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Ein langer heller Flur. Links und rechts des Ganges gehen Büros ab, alle sind weiß möbliert. Nur die bunten Filmplakate an den Wänden setzen Farbakzente, denn auch die Kleidung der fast ausschließlich weiblichen Mitarbeiter ist dezent schlicht. Eine persönliche Note sucht man vergeblich an den Arbeitsplätzen der Angestellten. Alle sind zwischen Mitte 20 und Ende 30, haben erfolgreich ein Studium beendet, meistens Betriebswirtschafts lehre mit Schwerpunkt Marketing, fast alle haben mindestens ein Auslandssemester absolviert.
Hätte das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung im Auftrag der Robert-Bosch-Stiftung die über 20 Abteilungsmitarbeiter dieser Film-Verleihfirma nach ihrem Kinderwunsch gefragt, so läge das Ergebnis nicht wie bei der Gesamtbevölkerung bei den schon von Medien und Politik mit Schrecken zur Kenntnis genommenen geringen 1,75 Kindern pro Frau, sondern bei Null.
Ein ganzer Flur mit gebildeten Frauen im gebärfähigen Alter und keine will Kinder? Wer hier nur mit Karriereversessenheit argumentiert, greift allerdings zu kurz. Es handelt sich vielmehr um eine Mischung aus verschiedenen Faktoren, die die Medien, die Gesellschaft und die Politik, derzeit weitsichtig wie ein aufgeschäuchter Hühnerhaufen, gar nicht wahrnehmen.
Elterngeld klingt zwar schön, doch es wird keine dieser Frauen dazu veranlassen, ein Kind zu bekommen. Ihnen geht es nicht in erster Linie um das Finanzielle. Sollten sie auch nur für ein Jahr ihren abwechselungsreichen Arbeitsplatz verlassen, sitzt vermutlich schon ein anderer auf ihrem Platz, scheele Blicke von den kinderlosen Kollegen, wenn der Nachwuchs mal krank ist und sie daheimbleiben müssen, sind garantiert. Elterngeld steht für sie außerdem nicht zur Debatte, weil sie gar keinen Kinderwunsch haben. Warum sollten sie auch? Ihr Beruf belegt sie schon genügend mit Beschlag, die geringe Freizeit wird mit exquisiten Fittness-, Wellness-, Party- und Urlaubsaktivitäten verbracht. Für Kinder ist einfach keine Zeit. Und mit wem auch? Ein Großteil dieser Frauen ist Single. Einige haben derzeit einen Lebensabschnittspartner, doch wie lange noch? Kommt man dem gar mit einem möglichen Kinderwunsch, dann kann es dann durchaus gewesen sein, schließlich ist der Kinderwunsch bei Männern mit 1,59 Kindern noch geringer. Real ist jede siebte Frau in Deutschland ohne Kind, bei den Männern ist es sogar jeder vierte. Also, warum die Beziehung gefährden?
"Familien genießen wenig Ansehen", stellt die Studie der Robert-Bosch-Stiftung fest und die Mutterrolle ist noch unattraktiver, unattraktiver gemacht worden. Erst galten Mütter, die nebenbei arbeiteten, als Rabenmütter, dann, in den 60er und 70er Jahren, galten Frauen, die "nur" Mütter und Hausfrauen waren, als langweilig, altmodisch und fremdbestimmt. Kind und Karriere wurde propagiert, doch Ende der 80er wurde immer offensichtlicher, daß die Mehrfachbelastung an den Nerven zehrte, die Lebensqualität minderte und vor allem die Männer nicht mitzogen, denn sie sahen in der großen Überzahl keinen Grund, Aufgaben der Hausfrau und Mutter zu übernehmen, um die Partnerin zu entlasten.
Warum also Mutter werden? Warum auf Lebensqualität verzichten, aus Arbeitgebersicht eine Lücke in seinen Lebenslauf reißen, nur um Kinder zu bekommen, deren Erziehung viel Mühe kostet, um dann von den Medien für Juniors "Pisa"-Versagen mitverantwortlich gemacht zu werden.
Kinder bringen Lebensfreude, lassen Eltern die Welt mit neuen Augen sehen, lassen einem am Wunder des Lebens teilhaben, sorgen für Nähe und Geborgenheit, geben das Gefühl, zu einer Gemeinschaft zu gehören; fragt man Eltern, so dürfte dies nur einen Bruchteil ihrer Argumente für das Ja zu Kindern darstellen. Natürlich gibt es gerade in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit finanzielle Bedenken, doch erstaunlicherweise sind es nicht die Unter- oder Mittelschicht, sondern die Gutverdiener, die einen Geburtenstreik führen. Und auch hier gibt es ein Stadt-Land-Gefälle. In ländlichen Gebieten gibt es noch die Zwei-Kind-Familie. Auch der Kinderwunsch ist ausgeprägter, was daran liegen mag, daß man von Familien umgeben ist. In Großstädten wie Berlin, München, Hamburg, Frankfurt, wo fast 50 Prozent der Haushalte von Singles geführt werden, ist man der Familie mit all ihren guten wie negativen Facetten entwöhnt. Abwechslung gibt es genug und Einsamkeit wird vom Arbeitsalltag überdeckt.
Selbstgewählte Kinderlosigkeit lebt sich in Deutschland ganz bequem. Das ist auch Schuld der Politik, die zugelassen hat, daß die Gesellschaft nicht mehr als Zusammenhalt, sondern als Ansammlung von Einzelindividuen gesehen wird. Während finanziell das Sozialwesen auswucherte, wurden zwischenmenschliche Bindungen für unnötig erklärt. Aber auch die Medien, Unternehmen und verschiedene Interessenverbände propagierten das schöne, freie Leben.
Jetzt entdecken jedoch Politik, Medien und Unternehmen, daß ihnen die Steuer-, Sozialversicherungszahler, Konsumenten und Arbeitnehmer in den nächsten Jahrzehnten ausgehen.
Bei den freiwillig Kinderlosen der nahen Vergangenheit, die das Renteneintrittsalter erreicht haben, kommt langsam auch Katerstimmung auf. Langsam kennt man jeden Urlaubsort, Krebs und andere Krankheiten haben im Freundeskreis die ersten Lücken gerissen, und es fehlt eine Zukunftsperspektive. Wo ist die Familie? Goßeltern und Eltern sind schon lange tot oder gebrechlich und ein Blick auf den sich über Jahrhunderte verästelnden Familiestammbaum endet bei der eigenen Generation.
Kurz nach ihrem 40. Geburtstag hatte die Teamleiterin des langen weißen Flures einen Nervenzusammenbruch. Grund: Beruflich hat sie alles erreicht, privat wartet eine große, weiße und vor allem leere Eigentumswohnung auf sie.
Keine Lust auf Kinder? Immer mehr Deutsche bekommen keinen Nachwuchs.
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