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Wir Deutschen streiten viel und über alles, nur in einem sind sich die 82 Millionen Bewohner dieses Landes, selbst die "mit Migrationshintergrund", sofort einig: Es wird immer schlimmer. Sogar die Tiefdruckgebiete. Frauenrechtlerinnen dürften behaupten, das liege daran, daß die Tiefs neuerdings Männernamen tragen. Früher war die Geschlechterwelt der Meteorologen klar gegliedert: Hochs waren männlich, Tiefs weiblich. Das war diskriminierend, weshalb heute ein Sturmtief auch mal als "Kyrill" oder "Lancelot" übers Land fegen darf.
Männer jedoch, heißt es, sind gewalttätiger als Frauen und neigen zur Prahlerei. Das mit der Gewalt steht in der Statistik und das mit der Angeberei wissen wir seit Kyrill. Solche Unwetter kamen und gingen einst als ordinäre "Orkantiefs", der Wetterdienst gab seine Warnung raus, Bäume fielen um, Keller liefen voll, einige Dächer flogen weg und tragischerweise gab es auch manchmal Opfer, die in der Verkehrstotenstatistik aber leider kaum auffielen. Dann zerriß es natürlich hier und da eine Oberleitung und Schienen wurden blockiert, weshalb ein paar Züge nicht fahren konnten. Großes Aufhebens machte niemand. Die Stürme waren ärgerlich, aber was sollte man machen. Schluß. So war das früher.
Und heute? Unter "Jahrhundertsturm" machen s Kyrill und Konsorten nicht mehr, seitdem sie männlich sind und alles immer schlimmer wird. Ganz Deutschland versetzen sie in eine Art hysterische Paralyse, Schulen schließen, Ämter machen dicht und die Bahn stellt gar beinahe ihren gesamten Fernverkehr ein, als stünde ein Atomkrieg bevor. Von Sondersendung zu Sondersendung stieg in einem das Bedürfnis höher, sich in den Keller zu verkriechen, um das nahende Inferno zu überleben.
Was dann kam, war doch eher enttäuschend. Ohne die Nachhilfe des Fernsehens hätten die meisten Deutschen das "Jahrhundertereignis" glatt verpaßt. Wenigstens tat uns der Berliner Hauptbahnhof den Gefallen, es ein bißchen krachen zu lassen. Das hat allen Spaß gemacht, traf es doch genau die Richtigen: Den Mehdorn kann keiner leiden, der jemals in einem Zug gesessen hat, weil Züge nämlich Verspätung haben und voller fremder Leute sind. Außerdem haben wir es gestrichen satt, daß es Berlin gibt, welches seit seiner Wiederauferstehung als Hauptstadt alle unsere einst stolzen Heimatmetropolen so kaffig aussehen läßt. Da ist es stets ein Fest, wenn denen an der Spree mal wieder was schiefgeht.
Den traditionellen deutschen Bruderkriegslinien folgend hätte die Freude nirgends größer sein müssen als in Bayern. Aber da unten steht auch ohne echten Jahrhundertsturm kein Stein mehr auf dem andern, weshalb die Feiern ausblieben - wer Bayern sagt, meint schließlich CSU.
Wer nach München blickt, sieht sich an den Hof von Konstantinopel vor 300 Jahren versetzt. Dort klärte man Erbfolgefragen auf resolute Art: Die Sultanssöhne brachten sich solange gegenseitig um, bis nur noch einer übrigblieb. Heute ist, wir erwähnten es schon, alles viel schlimmer: Statt mit langen Messern den offenen Kampf zu suchen, werden vergiftete Lobpreisungen und kleine Häßlichkeiten herumgereicht. Günther Beckstein ätzt gegen Horst Seehofer: "Der Horst ist als zweiter Mann wirklich erstklassig. Und das wird er auch bleiben." Seehofer schlägt betont gelangweilt zurück: "Der Günther, ja was soll ich sagen ..." Zwischen Erwin Huber und Seehofer geht es ähnlich her.
Und diese Giftspritzerei soll bis September weitergehen? Solange will der Stoiber die Prinzen zappeln lassen (lauten die letzten Informationen bei Redaktionsschluß - keiner weiß, wie lange die halten). Worauf will der alte Fuchs hinaus? Wir ahnen es: Nach acht Monaten Palastgemetzel ist die CSU nur noch eine qualmende Ruine, die keiner mehr bevorsitzen möchte. Dann könnte Stoiber bleiben. Bis zu den Landtagswahlen 2008, bei denen wir wohl erfahren werden, daß es entgegen anderslautenden Gewißheiten doch eine bayerische Opposition außerhalb der CSU gibt.
