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Welches kleine Mädchen möchte nicht Ballerina, Sängerin oder Schauspielerin werden? Auch kleine Jungs hegen häufig nach der Feuerwehrmann- und Polizistenphase den Wunsch, die Bühne zu erobern. So war es auch bei Paul Longino. Schon als Kleinkind wollte der heute 82jährige die Bretter, die die Welt bedeuten, für sich erobern. Märchenaufführungen im Tilsiter Stadttheater zogen den kleinen Jungen sofort in seinen Bann, und so durfte er dann auch im Kindertheater mitspielen.
Paul Longino verbrachte seine ersten dreizehn Lebensjahre in Ostdeutschland bei seinen Großeltern. Er wuchs in Tussainen, einem heute abgebrannten Rittergut, auf. Langeweile hatte er dort nie. Die vielfältige Natur bot für einen wilden Jungen genügend Abwechslung. Schon als kleines Kind wußte Paul Longino, wie er seine Mitmenschen um den Finger wickeln konnte, und so war es ganz selbstverständlich, daß, wenn Klein Paule eines der Nachbarhäuser in Tussainen betrat, ihm die jeweilige Hausherrin sein Lieblingsessen, Kartoffelflinsen, anbot. Seine Großeltern ließen den Jungen in einer sehr harmonisch en, behüteten Atmosphäre aufwachsen.
Als er dreizehn Jahre war, holte seine Mutter ihn in die Großstadt Hamburg. Wehmütig verließ er seine Großeltern und Ostdeutschland. Sein Großvater gab ihm vier Goldstücke mit auf den Weg und riet ihm, diese für Notfälle aufzubewahren. Hamburg entpuppte sich für den halbwüchsigen Dorfjungen schnell zum Abenteuer. Nach der Schule bekam er allerdings, da er nicht Mitglied in der Hitlerjugend war, keine Lehrstelle. Der Traum, Schauspieler zu werden, schien nicht realisierbar, und so verdiente er sich erst als Hilfsarbeiter und dann als Schiffsjunge ein paar Mark dazu. Für eine Weile vergaß der junge Mann seinen Traumberuf und reiste auf großen Schiffen um die Welt. Er wurde zum Nautiker ausgebildet, und abends stand er hinter der Bar oder tanzte mit den Damen zu flotter Musik.
Als der Krieg nahte, setzte sich Paul Longino nach New York ab, doch dort faßte ihn die Ausländerpolizei und schickte ihn nach Deutschland zurück, wo ihn die Gestapo auf ein Kriegsschiff beorderte. Der Kriegsdienst auf dem grauen, tristen Schiff zwang auch Paul Longino, seine Berufswünsche erst einmal auf Eis zu legen. Zu allem Übel geriet er in sowjetische Gefangenschaft, doch dort retteten ihn die Goldmünzen seines ostdeutschen Großvaters, die er sich in seine Hose eingenäht hatte. Mit den Münzen und seinem Charme kaufte er sich bei einer russischen Ärztin die nötigen Entlassungspapiere und erreichte so schon Ende 1945 die Tore Hamburgs.
In Hamburg erwachte der Wunsch, Karriere als Schauspieler zu machen, zu neuem Leben. Und nach einigen Bemühungen ergab es sich, daß Paul Longino in kleinen Theaterstücken mitspielte. Doch so schön die Arbeit auf der Bühne und so berauschend der Applaus des Publikums auch waren, so schwierig war das finanzielle Auskommen, vor allem in der Zeit nach dem Krieg. Zudem hatte Paul Longino inzwischen seine Dorothea, Kassiererin an der Theaterkasse, geheiratet und fühlte sich daher verpflichtet, regelmäßig Geld mit nach Hause zu bringen. Mit Hilfe eines Freundes bekam er eine Stelle bei der Berufsfeuerwehr angeboten, und schweren Herzens stellte er seinen Traum hinten an. Allerdings gab er ihn nicht auf. Jede freie Minute verbrachte er als Kleindarsteller und verdiente sich somit auch noch einiges hinzu.
Nach zwölf Jahren bei der Berufsfeuerwehr ergriff der Vater von inzwischen zwei Kindern die Möglichkeit, in die Baubehörde zu wechseln. Die im Vergleich zur Feuerwehr moderateren Arbeitszeiten ermöglichten es ihm, seinen Nebenjob auszuweiten. In der US-Produktion „Verrat auf Befehl“ erhielt er neben William Holden eine kleine Sprechrolle im Film, doch mußte er erkennen, daß sein Typ, schwarzhaarig und hager, leider nicht sonderlich gefragt war, und so blieb es stets bei kleinen Engagements.
Dann kam das Alter mit den weißen Haaren und den Falten. Und während andere Menschen sich hinter den Ofen zurückziehen, blühte Paul Longino geradezu auf. Für die Rolle des sympathischen alten Herren schien er wie geschaffen und so warb er für Tchibo, eine Lottogesellschaft, für Iduna Nova und zuletzt für den Hamburger Energieanbieter Hein Gas.
Obwohl der Rentner seine Zeit auch gerne bei der Gartenarbeit und auf Reisen verbringt, füllen Foto- und Filmaufnahmen, Theater- und Chorproben seine Zeit ebenso aus. Ehefrau Dorothea sieht das häufige Fernbleiben ihres Mannes gelassen, er ist eben viel zu unternehmungslustig, um zu lange ruhig zu Hause zu bleiben. Vor zwei Jahren war Paul Longino mit dem Bavaria-Chor für drei Wochen in Japan auf Tournee, und natürlich hat er schon mehrmals seine ostdeutsche Heimat besucht. Der Besuch dort hat ihn allerdings ein wenig traurig gestimmt, denn in Tussainen sieht fast nichts mehr so aus wie damals. Zu den dort lebenden Menschen hätte er gerne näheren Kontakt.
Paul Longino hofft, noch viele Erlebnisse als Kleindarsteller zu sammeln. Jeder Auftrag bringt schließlich nicht nur Geld, sondern auch Spaß, und der ist unbezahlbar. So erinnert er sich an Filmaufnahmen für das Studio Hamburg. In gleißender Sonne warteten er und einige weitere Darsteller vier Stunden im Abendanzug auf ihren Auftritt, bis man ihnen mitteilte, daß sie versehentlich einen Tag zu früh bestellt worden waren. Was für andere ärgerlich ist, trug Paul Longino mit Humor und erschien am nächsten Tag guter Dinge abermals zum Dreh. Fritz Hegelmann
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