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Gegen die eigene Regierung

 
     
 
Der Vorschlag des SPD-Fraktionsvorsitzenden Peter Struck, das Steuerrecht grundlegend zu reformieren und statt des heutigen linear-progressiven Tarifs einen Stufentarif mit drei Steuersätzen von 15, 25 und 35 Prozent einzuführen, hat die deutsche Sozialdemokratie völlig aus dem Häuschen gebracht. Struck erhielt Widerspruch von seinen eigenen Stellvertretern. Der SPD-Finanzexperte Joachim Poß rechnete vor, Strucks Modell sei unfinanzierbar. Der andere stellvertretende Fraktionsvorsitzende, Rudolf Dreßler, vermißte die soziale Gerechtigkeit.

Aber die von Struck entfachte Diskussion ist nur die Spitze des Eisberges. Viel tiefgreifender geht die Kritik des Saarländers Reinhard Klimmt, der seiner eigenen Partei vorwirft, die soziale Balance verloren zu haben. Klimmt wehrt sich nicht nur dagegen, daß die Erhöhungen für die Rentner gekürzt werden, er will außerdem die Wiedereinführung
der von der alten Koalition abgeschafften Vermögenssteuer. Solche Bestrebungen lassen das Herz vieler Sozialdemokraten höher schlagen. Der Vorsitzende der IG Medien, Detlef Hensche, warnt bereits davor, daß die SPD zu einer Partei der "Modernisierungsgewinnler" werden könnte. Man könnte Klimmts Kritik als die eines unbedeutenden Herrschers über die drei Landkreise des Saarlandes abtun. Aber es steckt mehr dahinter. Klimmt ist das Sprachrohr von Lafontaine, viele seiner Bemerkungen über die Kanzlerpolitik dürften mit Lafontaine abgesprochen sein. Und der kann offenbar nicht von der Politik lassen. Sein Rückzug mit der Begründung, er wolle mehr Zeit für die Familie haben, hat selbst Freunde in Erstaunen versetzt. Wenn Lafontaine seinen Abschied aus der Politik bekannt gibt, dann erinnert er an einen Roulette-Spieler, der versichert, nie wieder einen Chip anzufassen. Beiden glaubt man nicht. So wurden die jüngsten Gerüchte, Lafontaine wolle der Regierung in öffentlichen Auftritten die Leviten lesen, allgemein geglaubt. Tatsächlich hat der ehemalige SPD-Chef ein Buchmanuskript abgeschlossen, das eine Generalabrechnung mit Schröder beinhalten soll. Offenbar deshalb fordert Struck eine Aussprache zwischen Schröder und Lafontaine, um eine Eskalation des Streits zwischen Traditionalisten und Modernisierern zu verhindern.

Struck selbst hat mit seinem Stufentarif-Vorschlag eine Ablenkungsfront aufbauen wollen, um das Sparpaket von Finanzminister Eichel mit den Sozi-Todsünden wie den Eingriffen ins Rentenrecht aus dem Feuer zu holen. Das ist dem Fraktionschef, der behauptet, er komme mit beiden Gruppen gut zurecht, nicht gelungen. Statt dessen verschärfte sich der Streit. Politiker in Demokratien werden nicht an den langfristigen Wirkungen ihrer Konzepte gemessen, sondern an den kurzfristigen. Schröder und Eichel haben recht, der Staat muß sparen. Dabei beschreiten sie aber den falschen Weg, weil sie nicht die Staatsausgaben verringern, sondern einfach nur wahllos mit der Rasenmäher-Methode der prozentual gleich hohen Kürzung in allen Etats versuchen, Geld einzusparen.

Doch Schröder muß mit Mißerfolgen bei den kommenden Wahlen zu mehreren Landtagen rechnen. Schon reibt sich Bayerns Ministerpräsident Stoiber die Hände, das Saarland und Schleswig-Holstein könnten bald wieder von der Union regiert werden, und in Thüringen könnte die CDU die absolute Mehrheit der Mandate im Landtag holen. Auch in Brandenburg steht die SPD vor einem Desaster. In Sachsen wird bereits über den Austausch der Führung des SPD-Landesverbandes spekuliert, bevor die Landtagswahl überhaupt stattgefunden hat.

Nach einigen Niederlagen könnte wieder die Stunde des Saarländers Lafontaine schlagen, der wie ein Phönix aus der Asche aufsteigen und seinen Einfluß in der SPD zurückgewinnen könnte. Das ahnen Schröders loyale Parteisoldaten Eichel und auch Verteidigungsminister Rudolf Scharping, der Klimmt und somit der ganzen SPD-Linken "Wahlkampf gegen die eigene Regierung" vorwirft. Auch wenn Eichel in Richtung Saarland schimpft, er müsse sich von niemandem belehren lassen, was soziale Gerechtigkeit sei, gilt der Angriff auch Lafontaine. Der sitzt in Saarbrücken und wartet auf die Gelegenheit für seinen Einsatz – wie ein Spieler.

 
     
     
 
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