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Für eine andere Politik könne er nicht stehen, beteuert der geteerte und gefederte Kanzler kerzengerade in die Kameras. Einen Richtungswechsel werde es mit ihm nicht geben. Rot-Grün wird also weiter schnurgeraden Kurs halten für und gegen neue Abgaben, für ein schnelleres, langsameres oder gleichbleibendes Reformtempo, für den Abbau von Vorschriften und den Aufbau neuer Vorschriften usw. Eine klare Absage erteilte Schröder jedwedem Richtungsstreit in der SPD, kurz bevor sämtliche Flügel seiner Partei in lautem Richtungsstreit aufeinander einzuprügeln begannen.
Ausgesprochen gereizt reagiert der Kanzler auf naseweise Vorschläge, sein Kabinett umzubilden. Schröder weiß: Niemand, der noch etwas vorhat im Leben, würde derzeit ernsthaft in Erwägung ziehen, freiwillig auf sein politisches Totenschiff zu springen und Minister zu werden. Aber einer muß es ja machen, wie man so sagt, und die Bürgerinnen und Bürger sollten "sich nicht länger der Verantwortung entziehen" dürfen. Anreize müssen her. Wie wär s mit einer "Kabinettsabgabe"? Jeder Bundesbürger mit abgeschlossenem Schulabschluß, der sich weigert, einen Posten in Schröders Ministerriege zu übernehmen, hat monatlich zu blechen. Mit dem eingenommenen Geld könnten finanzielle Anreize geschaffen werden fürs Ministerwerden, etwa per Aufstockung der Pensionen.
Derzeit sieht sich Finanzminister Eichel einem Pensionsanspruch von gerade 11.556 Euro monatlich ausgesetzt, Joschka Fischer bekäme schlappe 9.520 und der Kanzler selbst gar nur 8.937 Euro Gnadenbrot, wenn sie morgen aufs Altenteil gingen. Gut, um die Attraktivität des Jobs am Ministertisch nicht noch weiter absacken zu lassen, haben kluge Reformer die Politikeransprüche wenigstens aus allen Rentenkürzungen herausgehalten. Die Ansprüche von Sozialministerin Schmidt haben sich allein seit 2002 sogar um 22 Prozent erhöht. Doch offensichtlich reicht das nicht. Am schlimmsten ist der Bundespräsident dran. Der bekommt nach seinem Ausscheiden aus dem Amt überhaupt keine Pension. Rau, Herzog, Weizsäcker und Scheel müssen sich bis zum Lebensende mit ihrem Gehalt von derzeit 213.000 Euro jährlich (plus Zulagen, Dienstwagen und eigenes Büro auf Staatskosten) zufriedengeben.
Dafür sind die aber immerhin dem nervenden Tagesgeschäft der Parteipolitik enthoben und sehen - siehe Scheel - selbst Jahrzehnte nach Ende ihrer Amtszeit noch gut erholt aus. Parteipolitik macht insbesondere den Sozialdemokraten derzeit keine rechte Freude, zumal ihnen die Partei zur Politik in großen Schüben abhanden kommt. In einigen Orten des thüringischen Eichsfelds scheiterte die SPD bei der jüngsten Landtagswahl bereits an den fünf Prozent: In Rohrberg gaben bloß 4,9 Prozent der Schröderpartei ihre Stimme (CDU: 86,2), im Ort Lutter gar nur 3,7 (CDU: 82,0). Besserung in Sicht? Kaum, im September wählt Sachsen einen neuen Landtag. Dort errang die SPD letztes Mal 10,7 Prozent. Hier geht es in drei Monaten ums Ganze, um den Wiedereinzug der SPD in den Landtag. Vielleicht kann Müntefering ja eine Listenverbindung mit den sächsischen Grünen und der FDP zimmern, die schon 1999 mit 2,6 und 1,1 Prozent den Sprung nicht schafften?
Kleinparteien müssen in schweren Zeiten zusammenhalten. Das gebietet der demokratische Geist. Und die Verantwortung für die kommende Generation. Blaß vor Schreck angesichts des Schwundes an Mandaten für ihre Partei entfuhr es Ex-Juso-Chefin Andrea Nahles: "Was hinterlassen die uns eigentlich?"
So können nur Kleingeister fragen. Was man uns hinterläßt? Europa natürlich. Ein Vorbild an demokratischer Reife haben uns die Völker der östlichen Neumitglieder präsentiert. Die haben verstanden, daß dieses Europa zu groß ist, um sich dem Urteil sogenannter Bürger auszusetzen, und sind gar nicht erst wählen gegangen. In den kommenden Monaten hat Brüssel viel vor zum Wohle seiner Untertanen und verbittet es sich daher, von denen gestört zu werden. Die Europäer haben nämlich jahrhundertelang falsch gelebt und sich damit disqualifiziert, über ihren Alltag selbst zu entscheiden. Künftig werden unsere privaten Gewohnheiten bis ins Detail europäisch normiert. Rauchen und Alkohol trinken wird selbstredend als erstes verboten. Die letzten Flaschen und Packungen bekommen neue oder noch größere Drohhinweise auf ihre Gefährlichkeit. Laut Medienberichten wird in Brüssel zudem überlegt, Süßigkeiten künftig in unansehnliche graue Einheitspackungen zu hüllen, damit die Kinder nicht verführt werden. Vielleicht sollte man der besseren Normierbarkeit wegen allen Produkten einen einheitlichen Markennamen verpassen? Wie in George Orwells Roman "1984", wo alles "Victory" hieß. Ist die EU-Verfassung erst in Kraft, kann Brüssel sogar die Zahl der Kindergartenplätze festlegen, die U-Bahn-Tarife bestimmen und vorschreiben, wann die Züge fahren. Bezahlen müssen das natürlich weiterhin die Kommunen. Europa kann ja nicht alles allein machen. Brüssels Umweltpolitiker brüten unterdessen jährlich weitere Vorschriften aus mit dem Ziel, den Kontinent von der Geißel eigener Produktionsstätten zu erlösen. Der Traum hübscher Öko-Kindersendungen aus den 80er Jahren wird wahr - durch Europa: Wo einst häßliche Industriegiganten die Sonne verdunkelten, spielen fröhliche Kinder zwischen funkelnden Gänseblümchen! Oder durchsuchen das Gras nach Eßbarem für ihre hungernden Familien, je nachdem.
Eine Schlüsselrolle kommt dem EU-"Antidiskriminierungsgesetz" zu, das Arbeitgebern die quälende Last von den Schultern nimmt, wen sie einstellen sollen - das wird bald alles per Quote entschieden. Sicher gibt es dann auch Quoten für religiöse Minderheiten wie etwa Moslems. Just werden wir die Türkei doch aufnehmen müssen, allein um die Muselmanen-Quote in Groß- und Mittelbetrieben sowie im öffentlichen Dienst erfüllen zu können. Mit dem Antidiskriminierungsgesetz ließe sich überdies jede Art von Hetze und Aufwiegelei juristisch ahnden - sogar Propaganda gegen das Gesetz selbst, denn was hat einer, der gegen das "Antidiskriminierungsgesetz" wettert, schon vor als - zu diskriminieren? Gegen die EU-Verfassung insgesamt zu sein ist nach deren Inkrafttreten zum Glück ebenso nicht mehr möglich. Denn wer das dann noch ist, stellt sich ja automatisch "außerhalb des Verfassungsbogens". So einem wird die Brüsseler Staatsmacht schon beibringen, daß die EU-Demokratie auch ganz anders kann.
"Was soll s - noch manövrierfähig und auf der Brücke stehen wir auch noch!"
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