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Seit einer Woche ist das Berliner Holocaust-Mahnmal für das Publikum geöffnet. Das Interesse ist groß, die Reaktionen aber gedämpft, auch die offiziellen. Nur Lea Rosh hat erwartungsgemäß für einen ersten Eklat gesorgt durch ihre Ankündigung, den Backenzahn eines jüdischen NS-Opfers in einer Stele zu deponieren - für gläubige Juden ein Frevel.
Die ansonsten spürbare allgemeine Zurückhaltung muß nach der Heftigkeit, mit der jahrelang um das Denkmal gestritten wurde, verwundern. Der frühere Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) hatte es abgelehnt, weil er keine "Reuemeile" in der Mitte Berlins wollte. Den Befürwortern konnte die Anlage dagegen gar nicht groß genug sein. Das Denkmal sollte "unübersehbar" sein, "wehtun", wie ein riesiger "Stolperstein" wirken. Keine Frage, daß die Vertreter dieses Konzepts einen geschichts politischen Sieg errungen haben, der seinesgleichen sucht.
Doch statt Triumpfgeheul herrscht Betretenheit. Sämtliche Kommentatoren heben zwar pflichtgemäß hervor, wie schön, notwendig und erhaben die Anlage sei, doch gleichzeitig versichern sie tapfer, daß es überhaupt nicht monumental wirke - bei einer Größe von zwei Fußballfeldern eine gewagte Aussage -, ja daß die Spaziergänger es sogar mühelos links oder rechts liegenlassen können. Das klingt nach einem Realitätsschock und der Bitte um Entschuldigung.
Die Denkmals-Propagandisten beginnen zu realisieren, was sie angerichtet haben. Als sie für das Denkmal stritten, gingen sie - wie alle anderen auch - von einem kraftstrotzenden, Europa tendenziell dominierenden Deutschland aus. Berlin stellten sie sich als prosperierende Metropole mit fünf Millionen Einwohnern vor. Diese erfolgreiche Normalisierung sollte vom Denkmal subversiv unterlaufen werden. Und jetzt? Das Land ist nicht normal, sondern krank, und viele zweifeln, ob es überhaupt noch eine Zukunft hat. Das verarmte, von Verwahrlosung erfaßte Berlin scheint seinen künftigen Zustand vorwegzunehmen. Den Leuten schwant, daß das Mahnmal psychologisch für die deutsche Hauptstadt etwas ähnliches bedeuten könnte wie West-Berlin für die DDR: ein Loch mitten im Herzen mit den bekannten tödlichen Folgen.
Die Berliner Zeitung hat das Mahnmalsprojekt stets begrüßt, doch geheuer ist ihr das Ergebnis nicht: "Es gibt auf der Welt nichts Vergleichbares. Man muß sich nur vorstellen, in Washington würde gegenüber dem Lincoln-Memorial ein vergleichbar großes Mahnmal zum Gedenken an die Sklaverei eröffnet." Der Tagesspiegel, die Zeitung des West-Berliner Bürgertums (bzw. seiner Reste), der Mahnmals-Fraktion ebenfalls zugehörig, sinniert über "diesen gefrorenen Garten", von dem "ein seltsamer Sog" ausgehe, "als höre man die Worte aus Paul Celans ,Todesfuge : ,Wir schaufeln ein Grab in den Lüften, da liegt man nicht eng , die Stimme der ermordeten Juden". Was ist dieser "Sog" anderes als Todessehnsucht? Weil dem Autor diese Konsequenz unheimlich ist, behauptet er ein paar Sätze später, das Denkmal stehe "mitten im Leben".
Hier wird die Schizophrenie und Inkonsequenz der Vergangenheitsbewältiger deutlich. Das "gute" Deutschland handelte unter dem Vorwand, das "böse" austreiben zu wollen, nach dem Motto: "Nie wieder Deutschland!". Doch beruhte sein Treiben auf der stillschweigenden Voraussetzung und Annahme, daß dies nie Wirklichkeit würde und das Land trotzdem vital bliebe, vor allem der Sozialstaat und die ihn stützende Wirtschaft. Nun sieht man, daß die Axt an die Wurzel gelegt wurde und die als "Tätervolk" stigmatisierten Deutschen müde geworden sind. So hatten die Pfarrerstöchter und Sühnezeichen-Söhne sich das auch wieder nicht gedacht. Auch in Berlin hat man sich, statt sich um die Aufgaben der Gegenwart und Zukunft zu kümmern, auf vergangenheits- und symbolpolitische Wolkenschieberei konzentriert. Während Berliner Politiker von der "Brückenfunktion" der Stadt nach Osteuropa schwätzten, siedelten sich die Osteuropa-Filialen der großen Firmen und Konzerne in Wien an. Nun herrscht Depression.
Insofern trifft der neue Friedhof aus Stein die Stimmung in der Stadt und im Land. Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) sprach in seiner Eröffnungsrede von "einem Denkmal an der Grenze, einem Denkmal des Übergangs". Gut möglich, daß er recht hat. Zum 60jährigen Denkmalsjubiläum im Jahr 2065 wird man die letzten Deutschen in Rollstühlen herankarren, und mit zittriger Stimme singen sie: "Wir setzen uns mit Tränen nieder". Dann bringt man sie in ihre versifften Seniorenheime zurück, wo Magensonden, Dialyse- und Herz-Lunge-Maschinen auf sie warten. Und ein mißgelauntes, mehrheitlich muslimisches Pflegepersonal wird sich fragen: Wozu noch der ganze Aufwand?
Selbst seine einst glühenden Verfechter kommen mit dem fertigen Mahnmal nur schwer zurecht: Architekt Peter Eisenman, Initiatorin Lea Rosh, Bundespräsident Horst Köhler und Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (v. l.) während der offiziellen Erstbegehung des Berliner Holocaust- Mahnmals |
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