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Getriebewechsel bei laufendem Motor

 
     
 
Sparen, streichen, kürzen" und "die ganze Welt" - das sind die Schlagworte, unter denen die Bundeswehr in die Zukunft geht. Bundesverteidigungsminister Peter Struck will die Streitkräfte vollständig umkrempeln. Mit den von ihm erlassenen verteidigungspolitischen Richtlinien hat er im vergangenen Jahr die Marschrichtung vorgegeben. Jetzt ist er mit seinen Vorstellungen von der künftigen Struktur der Bundeswehr an die Öffentlichkeit gegangen. Die Bundeswehr soll nach dem Willen des Ministers
modernisiert und zukunftsfähig werden. Das heißt in der Praxis, sie soll schrumpfen und zum weltweiten Akteur, zum militärischen "global player" werden. Das soll passieren, ohne daß der Betrieb und die Einsätze der Bundeswehr darunter leiden. Ein hochrangiger Offizier verglich diesen Kraftakt treffend mit dem Getriebewechsel eines Autos bei laufendem Motor. Damit das gelingt, hat der Minister sechs "Wegmarken" gesetzt, an denen die Veränderungen der Streitkräfte festgemacht werden sollen: Fähigkeiten, operative Aufgaben, Kräftekategorien, Standorte, Material und Ausrüstung und schließlich die Wehrpflicht.

Künftig stehen nicht mehr die Teilstreitkräfte Heer, Marine und Luftwaffe als voneinander abgegrenzte Organisationsbereiche im Vordergrund, sondern Fähigkeiten, die sie für den Einsatz besitzen. Früher wurden den Teilstreitkräften ausschließlich ihre spezifischen Aufgaben zugewiesen, im weltweiten Einsatz dagegen geht es um die komplexe gemeinsame Aufgabe. Die Bundeswehrführung "komponiert" zukünftig für jeden Einsatz eine Truppe, die den Auftrag erfüllen kann. Dafür "sammelt" sie sich die benötigten Fähigkeiten in den Teilstreitkräften zusammen. Jeder soll für jeden arbeiten, ohne Eitelkeiten und Ressortabgrenzungen. Im Mittelpunkt stehen also die Fähigkeiten der Bundeswehr als Ganzes. "Network-centric Warfare", Kriegsführung im Netzwerk, heißt die neue Doktrin.

Nach Abschluß der Transformation wird es drei Kategorien von Streitkräften geben, in denen Soldaten von Heer, Marine und Luftwaffe gemeinsam, also "joint", eingesetzt werden. Aufgabe der neuen "Einsatzkräfte" sollen Kampfeinsätze sein, durch die in Konfliktregionen der Frieden erzwungen werden soll. Das Auftragsspektrum umfaßt "multinationale vernetzte Operationen hoher Intensität in allen Dimensionen". Dafür sind 35.000 Soldaten vorgesehen. Sie werden aufgabenorientiert ausgebildet und ausgerüstet. Bei der Beschaffung von mo-dernster Bewaffnung und Ausrüstung sollen sie absoluten Vorrang haben. Hier entsteht also eine hochmoderne Eingreiftruppe. Aus dieser "Kräftekategorie" entnimmt die Bundeswehrführung zukünftig die deutschen Kontingente für multinationale Nato- und EU-Operationen. Die "Stabilisierungskräfte" sollen in streitkräftegemeinsamen Operationen von niedriger und mittlerer Intensität und längerer Dauer zur Sicherung des Friedens eingesetzt werden. Beispiel: Der laufende Einsatz in Afghanistan. Der Umfang der Stabilisierungskräfte wird 70.000 Soldaten betragen. Damit wird der zeitlich abgestufte Einsatz von bis zu 14.000 Mann möglich, die auf bis zu fünf verschiedene parallel laufende Operationen aufgeteilt sind. Schließlich wird es 137.000 Mann der "Unterstützungskräfte" geben. Sie werden die umfassende, streitkräftegemeinsame und durchhaltefähige Unterstützung der Einsätze im gesamten Intensitätsspektrum und den Grundbetrieb der Bundeswehr einschließlich der Ausbildung sicherstellen.

