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Bei uns in Masuren setzte der Winter recht früh ein. Er kam häufig über Nacht. Die Menschen rückten dann in ihren Häusern ein wenig enger zusammen. An den Nachmittagen und Abenden saßen sie gemütlich um den wärmenden Kachelofen in den Wohnstuben, tranken Grog und erzählten Märchen und Gruselgeschichten. Die Frauen verrichteten dabei Handarbeiten. Es wurde viel gesungen. Draußen aber stand die klare Nacht über dem Dorf Kreuzofen. Man sah zu den funkelnden Sternen auf und dankte Gott für diese friedvolle Welt.
Sobald der Winter über Nacht die masurische Landschaft mit einem silberglänzenden Schneetuch zudeckte, galt es für uns Kinder, den vielfältigen Wintervergnügungen nachzugehen. Es mag zwar fast unglaublich klingen. Und doch ist es wahr! Der strenge Frost machte uns Kindern nichts aus. Wir waren ja draußen ständig in Bewegung! Und unsere Holzhäuser hatten den großen Kachelofen, der durch seine Schamottesteine eine gleichmäßige und angenehme Wärme in die Stuben ausstrahlte. Die zum Winter eingesetzten Doppelfenster waren fest mit Werg abgedichtet. Das aus dem Wald stammende Moos lag zwischen den Fenstern und hielt die Kälte zurück. Der Frost konnte der Wintersaat auch nichts anhaben, weil über dem Land eine dichte Schneedecke lag.
In der Regel begann unsere Winterfreude auf dem Niedersee. Sobald sich das erste Eis am Ufer bildete und noch recht dünn war, liefen und schorrten wir Kinder nebeneinander über das Biegeeis. Wir nannten das gefährliche Spiel "Gipsdecke-Laufen". Das ging so lange gut, bis wir bis zum Bauchnabel in das eiskalte Wasser einbrachen. Für die anderen bedeutete dieses Mißgeschick Schadenfreude. Oft erhielten wir zu Hause dafür eine Strafpredigt!
War die Eisdecke des Niedersees dick genug, liefen wir über die spiegelglatte Fläche Schlittschuh. Hierbei gab es verschiedene Arten des Vergnügens. Manche Jungen bastelten sich Segel, die sie bei günstigem Wind über das blanke Eis mit großer Geschwindigkeit jagen ließen. Es war ein bis dahin nie gekanntes Schnelligkeits- und Glücksgefühl! Andere wiederum setzten sich auf einen Rückerschlitten (Sukäh). Sie bewegten sich mittels eines Stocks, der eine Nagelspitze aufwies, mit kräftigen Armstößen zwischen den Beinen über das Eis.
Auch beim Karussellfahren ging es fröhlich zu. Ein Zaunpfahl war am Vortag in das Eis geschlagen worden, der einen Drehpunkt aufwies. Auf ihm war eine vier bis fünf Meter lange Holzstange befestigt worden, die von Schlittschuhläufern gedreht wurde. Die am Karussellbaum angebundenen Schlitten sausten in einer Rundfahrt über das blanke Eis, bis die Schlitten mit den Jugendlichen über das Eis wegrutschten und umkippten.
Beliebt war bei uns Kreuzofener Jungen auch der sogenannte "Eisfischfang mit dem Holzhammer" bei spiegelglattem und nicht zu dickem Eis. Sobald sich ein Fisch, vor allem in den flachen Schilfregionen zeigte, schlug man mit dem Holzhammer auf die Eisfläche. Der darunter schwimmende Fisch war betäubt und lag flach an der Wasseroberfläche. Es wurde anschließend ein Loch in das Eis geschlagen und der Fisch wanderte in den mitgeführten Jutebeutel.
Vergessen wollen wir nicht das Skilaufen bei Schneewehen von einem bis zwei Metern. Ja, in Masuren konnte man Ski laufen! Wir hatten zwei keine Berge wie im Harz oder in Bayern. Doch die masurische Landschaft ist geprägt von dem seenreichen Baltischen Höhenrücken zwischen der Kernsdorfer Höhe im Südwesten und dem Goldaper Hochland im Nordosten von über 300 Metern. Dazwischen liegen immer wieder steil ansteigende Hügel mit Fernsichten, bewaldete Wälder und blinkende Seen von ganz besonderem Reiz stiller und einsamer Unberührtheit.
