbelt, vorsichtig unter die Nase und an den Mund gehalten, und wenn die richtige Temperatur erreicht war, dann, ja nur dann, klapperte die Lockenschere durch das zu bearbeitende Haar. Es wurde abgeteilt, gekämmt, gekringelt, in Wellen gelegt und einmal nach links und wieder nach rechts gezogen, mit Wellenreitern festgehalten, bis die Haare ausgekühlt und in ihrer endgültig gewollten Form liegen blieben. Ondulieren hieß diese Methode und war eine Kunstfertigkeit, die ich nur bewundern konnte.
Inzwischen saß ich auch schon vor dem Spiegel und die Brennschere wuselte durch mein Haar, ziepte mal dort, mal da, hier eine Locke, da ein Korkenzieher, dort auch noch einer, und zum krönenden Abschluß kam oben drauf mitten zwischen die Locken eine große Harrschleife aus kariertem Taft. Natürlich passend zum neuen Kleid. Wie hypnotisiert hatte ich mir alles gefallen lassen, wortlos zugeschaut bei dieser Hexerei, aber diese Polka-Locken - nein, das war nichts für mich - und erst dieser Propeller aus kariertem Schleifenband! Ich fand mich scheußlich und wollte so nicht mehr zur Hochzeit. "Stell dich nicht so an, einen Tag lang wirst du das doch aushalten können, und spiel mir ja nicht den Pomuchelskopp", meinte Muttchen. Mir war zum Heulen zumute, als aber alle, die im Salon waren, meinten, wie schön die Frisur geworden war, hielt ich meine Tränen zurück und ergab mich in mein Schicksal. Als Frau Kunkel mir als Trostpflaster ein kleines Parfümdös-chen zum Abschied zusteckte, war ich so einigermaßen beruhigt.
So schnell wie möglich wollte ich nur nach Hause, hoffentlich sah mich keiner auf dem Weg dahin. Ach, ich wünschte mir von ganzem Herzen: wäre ich doch nur unsichtbar! Zu Hause angekommen, schaute ich gleich in den Spiegel - und fand mich schrecklich anzuschauen. Tränen stiegen mir in die Augen und ich lief schnell zum Großvater, er sollte mich trösten! Der sagte nur: "Marjell, was haben sie bloß mit dir gemacht, das hast du dir gefallen lassen?" Das war der berühmte Tropfen, der das Faß zum Überlaufen brachte. Heulend lief ich nach draußen zur Pumpe, zog den Pumpenschwengel zweimal durch, hielt den Kopf unter den Wasserschwall, und die prachtvollen Locken samt karierter Seidenschleife waren dahin, aber mein Kinderherz, das doch etwas zaghaft klopfte, war wieder glücklich und zufrieden.
Muttchen sah mich an diesem Tag immer nur mit strengem Blick an, machte aber gute Miene zu diesem schlimmen Streich. Und Opa? Mit ihm sprach sie an diesem Hochzeitsfesttag kein Wort mehr.
Für herausragende ehrenamtliche Verdienste um die Heimatpflege wurde Rosemarie Sieglinde Winkler (vierte von rechts), Vorsitzende der Ost- und Westpreußen in Buchen, durch den Arbeitskreis Heimatpflege Regierungsbezirk Karlsruhe mit der Ehrennadel ausgezeichnet. Regierungspräsidentin Gerlinde Hämmerle nahm die Ehrung persönlich vor und würdigte dabei den Einsatz von Rosemarie S. Winkler für die unermüdliche Pflege der Beziehungen zur Heimat in Ostdeutschland, Westpreußen und Pommern. EB
|
|