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1932 veröffentlichte der englische Schriftsteller Aldous Huxley (18941963) sein bekanntes Buch "Schöne neue Welt", in dem er eine Welt entwirft, die von gezüchteten Menschen bevölkert wird. Nur in Reservaten leben noch ein paar "wilde" Menschen unter Bedingungen, die in etwa den heutigen entsprechen. Was Huxley noch als Science-Fiction-Roman konzipiert hatte, wird heute mehr und mehr Realität. Vor kurzem teilte der US-Forscher Craig Venter mit, daß sein Unternehmen Celera Genomics 99 Prozent des menschlichen Erbgutes entschlüsselt haben will. Ob diese Nachricht so nun zutrifft oder nicht, ist im Grunde genommen gleichgültig. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis das "Rätsel Mensch" vollkommen dechiffriert und endgültig zum Gegenstand ausschließlicher ökonomischer Interessen geworden ist. Die menschlichen Gene drohen zum Handelsgut der internationalisierten Ökonomie zu werden. Bereits jetzt haben einige wenige Konzerne die Marktführerschaft in Händen, deren unternehmerische Strategie das menschliche Leben auf die Prinzipien reiner Gewinnmaximierung zu reduzieren droht.
Einer der engagiertesten Kritiker der Gentechnik, der Amerikaner Jeremy Rifkin, spricht im Hinblick auf die Gentechnologie von einer "zweiten, synthetischen Genesis". "Zum ersten Mal in der Geschichte können wir die Erbanlagen von Lebewesen in unserem Sinne gezielt verändern", schrieb Rifkin vor kurzem in der "Welt". "Vor uns liegt eine Landschaft, deren Konturen in den Laboratorien rund um die Welt gestaltet wird." Andere, wie der Direktor des Max-Planck-Instituts für molekulare Genetik, Prof. Hans Lehrach, vertreten die Überzeugung, daß durch die Gentechnik eine große Zahl von Möglichkeiten eröffnet wird, um Krankheiten besser verstehen und behandeln zu können. Ziel der Gentechnik ist aus seiner Sicht einzig und allein die Verbesserung der Lebensqualität vieler Menschen. Falls sich Deutschland dieser Entwicklung verweigern sollte, so Lehrach düster, laufe es wieder Gefahr, eine Entwicklung, diesmal die biotechnische Revolution, zu verschlafen.
Vertreter der christlichen Kirchen haben bisher aus gutem Grund eher skeptisch reagiert. Nach Auffassung des katholischen Moraltheologen Johannes Reiter lägen "Nutzen und Mißbrauch dicht beieinander". Die Chancen lägen in der Grundlagenforschung, meint Reiter, befürchtet allerdings die Erstellung "individueller Genkarten", die zu einer Klassifizierung in "erbstarke und erbschwache Menschen" führen könnten. Gedanken, die der Philosoph Peter Sloterdijk vor kurzem angeblich politisch unkorrekt durchdeklinierte. "Es ist die Signatur des technischen und anthropotechnischen Zeitalters", so Sloterdijk, "daß Menschen mehr und mehr auf die aktive oder subjektive Seite der Selektion geraten." Deshalb schlußfolgert Sloterdijk, daß es "in Zukunft wohl darauf ankommen werde, das Spiel aktiv aufzugreifen und einen Codex der Anthropotechniken zu formulieren".
Es darf bezweifelt werden, ob ein derartiger Codex aufgrund der starken kommerziellen Interessen durchgesetzt werden kann. Die Jagd auf Mikroorganismen, Pflanzen, Tiere und Menschen mit seltenen Genen, von denen sich die verschiedenen Agrounternehmen satte Gewinnspannen erhoffen, ist nämlich längst eröffnet. Wir stehen vor der Schaffung einer künstlich produzierten, bioindustriellen Natur, die an die Stelle der natürlichen Evolution tritt.
Die kommerziell betriebene eugenische Zivilisation, auf die wir zusteuern, kommt einer endgültigen Verabschiedung theologischer Welterklärungsmodelle gleich. Der Mensch hat sein Schicksal selbst in die Hand genommen und sich damit an die Stelle Gottes gesetzt. Neben Huxley gewinnt damit ein Philosoph Bedeutung, dessen Todestag sich am 25. August zum hundertsten Male jährt: Friedrich Nietzsche. Dessen "toller Mensch" rief bekanntlich aus: "Was taten wir, als wir diese Erde von ihrer Sonne losketteten? Wohin bewegt sie sich nun? Wohin bewegen wir uns? Fort von allen Sonnen? Stürzen wir nicht fortwährend? Und rückwärts, seitwärts, vorwärts, nach allen Seiten? Gibt es noch ein Oben und ein Unten?" Treffender als Nietzsche hat niemand den hybriden Menschen, der sich von allen metaphysischen Bindungen gelöst hat, beschrieben. Bekanntermaßen stand Hybris in der christlichen Theologie, als sie noch Theologie war, als Synonym für die Sündhaftigkeit des Menschen.
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