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Immer wieder wird nach dem Märchen der Königsberger Schriftstellerin Charlotte Wüstendörfer "Far e Dittke nuscht" gefragt. Es stand in den Lesebüchern und blieb vielen älteren Ostdeutschland noch so gut in Erinnerung, daß sie zumindest die Anfangsworte sagen können: "Et weer emoal e Buersche, de wulld op Hochtiet goane ..." Charlotte Wüstendörfer hat es in samländischem Platt geschrieben - und das verstehen leider viele Leserinnen und Leser nicht. Das ist sehr schade, denn nur in Platt behält das Märchen seine Urwüchsigkeit. Trotzdem haben wir einmal den Versuch gewagt, es in Hochdeutsch zu erzählen - aber mit plattdeutschen Dialogen, um die Ursprünglichkeit weitgehend zu bewahren und erkennbar zu machen. So ist der Inhalt ohne weiteres auch für Nichtkenner ostdeutscher Mundart zu verstehen, und auch die Bewahrer des Plattdeutschen werden zufrieden sein. Vielleicht wird gerade durch diese Form das Interesse am Niederpreußischen - wie das ostdeutsche Platt genannt wird - geweckt.
Es war einmal eine Frau in unserem Dorf, die wollte zu einer Hochzeit gehen. Und wie sie sich nun fein ausstaffiert, merkt sie, daß sie keine Haarnadeln hat. "Hans", ruft sie, "min Sään, renn doch moal enne Stadt und bring mir far e Dittke Hoarnoadels. Oaber spood di!"
Was nun der Hans war, das war schon ein ganz guter Jung. Er war bloß ein bißchen dammlich. "Wat?" fragt er auch gleich, "Mutterke, wat sull ek bringe?" - "Hoarnoadels!" sagt die Mutter. Hans setzt sich sein Mützchen auf und fragt: "Wat sull ek doch all bringe?" - "Hoarnoadels!" sagt die Mutter. Da ist er schon auf der Schwelle, aber dreht sich noch einmal um. "Wat sull ek doch all bringe?" - "Ach, Jung, Hoarnoadels, Hoarnoadels!" Da läuft der Hans auf den Hof, kommt aber noch einmal zurück. "Muttke, wat sull ek doch bringe?" - "Ach nuscht, du dammlicher Junge", sagt die Mutter boßig.
Und nun trabt der Hans die Straße lang und brabbelt immerzu vor sich hin: "Nuscht, nuscht, nuscht. Far e Dittke nuscht, far e Dittke nuscht!" Daß er das man bloß nicht wieder vergißt.
Bald kommt er an das Haff, das ist so weit und so blänkrig, und da sind auch ein paar Fischer, die hatten schon drei Tage nichts gefangen. Und nun trecken sie ihr Netz gerade wieder an Land und haben wieder nuscht gefangen. " n Dag ook", sagt der Hans und brabbelt weiter: "Far e Dittke nuscht, far e Dittke nuscht ..."
"Was?" ruft ein Fischer erbost, denn er denkt, der Jung will sie ärgern und zargen. "Du Lorbaß, du Lachodder, wat seggst du? Wacht man, du krigst jliek de Huck voll!" Und da hat er den Hans schon beim Wickel und tachtelt ihm eine. "Hochgeehrtet Heerke", grient de Jung, "wat soll ek denn segge?" - "Morje fang wi mehr!" sagt der Fischer und läßt ihn laufen.
Der Jung geht nun weiter und sagt immerzu: "Morje fang wi mehr, morje fang wi mehr!", daß er die richtigen Worte nun bloß nich vergißt. Da kommt ihm der Schandarm entgegen, der hat einen Spitzbuben beim Krepschull und will ihn grad ins Kalus, ins Kittchen, bringen. " nen Dag ook", sagt der Jung höflich, "morje fang wi mehr, morje fang wi mehr!" - "Wat?" schreit der Schandarm, "is so ein Hundsfott nicht genug? Du gottloser Jung, schlag an deine Brust und sag: Gott sie mir Sinder jnädig!"
Nun trabt der Hans weiter und sagt wie ihm befohlen: "Gott sie mir Sinder jnädig, Gott sie mir Sinder jnädig!" Dauert nicht lange, da kommt er an eine Schinderkaule, da ist der Abdecker grad dabei, einem toten Gaul das Fell abzuziehen. Der Jung will sich das näher besehen, bleibt stehen und brabbelt weiter: "Gott sie mir Sinder jnädig, Gott sie mir Sinder jnädig!" - "Wat?" schreit der Schinder, "ich war die helpe, so to spotte", greift sich den Jung und fängt an, ihm den Hintern zu verdreschen. "Wat sull ek denn segge?" grient der Jung und reibt sich den Dubs. "Pui, dat stinkt, pui, dat stinkt! Sullst du segge on doabi utspucke!" sagt der Schinder.
