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Jedes Jahr, wenn die Temperaturen unter den Nullpunkt sinken, brechen Dr. Klaus Gessler, Bernd Peter Schäfer und der in Jorksdorf, Kreis Labiau, geborene Autor aus Clausthal-Zellerfeld im Harz mit ihren Eisyachten nach Masuren auf, um auf dem Spirdingsee ihrer Leidenschaft, dem Eissegeln, einer nur wenigen bekannten Wintersportart, nachzugehen.
Orte, in denen dies möglich ist, sind rar. Voraussetzung sind tiefe Temperaturen mit geringen Niederschlagsmengen und immer wieder plötzlich einsetzendes Tauwetter im Wechsel mit Frostperioden, die auf vorhandenen Alteisflächen das sogenannte Schwarze Eis bilden. In Ostdeutschland waren die vielseitigen Reviere für Renn- und Fahrtensegler schon vor dem Zweiten Weltkrieg das Kurische und das Frische Haff sowie die gesamte masurische Seenplatte. Schon der Vater und Großvater des Autors haben auf dem Mauersee mit einfachen selbstgebauten Geräten begeistert Segelversuche unternommen.
Die weite beschwerliche Fahrt nehmen die drei auf sich, weil in den östlichen Regionen der Republik Polen für das Eissegeln die zuvor beschriebenen idealen Voraussetzungen geradezu vollständig gegeben sind.
Rund 1.000 Kilometer nonstop wird auf zwei Trailern die Ausrüstung einschließlich zwei Flugzeugmotoren und diversen Spezialwerkzeugen via Berlin, Frankfurt an der Oder, Osterode und Allenstein nach Nikolaiken transportiert. Am Ufer des 122 Quadratkilometer großen Spirdingsees werden die drei Eisyachten, auf denen insgesamt 16 Personen Platz haben, aufgerüstet. Nach Bestimmung der Windgeschwindigkeit und der Windrichtung beginnt der eigentliche Spaß. Mit bis zu 100 Kilometern in der Stunde rasen die Yachten mit einer Segelfläche von je rund 15 Quadratmetern auf drei messerscharf geschliffenen Kufen kilometerweit über das Eis. Infolge des geringen Reibungswiderstandes und der Ausnutzung des eigenen Fahrtwindes erreichen die Segler bei einem leicht raumen Kurs eine Geschwindigkeit, die etwa drei- bis viermal so hoch ist wie die tatsächliche Windgeschwindigkeit. Eissegeln ist auch dann schon möglich, wenn der Wind kaum wahrnehmbar ist.
Bei jedem Start ist ein Anschieben des Seglers durch die Besatzung erforderlich, um die notwendige Anfangsgeschwindigkeit zu erreichen. Bei den größeren der drei Eisyachten erfordert dies viel Kraft. Hier haben die drei die Idee des Maschinenbauingenieurs Dr. Klaus Gessler umgesetzt und montieren von Fall zu Fall zur Erleichterung dieser Schwerstarbeit am Heck der Segler Propellermotoren, wie sie bei Leichtflugzeugen verwendet werden. Diese Motoren sind auch schon einmal zum Einsatz gekommen, wenn der Wind plötzlich einschlief und ein Zurück-schieben der schweren Segler ans Ufer über zehn bis fünfzehn Kilometer unmöglich gewesen wäre. Kaum vorstellbar, wie die im Winter schnell hereinbrechende Nacht bei eisiger Kälte wohl hätte überstanden werden können. Es ist schon jedesmal eine aufsehenerregende Angelegenheit, wenn ein Motor angeworfen wird und der Segler mit ohrenbetäubendem Geräusch über das Eis rast. Auch ist es schon vorgekommen, daß andere verunglückte Segler - auch schon mal mit verletzten Personen - auf diese Art und Weise schnell zum rettenden Ufer geschleppt werden konnten.
Bei sportlichen Regatten auf dem Eis gibt es eine abgesicherte Rennstrecke mit Rennleitung, Hilfsmannschaften und Sanitätern entlang der gesamten Strecke. Wenn aber die drei sich mit ihren Eisyachten auf den Weg machen, sind sie allein auf sich gestellt. Ausgerüstet mit Schutzanzügen, Schutzbrillen und Sicherheitshelmen sowie jeder Menge Ersatzteile, und Werkzeugkisten geht es auf eine weite Reise. Und dann stellen sich auch schon die ersten Hindernisse ein. Je größer die Eisfläche ist, um so höhere Spannungen wirken auf das Eis. Plötzlich taucht bei schneller Fahrt ein gewaltiger Riß auf. Die Fahrt wird verlangsamt. Es muß eine Stelle gefunden werden, die es ermöglicht, die weit auseinanderklaffende Spalte zu überqueren. Die Spalte wird enger, aber dann sind die beiden Eiskanten im weiteren Verlauf übereinandergeschoben. Nur nicht gegen die rund einen halben Meter hohe Verwerfung fahren, das würde bei dem hohen Tempo dem Segler und der Mannschaft nicht gut bekommen. Man überlegt noch, ob man anhalten und den Segler vorsichtig über das Hindernis bugsieren soll, da findet sich eine geeignete Stelle, an der dann der Segler im rechten Winkel über die Kante gelenkt wird. Ein lautes Krachen und Rumpeln der Kufen, Pilot und Mitfahrer werden kräftig hin- und hergeschüttelt. Die Kante der Sitzluke verursacht einige blaue Flecken im Bereich der Rippen - es ist geschafft! Sofort nach dem Dichtholen des Segels nimmt der Segler wieder volle Fahrt auf.