Die Umstrukturierung beinhaltet eine weitere Reduzierung der Streitkräfte von derzeit 285.000 auf 250.000 Soldaten und um weitere 10.000 auf 75.000 zivile Dienstposten. Eine kleinere Bundeswehr mit veränderten Strukturen wirkt sich natürlich auf die Stationierungsplanung aus. Derzeit ist die Bundeswehr noch in 621 Standorten präsent. Durch das Ressortkonzept Stationierung aus dem Jahre 2001 ist bereits eine Reduzierung auf 505 Standorte entschieden. Jetzt soll die Zahl um weitere 100 auf 400 Standorte verringert werden. Welche Garnisonen aufgegeben werden, soll bis Ende des Jahres entschieden sein.

Der Umbau der Bundeswehr zur Profiarmee ist unübersehbar. Dennoch will Struck nach seinen eigenen Worten alles dafür tun, die Wehrpflicht zu erhalten. Tatsächlich aber wird die Bundeswehr durch die neue Struktur auf das Ende der Wehrpflicht vorbereitet. Künftig werden die 45.000 Wehrpflichtigen in gesonderten Einheiten zusammengefaßt, die an Verbände, die nur aus Freiwilligen bestehen, gewissermaßen angehängt werden. Gehen die Profis in den Einsatz, werden die Wehrpflichtigen geschlossen wieder abgekoppelt. Sollte die Wehrpflicht irgendwann fallen, lassen sich diese Einheiten ohne weitere strukturelle Änderungen der Streitkräfte einfach auflösen.

Was offiziell als Modernisierung und Anpassung der Bundeswehr an ein neues Aufgabenspektrum deklariert wird, ist in Wirklichkeit ein personeller und materieller Schrumpfungs- und Sparprozeß. Der Wehretat in Höhe von 26 Milliarden Euro ist bis 2006 gesichert. Dann jedoch belasten milliardenschwere Rüstungsprojekte den Haushalt. Für Struck hat aber nur noch das Gerät Priorität, das für die "strategische Verlegung", die "weltweite Aufklärung" und die Einsatzführung erforderlich ist. Um diese Beschaffungsvorhaben realisieren zu können, will er in den nächsten Jahren 26 Milliarden Euro einsparen. Das soll durch die Reduzierung von Großgerät sowie durch den Verzicht auf die Anschaffung und Modernisierung von Rüstungsgütern erreicht werden. Bei den Kürzungsentscheidungen soll es sich nicht um die Einsparung bereits verplanter Mittel, sondern lediglich um Einschnitte bei der Planung handeln. "Aus der Wunschliste ist eine Vorhabensliste geworden", so der Minister. Der Eurofighter, der Airbus A 400 M, die Hubschrauber NH 90 und "Tiger" sowie die hochmodernen U-Boote vom Typ 212 sollen allerdings unangetastet bleiben. Außerdem will Struck das Heer weiter mit modernen Fahrzeugen ausrüsten.

Nach Abschluß der Umstrukturierung werden die Teilstreitkräfte kaum noch wiederzuerkennen sein. In der Luftwaffe wird die Zahl der Divisionen von derzeit vier auf drei reduziert. Das Lufttransportkommando wird aufgelöst, sobald die Voraussetzungen für die Übernahme seiner Aufgaben durch ein Europäisches Lufttransportkommando gegeben sind. Die fliegenden Verbände werden durch die Außerdienststellung zahlreicher Maschinen erheblich Federn lassen müssen. Glimpflich kommt die Marine davon. Sie wird lediglich ihre Führungsstrukturen modernisieren und "verschlanken" müssen. Großer Verlierer des Verteilungskampfes ist aber das Heer. Schon länger fallen die personellen und finanziellen Entscheidungen gegen die größte Teilstreitkraft. Jahrzehntelang waren die Landstreitkräfte der Hauptträger der Abschreckung. Militärische Stärke wurde in erster Linie an der Anzahl der Panzer gemessen, die im Falle eines Angriffes die Hauptlast des Kampfes getragen hätten. Sie spielen heute aber kaum noch eine Rolle. Jetzt sind es die ehemals im Hintergrund stehenden "Kampfunterstützer" wie Logistiker, Pioniere oder Sanitäter, die beim "Nation Building" in den Krisenregionen der Welt benötigt werden. Von den Kampftruppen kommen fast nur noch die Fallschirmjäger zum Einsatz. Heeresspezifische Fähigkeiten wie das Gefecht der verbundenen Waffen sind nicht mehr gefragt. Dementsprechend hat das Heer auch bei den Beschaffungsvorhaben das Nachsehen. Neue Panzer und anderes Großgerät gibt es nicht mehr, nur bei den leichten Gefechtsfahrzeugen sind Modernisierung und Zuwachs zu erwarten.