Und so brabbelt der Jung im Weitergehen immerzu: "Pui, dat stinkt, pui, dat stinkt!" Und spuckt dabei auf die Erde.
So kommt er an das Stadttor. Da geht gerade ein Leutnant mit seiner Braut spazieren. Der Jung bleibt stehen und bestaunt die Uniform mit den blankgewichsten Knöpfen und die schöne, feine Dame mit dem Hut voller Blumchen und spuckt dabei immer auf die Erde und sagt in einem fort: "Pui, dat stinkt, pui, dat stinkt!"
Aber das kann der Herr Leutnant nun ganz und gar nicht vertragen. "Solch ein ungewaschener Lümmel beleidigt meine Braut!" ruft er empört und greift nach dem Säbel. "Hochgeehrtet Herrke, wat soll ek denn segge?" granst der Hanske. "So was seh ich gern, so was seh ich gern!" sagt der Leutnant und streichelt den Arm seiner Braut.
Nun geht der Jung durch das Stadttor und brabbelt weiter: "Sowas seh ich gern, sowas seh ich gern!" Da kommt er an eine Schusterbude. Der Meister versohlt gerade seinen Lehrjungen. Der Hanske stellt sich hin und sagt: "So was seh ich gern, so was seh ich gern!" Da wird der Meister böse und schreit: "Soll ich das auch mal bei dir probieren?", und fängt an, auch ihn zu verwichsen. "Nee, nee", heult der Jung, "wat soll ek denn bloß segge?" - "Nuscht!" sagt der Meister. "Ach, nuscht!" freut sich der Hans, "dat es joa dat richtje Wort, nu weet ek et wedder: nuscht, nuscht, nuscht!"
So kommt er dann endlich zu dem Krämerladen und fordert für e Dittke nuscht. "Willst du mich ärgern?" fragt der Fitzelbandkrämer, "du kriechst gleich die Koddern voll!" - "Nee, nee, hochverehrtet Herrke", barmt der Jung, "was sull ek denn bloß segge?" - "Das kann ich doch nicht wissen, du dammlicher Jung. Wozu braucht ihr es denn?" - "De Mutterk bruukt es, de Hoar festtomoake!" - "War es ein Kamm?" - "Nee!" - "War es ein Band?" - "Nee!" - "Waren es vielleicht Haarnadeln?"
"Joa, joa, Hoarnoadels", schreit der Jung, "de Mutter wulld doch op Hochtiet goahn!" Und nun erzählt er dem Krämer die ganze Geschichte, und dem tut der Jung leid, und er tröstet ihn. Gibt ihm die Haarnadeln und schenkt ihm fünf Dittchen und sagt, damit soll der Jung sich man amüsieren.
Da ist der Hans nun wieder ganz karsch vor Freude und pest gleich nach Hause. Aber wie er nun zum Dorf kommt, steht da ein Karussell, das hat der Besitzer gerade aufgebaut und klingert nun laut: Ei, doa micht ek mitfoahre, denkt der Hans, oaber wohin mötte Hoarnoadels? Da kommt gerade das Heufuder von der Wiese. Hei, denkt der Jung, doa hest ok emoal Glück, und steckt die Haarnadeln ins Heu.
Und nun klettert der Jung aufs Karussell und fährt einmal und noch einmal - fünfmal, bis er keinen einzigen Dittchen mehr hat. Wie er nach Hause kommt, fragt die Mutter: "Wo hest de Hoarnoadels?" - "Na, die hest du doch all lang!" - "Erbarmung, du Lachodder, wa hest nu wedder jemoakt?" - "Noa, ek heb se ennt Heifoder ringestoche", sagt der Jung, "dat es doch nu all lang hier!" Ja, das war richtig, aber das Heu war schon längst abgestakt und lag auf dem Heuboden. Und da such mal einer Haarnadeln!
Das war es also: far e Dittke nuscht!
Oktober
Was für ein Laubtheater
wieder
gelbbraun zinnober
die Kulissen
der kürzeren Tage
mit Abschiedsszenen
vom Chlorophyll
im letzten Akt
die stärksten Farben
als ob erst schön wäre
was vergeh |
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