Und dann ist da noch das Problem des oftmals sehr dünnen Eises im Bereich von Zuflüssen oder über sehr tiefen Stellen, an denen das Eis langsamer gefriert und nur sehr dünne, von oben nicht erkennbare Eisschichten bildet. So mancher Eissegler hat an solchen Stellen schon mal eine Wasserlandung hingelegt, und das bei Temperaturen weit unter dem Gefrierpunkt. Auch nicht gerade einfach ist das Anhalten. Eissegler haben nämlich keine Bremse. Also muß das Fahrzeug in den Wind gedreht werden. Bedingt durch die äußerst geringe Reibung der Kufen auf dem Eis ist die Fahrt damit aber noch lange nicht beendet. Hier helfen dann aber schnell nacheinander ausgeführte Wenden und Halsen, bei dem die über ein Lenkrad steuerbare Vorderkufe eine nicht unwesentliche Rolle spielt.
Einmal in Fahrt und das Segel schnell dichtgeholt, ergeben sich Schubkräfte, die bei gutem Eis und starkem Wind die Fahrzeuge fast wie Sportwagen beschleunigen. Bei der rein sportlichen Version der Eissegler - ähnlich den kleinen Strandseglern - wurden schon Höchstgeschwindigkeiten von über 200 Stundenkilometern (Weltrekord) erreicht. Europa- und Weltmeisterschaften werden vorwiegend in Nordamerika, Schweden und der Republik Polen ausgetragen.
Eissegler in der Größe, wie sie die Clausthaler Sportfreunde verwenden, kann man nicht kaufen. Die Yachten werden in der Werkstatt von Klaus Gessler in Handarbeit angefertigt. Hierbei legt er auf technische Perfektion ebenso großen Wert wie auf eine elegant geformte Konstruktion des Rumpfes, der Läuferplanke und des tragflächenförmig geformten Mastes. Für jeden der vier bisher fertiggestellten Neubauten, bei dem jeder eine neue Dimension erhalten hat, werden mehr als 500 Arbeitsstunden benötigt. Die neueste Konstruktion, die kurz vor der Fertigstellung steht, bietet neun Personen Platz, wobei zwei in je einem Beiwagen, ähnlich wie diese bei Motorrädern verwendet werden, Platz finden.
Ein Erlebnis ist eine Reise in die Republik Polen allemal. Und nicht zuletzt, weil, wie es schon jeder aus seinem eigenen Bekanntenkreis berichten kann, ein Auto spurlos verschwindet. Auch die drei Clausthaler haben schon mit der Bahn ihre Rückreise antreten müssen, wobei die gesamte Ausrüstung in der Republik Polen zurückgelassen wurde. Dennoch ist die schnelle Fahrt auf dem Eis in zweierlei Hinsicht ein Erlebnis ganz besonderer Art, das für alle Unwegsamkeiten eine Entschädigung ist. Einmal ist es das faszinierende Gefühl, wie von Geisterhand angetrieben und schubkraftartig beschleunigt, weite Strecken zurücklegen zu können. Mit zunehmender Geschwindigkeit bläst dem Piloten und den Mitfahrern der von der Vorderkufe aufgewirbelte Eiskristallstaub hart ins Gesicht, während die Kufen auf dem Eis sowie der Wind im Segel und in den Wanten aus Stahlseilen Klänge verursachen, die sich zu einer unbeschreiblichen Melodie vereinen. Und dann ist da noch diese faszinierend schöne Winterlandschaft Masurens. Vorbei an eingefrorenen Inseln, idyllisch gelegenen alten Gehöften, bei denen die Zeit stehengeblieben zu sein scheint, an einsamen Eisanglern und oft unter dem weinrot gefärbten Himmel der untergehenden Sonne: „Ein Erlebnis, an dem wir auch andere gerne teilhaben lassen würden“, sagen die drei Segelfreunde.
Interessierte können sich gern melden bei Klaus Suess, Paul-Ernst-Straße 1, 38678 Clausthal-Zellerfeld, Telefon 0 53 23/32 29, E-Mail: klaus.suess@freenet.de.
Mehr über das Eissegeln in Masuren ist auch unter folgender Internetadresse zu erfahren: www.mikolajki.of.pl.
Eissegeln: Ein Sport, der in Ostdeutschland Tradition hat.
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