Dieser Mißstand ist zum Teil auch selbstverschuldet, hat es die Heeresführung in den vergangenen Jahren doch nicht verstanden, ihren Einfluß auf die politische Entscheidungsfindung zu erhalten. Das Heer der Zukunft wird statt ehemals zwölf und jetzt acht auch nur noch fünf Divisionen umfassen. Davon wird eine mit der Führung der Heeresanteile an den Eingreifkräften beauftragt werden. Träger der Stabilisierungskräfte werden die Brigaden sein, die organisatorisch unter den Divisionskommandos zusammengefaßt werden.

Alles in allem sind es also harte Einschnitte, die die Soldaten hinzunehmen haben.

Rückendeckung erhält der Verteidigungsminister bei seinen Plänen von Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan und den Inspekteuren von Marine und Luftwaffe. Sie können sich auf jüngere Spitzenmilitärs stützen, die den von Struck gewünschten "Generationswechsel im Denken" langsam vollziehen und nun "im Verbund" denken. Wer dazu nicht bereit oder in der Lage ist, bekommt Schwierigkeiten, zumindest kann er seine Karrierehoffnungen begraben. Das bekam auch Heeresinspekteur Gerd Gudera zu spüren. Der Drei-Sterne-General wollte sich "das alles schließlich nicht mehr antun", wie seine jahrelangen Wegbegleiter sagen, und trat zurück. Damit ist er nur seinem Rauswurf zuvorgekommen. Sein Stellvertreter wurde vom Minister kurzerhand zur Nato "weggelobt".

Vielen älteren Soldaten fällt die Umstellung auf die neuen Rahmenbedingungen ihres Dienstes schwer. Sie sind in einer bipolaren Welt aufgewachsen. Ihr Auftrag waren die Abschreckung und die Landesverteidigung. Daß die veränderte sicherheitspolitische Lage ein Umdenken erfordert, wird auch von ihnen nicht bestritten. Doch viele altgediente Troupiers halten die vollständige Abkehr von der Landesverteidigung für einen Fehler. Sie glauben nicht, daß die von Struck propagierte "Restitution" der Landesverteidigungskräfte bei einer erneuten Bedrohung innerhalb der erforderlichen Zeit gelingen wird. Resignation und Unzufriedenheit machen sich breit. "Das ist nicht mehr meine Bundeswehr" ist zu einem geflügelten Wort geworden.

Aber auch die Angehörigen der jüngeren Generation, der es leichter fällt, sich mit dem neuen Aufgabenspektrum zu identifizieren, sind mit der Situation nicht immer glücklich. Viele bemängeln, daß Auftrag und Mittel, daß die personelle und materielle Stärke und die Belastungen der Truppe durch die vielen Auslandseinsätze nicht in Einklang stehen. In diesem Zusammenhang kritisieren sie die geplante Zentralisierung als einen gefährlichen Schritt zur organisierten Mängelverwaltung.

Die Stimmen zu Strucks neuer Truppe sind auch außerhalb der Bundeswehr nicht einheitlich. Während die Grünen in seinen Plänen eine "mutige, tragfähige und substantielle Umwandlung der Streitkräfte zu einer Freiwilligenarmee" sehen, kritisiert die Opposition die Kürzungen als "nicht vertretbar". Die Sparpläne seien ungeheuerlich, da es noch immer kein Gesamtkonzept für die Bundeswehr gäbe. Struck blende auch aus, daß Deutschland eben nicht nur am Hindukusch verteidigt werde.

Hamburgs Erster Bürgermeister Ole von Beust kleidete seine Besorgnis beim Neujahrsempfang der Bundeswehr in Hamburg in deutliche Worte: "Dürfen wir bei allem weltweiten Engagement die Landesverteidigung außer acht lassen? Ich halte das für falsch." Keiner könne garantieren, daß wir auch in zehn Jahren mit allen unseren Nachbarn noch in Frieden leben. "Wir kommen auch nicht auf die Idee, die Deiche abzubauen, wenn wir fünf Jahre lang keine Sturmflut hatten", so von Beust weiter. Daß Politiker das aussprechen, was die meisten Menschen denken, ist leider zur Ausnahme geworden. Diese Äußerung ist wohl ein Beispiel für das Gegenteil.

Bundeswehrsoldat verteilt in Kunduz Spielzeug: Ob diese Art der Hilfe in Strucks Kampftruppe der Zukunft einen Platz hat, ist unwahrscheinlich.
 
     
     
 
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