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Den Gewerkschaften laufen die Mitglieder weg, stöhnen die Arbeitnehmervertreter des DGB. Bei näherem Hinsehen indes entpuppt sich das Lamento als Hausproblem des Millionenverbandes, während sein kleiner Konkurrent, der "Christliche Gewerkschaftsbund", mit wachsendem Erfolg daran arbeitet, aus dem Schatten des übermächtigen "roten Riesen" herauszutreten.
Voller Selbstbewußtsein zogen die Delegierten der CGB-Einzelgewerkschaft DHV (Deutscher Handels- und Industrieangestellten-Verband) auf ihrer Bundesdelegierten-Versammlung in Berlin Bilanz: Die Mitgliederzahl sinke nicht - sie steige sogar, resümierte DHV-Bundesvorsitzender Jörg Hebsacker. Bei den Betriebsratswahlen in überregional bedeutenden Firmen wie "Metro", "Woolworth" oder "Eurocopter" seien zum Teil erhebliche Stimmengewinne erzielt worden.
Einen spektakulären Sieg konnte der DHV nach eigenen Angaben auch bei den Personalratswahlen der Bundesversiche- rungsanstalt für Angestellte in Berlin verbuchen. Nachdem die CGB-Gewerkschafter dort jahrelang gar nicht vertreten waren, erklommen sie jetzt auf Anhieb 16,9 Prozent. In der Hauptstadt konnte der DGB-Konkurrent Ver.di bei der Ladenkette "Aldi" sogar "marginalisiert" werden, wie DHV-Landeschef Klaus Gröbig zufrieden feststellt.
Im Mittelpunkt der Berliner Delegiertenversammlung stand die Neuwahl der DHV-Bundesführung. DHV-Chef Jörg Hebsacker wurde wie sein Stellvertreter Manfred Raible im Amt bestätigt. Das gleiche gilt für den langjährigen Beisitzer Rudolf Folz. Neu im Vorstand sind die Beisitzer Ute Beese aus Niedersachsen und Hans-Joachim Bondzio (Nord-rhein-Westfalen).
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Günter Nooke (Berlin) nutzte die DHV-Tagung für schwere Vorwürfe an die Adresse von Bundeskanzler Schröder. Der Regierungschef habe es zugelassen, daß sich die Schere zwischen alten und neuen Bundesländern immer weiter geöffnet habe. Statt die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, bekämpfe Rot-Grün die Arbeitslosen-Statistik. Sinnvolle steuerliche Erleichterungen, die man ab 1989 zum Aufbau hätte einführen sollen, seien auch unter der derzeitigen Bundesregierung ausgeblieben.
Nookes Kritik war nach dem Geschmack der DHV-Delegierten. Bewußt hebt sich der Verband wie die anderen CGB-Gewerkschaften von den klas- senkämpferischen Altlasten des DGB ab. Nicht gegen die Unternehmen, sondern mit ihnen seien Arbeitsplätze zu schaffen, so der Tenor. Gleichwohl sei eine kritische und beherzte Interessenvertretung für die Arbeitnehmer in Zeiten der Globalisierung wichtiger denn je. Dem DGB hält der DHV vor, sich statt dessen in fruchtlose ideologische Grabenkämpfe zu verlieren: "Statt mit Schröder über Green Cards zu schwätzen, sollten Gewerkschaften lieber die Sorgen der Arbeitnehmer dieses Landes ernst nehmen", so ein aufgebrachter Delegierter. Das sieht eine wachsende Zahl von Kollegen offenbar ähnlich. Im vergangenen Jahrzehnt verlor der DGB rund ein Viertel seiner Mitglieder. Der DHV-Konkurrent Ver.di schrumpfte seit seiner Gründungsvereinbarung 1996 von 3,3 auf nunmehr noch 2,8 Millionen Mitglieder. |
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