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Ein fröhliches, buntes Logo. Eine schlichte Suchzeile. Nur 39 Wörter auf der Startseite. Von außen wirkt "Google" sympathisch, arglos, aufgeräumt. Eine vertraute Heimat in den Weiten des Internets. Noch dazu demokratisch organisiert, weil die Treffer danach sortiert werden, wie viele "fremde" Links auf sie verweisen. Die Chefs Larry Page (31) und Sergej Brin (30) tragen Turnschuhe, seit ein paar Tagen sind sie Milliardäre. Also alles bestens?
Ist Google harmlos? Dazu ein paar Fakten: Google hat 4.285.199.774 Internetseiten auf seinen Computern gespeichert. 69 Prozent aller Internet-Anwender nutzen Google, täglich laufen 220 Millionen Suchanfragen ein - und Google speichert jede einzelne davon. Google ist das Internet, und das Internet ist Google. Was bei Google nicht ganz vorne in den Trefferlisten erscheint, findet nicht statt.
Wir müssen uns bewußt machen, daß Google mehr ist als nur die "Gelben Seiten" des Internets. Google ist ein Wissensschatz , eine Instanz, die täglich über Relevanz und Irrelevanz von Meinungen und Informationen entscheidet. Es hat sich zu einem Instrument der Meinungsmache entwickelt, von dem abhängt, welche Wahrheit (von unendlich vielen möglichen) ganz vorne landet - und somit wahrgenommen wird. Die Firma entscheidet darüber, was Zugang zu unseren Köpfen erhält und was nicht. Das bedeutet schlicht: Google ist mächtig.
Und es ist manipulierbar. Spezialagenturen wie Zanox und Affili.net sorgen mit "Geisterwebseiten" voller Links dafür, daß Firmen wie Ebay, Amazon, Karstadt, T-Mobile und Otto in den Google-Trefferlisten ganz vorne landen. Gerüchte um Eingriffe in das "demokratische" Sortiersystem halten sich hartnäckig: Auf Drängen von Scientology soll Google Webseiten von Sektenkritikern "ausgeblendet" haben. "Aus Spaß" soll die Google-Truppe immer wieder Trefferlisten zu politischen Statements nutzen. Die Bertelsmann-Stiftung warnt vor der "Vergoogelung des Webs" und meint Googles Medienmacht als wichtigste Schnittstelle zwischen Datenmassen und Menschen.
Mit keinem Wort haben die "Googler" bisher verraten, wie sie mit dem unschätzbar wertvollen Wissen umgehen wollen, das sie angehäuft haben. Was wünschen sich schwedische Kinder zu Weihnachten? Wie oft kaufen 35jährige Skifahrer neue Skier? Welches Autoradio benutzen Honda-Fahrer? Das weiß niemand auf der Welt so genau wie Google Inc., Mountain View, Kalifornien. Mit diesem Wissen verdient Google sein Geld. Passend zum eingegebenen Suchbegriff erscheinen Anzeigen auf den Google-Ergebnis-Seiten. Firmen können Schlüsselwörter "buchen". Mehr noch: In seinem geplanten kostenlosen E-Mail-Dienst "G-Mail" will Google den privaten Schriftverkehr seiner Kunden vollständig nach werberelevanten Inhalten scannen und entsprechende Reklameeinblendungen mitversenden. So entstehen Millionen von Kundenprofilen. Die Verlockungen dieses Systems sind einzigartig.
Um als glaubwürdiges Unternehmen eine Überlebenschance zu haben, muß Google seine Strategien offenlegen. Der Börsengang, der nun Milliarden von Dollar in die Kassen spült, verpflichtet die Firma zur Offenheit. Das ist eine gute Nachricht. Allerdings: Die Google-Erfolgszutaten vergiften sich zunehmend selbst. Je vermüllter der Datenkoloß wird (allein der Suchbegriff "Google" liefert 58,3 Millionen Treffer) - desto größer wird die Versuchung, mit anderen Methoden Geld zu verdienen. Zum Beispiel mit dem Verkauf von Kundenprofilen.
Es wird Zeit, daß wir Google nicht mehr als fröhliche Start-up-Truppe mit Gratismassagen-Billardtisch-Image verharmlosen. Man kann Google nicht verpflichten, zum Wohle der Konkurrenz schlechtere Ergebnisse zu liefern. Aber man kann sich bewußt machen, daß "Wahrheit" ein relativer Begriff ist. Betrachten wir Google lieber als Trainingsmodul für Medienkompetenz. Mehr als bisher müssen wir lernen, Fakten zu hinterfragen und Quellen zu prüfen.
Das gilt nicht nur für Google. Denn unter Umständen könnte die Firme ein ähnliches Schicksal erleiden wie Netscape, das im August 1995 zum Börsenstar hochgejubelt wurde - bis Microsoft ins Geschäft mit den Internet-Programmen einstieg. Wenn Microsoft seine Ankündigung wahr macht und 500 Millionen Dollar in eine Suchfunktion investiert, die neben dem Internet auch Datenbanken und den eigenen Computer durchsucht, dann ist Google tot. Und die Firma, die als Monopolist im globalen Computergeschehen die Nervensysteme von Milliarden Rechnern kontrolliert, würde sich auch noch zum Torwächter des größten Wissensnetzwerkes der Welt aufschwingen.
Hoffen wir, daß Google Erfolg hat. Das wäre das kleinere Übel.
Aus: Hannoversche Allgemeine Zeitung, mit freundlicher Genehmigung des Autors.
Mehr als nur die "Gelben Seiten" des Internets: Google ist mächtig dank Informationen.
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