Die Anhöhen bei Kreuzofen wurden "Katzenbuckel" genannt. Sie luden uns Jungen insbesondere an den steilen Hochufern des Niedersees bei Schneeverwehungen zu Abfahrten mit den Skiern und Schlitten ein. Wiederholt wurden am Niedersee sogar "Sprungschanzen" gebaut, die Sprünge bis zu 20 Metern zuließen.
Die Skier wurden meistens im Eigenbau unter Anleitung des Lehrers aus Fichtenbrettern hergestellt. Aber auch einen Meter lange und gebogene Faßbretter dienten als Skier. Die Bindung bestand aus Lederriemen oder zurechtgeschnittenen Stücken eines Fahrradmantels mit Drahteinlage. Sie wurden an die Tonnenbretter angeschraubt oder angenagelt.
Ein großer Teil der Rodelschlitten im Dorf war ebenfalls Eigenbau aus ganz einfachen Brettern, auf deren Gleitunterteil Draht eingezogen wurde. Auch in abgelaufenen Holzklumpen oder Holzschlorren ließ es sich gut den Rodelberg heruntergleiten. In langen gestrickten Wollstrümpfen, die an einem Leibchen befestigt waren, in kurzen Hosen und in Pullovern gingen wir mit dem Rodelschlitten zum Rodelberg hinter der Schmiede meines Großvaters Sayk auf Pjätrufka oder aber auf den Hügel bei Przetak auf dem Abbau Fischerei. Die Rodelbahnen waren glatt, lang und schnell, vor allem dann, wenn sie am Abend mit Wasser begossen wurden und vereist waren. Die Rodelbahn hinter der Schmiede führte bis zu den Wiesen im Bruch. Oft wurden wegen des schwereren Gewichts andere Kinder mitgenommen, weil es dann weiter hinunterging. Der Schlitten sprang auf den kleinen Unebenheiten des Berges einige Meter in die Höhe. Doch gerade das machte den Reiz des Rodelns aus. Wenn der hintere Fahrer nicht richtig mit den Füßen balancierte, kippte der Schlitten um und man lag auf der harten Rodelbahn. Doch auch auf dem Bauch liegend und mit den Füßen steuernd, sausten wir die Anhöhe hinunter. Hin und wieder wurde auf diesem Berg auch mit den schweren Rückerschlitten (Sukähs) abgefahren. Weil sei leicht umkippten und man auf ihnen schlecht sitzen konnte, gab es dann und wann Schrammen und blaue Flecken.
Wir Kinder bekamen von unseren Eltern die Rückkehrzeiten gesagt. Doch da wir keine Uhr besaßen, verließen wir die Rodelbahn erst, wenn die Dämmerung hereinbrach. Wir konnten uns von dem Rodelvergnügen nur schwer trennen.
Abends ging es durstig und hungrig nach Hause. Hier warteten auf uns eine Milchsuppe mit Klunkermus (Satscherki), eine große Schnit-te selbstgebackenen Schwarzbrots oder Bratkartoffeln. Anschließend mußten noch das Ausziehen der Kleidung und das Waschen überstanden werden, um müde unter den am Kachelofen vorgewärmten Oberbetten in den wohlverdienten Schlaf zu fallen.
Ich möchte in diesem Zusammenhang auch an die unvergessenen Spazierschlittenfahrten in Pelzen, in Decken, mit vorgewärmten Fußsäcken und Ziegelsteinen, mit ihrem wohlklingenden Schellen- und Glockengeläut an sonnigen Wintertagen durch den tief verschneiten Wald der Johannisburger Heide mit Ein- und Zweispännern erinnern. Wir Kinder durften bei diesen Gelegenheiten stehend ein Stück Weges auf den hinteren Kufen dieser vornehmen Spazierschlitten mitfahren. Heute, da ich älter geworden bin und fern der Heimat leben muß, wecken diese kindlichen Winterfreuden in mir Wehmut und Heimweh nach meiner masurischen Heimat!
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