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Die gegenwärtige wirtschaftliche Lage und die Zukunft Rußlands werden meist in düsteren Farben dargestellt. Doch selbst vor dem Hintergrund der russischen Finanzkrise sieht Horst Köhler, der Präsident der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE), die wirtschaftlichen Probleme Osteuropas als "weitgehend überwunden" an. In Berlin nahm er vor einem erlauchten Kreis aus Politikern und Bankern Stellung zu den Perspektiven des Transformationsprozesses in den östlichen Reformstaaten.
Horst Köhler, der sich bereits als Sparkassen-Chef einen Namen gemacht hat, kontrolliert Investitionen in Osteuropa in einer Größenordnung von 16 bis 18 Milliarden Mark. Und er gibt sich optimistisch, was den wirtschaftlichen Aufschwung insbesondere von Ländern wie Polen und Ungarn angeht: "Verglichen mit 1990 sieht die Situation heute schon viel besser aus." Erstmals habe Rußland 1999 ein positives Wirtschaftswachstum aufweisen können. Das führt er auf die steigenden Rohstoffpreise und die erfolgte Rubelabwertung zurück. Auch was die politischen Verhältnisse angeht, so glaubt Köhler, daß sich diese weiter verbessern werden. Und er setzt eindeutig auf Putin als neuen Präsidenten Rußlands, weil dieser "durchgreifen und die Ordnung im Lande wiederherstellen wird". Im Bereich der inneren Sicherheit sieht er nämlich auch das größte Problems Rußlands und der Anrainerstaaten: Instabilität, Rechtsunsicherheit und Korruption. Hinzu kommt der schwierige "Strukturwandel" von alten Branchen wie Landwirtschaft und Schwerindustrie hin zu zukunftsträchtigen Wirtschaftszweigen. Auch von den ausgesprochen schwachen wirtschaftlichen Daten in den Reformstaaten sollte der Blick für die Realität nicht eingetrübt werden. So führt Köhler aus, daß es in diesen Ländern eine große Schattenwirtschaft gebe. In Rumänien, wo die Wirtschaft offiziell seit Jahren schrumpft, gebe es einen sogenannten BAT-Index, der sich permanent nach oben bewege. BAT stehe dabei für die erfolgreichen Konsumgüter Bier, Autos und Telekommunikation. Andererseits bleibe der Westen aufgefordert, seine Unterstützung für die Reformstaaten aufrechtzuerhalten. Wichtig sei auch das eigene Wirtschaftswachstum in den westlichen Ländern, da ein starkes Westeuropa eine starke Nachfrage für osteuropäische Exporteure bedeute. Köhler wirft westlichen Politikern vor, Rußland zu oft bewußt zu demütigen: "Wir müssen sie mit Respekt behandeln und nicht immer sagen, du bist das letzte!" Der Westen habe Rußlands augenblickliche Schwäche zum Beispiel durch den Kosovokrieg politisch ausgenutzt.
Angesprochen auf die wirtschaftliche und politische Zukunft des nördlichen Ostdeutschland, gesteht Köhler ein, daß von den insgesamt 26 000 Projekten, die durch seine Bank finanziert würden, nur "zwei bis drei" im Königsberger Gebiet stattfänden. So werde dort eine Kläranlage aus den Mitteln der Bank gebaut, was wegen der verheerenden Umweltsituation vorrangig gewesen sei. Königsberg sei, obwohl von zwei potentiellen EU-Mitgliedstaaten eingebettet, so etwas wie tiefste russische Provinz: "Hier grassiert die Korruption." Chancen sieht er vor allem in einem neuen Ansatz für die Region, der gerade vorbereitet werde. Zukünftig wolle man insbesondere Regionen überschreitende Projekte fördern, wovon Königsberg profitieren könnte, sobald Unternehmer aus Litauen oder Polen die Chancen dort nutzten. Auch wenn die wirtschaftliche Zukunft Königsbergs derzeit also noch hinter der seiner Nachbarn zurückbleibt, so besteht wenigstens ein Anlaß zur Hoffnung: Die Tatsache, daß sich die deutsche Finanzwelt trotz der Probleme nicht von Osteuropa abwendet, ist ein Indiz für ein zukünftiges Engagement in der Region. Gemini Consult, die drittgröß- te deutsche Unternehmensberatungsfirma und Initiatorin der Veranstaltung, sieht hier offenbar Chancen für erfolgreiche Geschäfte.
Auch wenn man den Worten des ehemaligen Wirtschaftsministers Helmut Haussmann (FDP), der die Veranstaltung einleitete, zustimmen mag: "Die deutsche Politik wird ihrer wirtschaftlichen und finanzpolitischen Rolle in Hinsicht auf Osteuropa nicht gerecht."
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