Jene rotgelbgrünen Dissidenten, die im Bayernland nie ein Bein auf den Boden bekommen haben, sehen das erste Mal so etwas wie einen Sinn in ihrem parlamentarischen Gewurstel. Sie sind aber nicht die einzigen, deren Stimmung sich spürbar hebt. Ganz hinten beim höhnenden Publikum hat die CDU Platz genommen, die sich den Wonnen später Genugtuung hingibt. Etwas verklemmt zwar, wie es sich als Schwester geziemt, aber dennoch unübersehbar: Die CSU solle ihren Führungsstreit beilegen, onkelt es aus dem Adenauerhaus. "Ja! Endlich dürfen wir mal so was sagen!" frohlocken die Christdemokraten. Sonst ging es immerzu umgekehrt: Die CDU hatte mal wieder ihren Laden nicht in Ordnung, zankte und schwankte hin und her, bis ihr die Münchener jovial die Ohren langzogen. Das war bislang die schwarze Hackordnung, denn die CSU strotzte vor Geschlossenheit und Stärke, während die CDU zwar groß, aber irgendwie wabbelig wirkte.
Kinder, waren das Zeiten! Franz Josef! Wenn der in den Norden auszog, lagen ihm die ausgehungerten Konservativen in den entlegensten Nestern Niedersachsens zu Füßen wie die Amis im Mittelwesten ihren Fernsehpredigern. Bayern war das gelobte Land, wo die Bolschewiken nix zu melden hatten und man jeden mit Namen kannte, der FDP oder noch was Übleres wählte.
Daneben sahen die eigenen CDU-Fritzen recht schal aus. Wenn die gelegentlich versuchten, auch so zu poltern wie der große FJS, hatte man den Eindruck, der Aufführung einer Wagner-Oper mit dem Ensemble der Augsburger Puppenkiste beizuwohnen. Konnten die einfach nicht.
Bei den Linken war die CSU-Begeisterung sogar noch emphatischer, nur anders. Schon die bloße Erwähnung von Strauß setzte hier alle Bürgerkriegsinstinkte frei, ein Feind wie selbst gemalt. Heute schafft es nicht einmal mehr Claudia Roth, sich bei der Christiansen-Runde über die CSU in Rage zu reden. Die Hilflosigkeit, die eine Armee befällt, wenn sich das gegnerische Heer über Nacht verkrümelt hat, war der Grünen-Chefin ins Mondgesicht geschrieben. Umständlich versuchte sie noch, in der bayerischen Union finstere Abgründe zu entdecken ("Es geht hier um ein System!"), war dabei aber kaum glaubwürdiger als die norddeutschen Strauß-Immitatoren der 80er Jahre.
Was macht die Linke, wenn die Gegenwart so trist ist? Das gleiche wie wir: Sie zerfließt in Nostalgie. Überall sieht man nur noch "Ehemalige". Bei Beckmann palavert Ex-Revoluzzer Rainer Langhans von der Berliner "Kommune 1" mit dem mittlerweile 60jährigen Kommunarden-Küken Uschi Obermaier über die 68er, das Leben und lauter so Zeug. In Mainz verleiht Kurt Beck dem pensionsreifen Rocker Udo Lindenberg, der vor 30 Jahren darum bemüht war, als "Bürgerschreck" etikettiert zu werden, die "Carl-Zuckmayer-Medaille". Wofür? "Für seine Verdienste um die deutsche Sprache". Was der Verdiente dazu meinte, war leider nicht zu verstehen. Wie immer nuschelte der Sänger dermaßen, daß kaum rauszukriegen war, welcher Sprache er sich überhaupt bediente. Also lassen wir seine Lieder sprechen; mit dem Rapper Jan Delay sang er zuletzt den Titel "Im Arsch". Lachen Sie nicht! In den 70ern galt so etwas als "aufmüpfig", also irgendwie links, und ist daher immerhin eine Medaille wert.
Und wo wir alle schon so hübsch beieinander sitzen, da wollen wir auch niemandem mehr etwas nachtragen und ein paar RAF-Terroristen freilassen, Christian Klar und Brigitte Mohnhaupt. Claudia Roth fordert vom Bundespräsidenten, er möge die beiden "als Zeichen der Versöhnung" begnadigen. Versöhnen? Mit wem denn? Die Witwe des ermordeten Hanns-Martin Schleyer kann nicht gemeint sein. Sie will sich nämlich nicht versöhnen und beide in Haft lassen. Der geben wir |
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