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Hundert Tage, so lautet die Anstandsregel, soll man einer neuen Regierung Zeit geben, ehe man sie öffentlich unter Feuer nimmt. Dem neuen Hamburger Senat aus CDU, Schill-Partei „PRO“ und FDP wurden nicht einmal hundert Minuten gegönnt.
Die Attacken begannen gleich bei Regierungsübernahme am 31. Oktober. So weigerte sich der scheidende Innensenator und SPD-Landeschef Olaf Scholz, das Amt seinem Nachfolger Ronald Schill feierlich zu übergeben, und verdrückte sich einfach. Eine demonstrative Geringschätzung sowohl der Tradition wie des Wählerwillens, der Schill mit fast 20 Prozent der Stimmen in eben diese Position gehievt hatte.
In den eher SPD-freundlichen und vor allem gegen Schill eingenommenen Medien der Stadt folgten nun in schneller Folge hämische Berichte über angeblich gebrochene Wahlversprechen. In der Tat fällt die insbesondere von Ex-Amtsrichter Schill angekündigte drastische Aufstockung der Polizei zunächst weitaus bescheidener aus als angekündigt. Das hat nicht so sehr finanzielle wie vielmehr praktische Gründe. In so kurzer Zeit sind kaum an die 2.000 Beamte herzuschaffen. Ihre Ausbildung dauert 24 Monate.
So dürfte auch das vollmundige Versprechen Schills, als Innensenator die Gewaltkriminalität in Hamburg binnen hundert Tagen zu halbieren, kaum zu halten sein.
Die Hamburger läßt die Aufregung indes ziemlich kalt. Sie hatten die Ankündigungen von Schill und CDU offenbar von Anfang an als das verstanden, was sie waren: Wahlversprechen eben, die nicht die zu erwartende Wirklichkeit widerspiegeln, sondern allein die Richtung anzeigen, in die es gehen soll. Und die gefiel ihnen.
Vergangenen Sonnabend nun ging der neue Senat aus der Deckung und stellte seine ersten konkreten Maßnahmen der Öffentlichkeit vor.
So sollen, um Beamte für den Streifendienst freizubekommen, erst einmal 280 Angestellte in den Polizeidienst eingestellt werden. Die sind schneller zu haben und könnten die Schupos beispielsweise von Büroarbeiten entlasten. Die ersten 28 sollen schon im Januar kommen. 20 Beamte will Bayern aushilfsweise an die Alster entsenden. Innensenator Schill hatte bei anderen Bundesländern um Unterstützung bei der Lösung von Hamburgs dringendem Sicherheitsproblem gebeten. Dabei wurde ihm fast überall die kalte Schulter gezeigt, allein Bayerns Innenministerkollege Günther Beckstein (CSU) ließ sich offenbar erweichen.
Der Hamburger Senat will aber prüfen, ob die Ausbildungszeit für neue Beamte von 24 auf 18 Monate plus zwei Praktikumsmonate gekürzt werden kann, um schneller mit eigener Kraft aus der Krise zu kommen.
Wo schneller Abhilfe möglich ist, geht das Mitte-Rechts-Bündnis auch sehr viel zügiger zur Sache. So sollen Anfang 2002 280 zusätzliche Lehrer eingestellt werden, insbesondere um dem grassierenden Unterrichtsausfall zu begegnen. Hamburgs Schulen genießen derzeit einen geradezu sagenhaft miserablen Ruf.
Um mehr Investitionen in die Stadt zu holen, soll ein „Mittelstandslotse“ eingesetzt werden, der kleinere Betriebe bei Genehmigungen unterstützt. Investoren hatten sich seit Jahren über schlechte Behandlung durch hanseatische Bürokraten beklagt.
Verkehrspolitisch setzt der Senat unter Bürgermeister Ole v. Beust (CDU) auf die Rücknahme von allerlei „autofeindlichen“ Maßnahmen. Der Bausenator soll jetzt im Einzelfall prüfen, wo Poller und Schilder abgebaut und der grüne Pfeil für Rechtsabbieger angebracht werden können.
Diese und alle weiteren Detailmaßnahmen stellt die Regierung, die Ende Oktober 44 Jahre SPD-Herrschaft beendete, in das Rahmenprojekt der „wachsenden Stadt“. Wachsen soll nicht nur die Wirtschaft, sondern insbesondere die Einwohnerzahl - und zwar von derzeit gut 1,7 auf zwei Millionen. So viele hatte Hamburg noch nie. Den Höhepunkt erlebte die Elbmetropole 1964 mit 1,85 Millionen, schrumpfte dann bis 1986 auf 1,57 und wuchs hernach wieder auf 1,7, wo sie seit Mitte der 90er Jahre verharrt.
Der Wunsch nach mehr Hamburgern hat ganz profane Gründe. Die massive Abwanderung in die umliegenden Gemeinden des „Speckgürtels“ kostet die Stadt Steuermillionen. Zudem sieht man sich im Stadtstaat immer wieder in Konkurrenz zu viel größeren Flächenstaaten, denen gegenüber man durch eine wachsende Einwohnerschar seinen Metropolenanspruch behaupten will.
Durch Bereitstellung von mehr bezahlbarem Bauland könnte die Abwanderung wirksam begrenzt werden. Die Flächen hat Hamburg, doch konzentrierte sich die Wohnungsbaupolitik der SPD-geführten Senate auf sozial Schwache, weshalb besonders Mittelverdiener alljährlich in Divi- sionsstärke nach Niedersachsen und Schleswig-Holstein auswichen.
Aufsehen erregte ausgerechnet Ronald Schills Plan, im nächsten Jahr Hamburgs alte dunkelblaue Polzeiuniformen wieder einzuführen. Wie in allen Bundesländern tragen auch die hanseatischen Gesetzeshüter seit 1978 grün. „Wie die Förster“ sähen sie aus, schimpfen Beamte seither. Die Kluft sei einfach häßlich und verstoße überdies gegen die hamburgische Tradition, meint auch Schill und führt an, daß die Polizisten sich schließlich wohl fühlen sollen in dem, was sie anhaben. Auf der Innenminister- konferenz ist der Hamburger mit seinem Wunsch nach einer bundeseinheitlichen Lösung indes abgeblitzt. Alle anderen beabsichtigen, grün zu bleiben.
So will die Hansestadt nun im Alleingang ab kommendem Jahr die grünen sukzessive durch die tradionsreichen blauen Uniformen ersetzen. Aus Kostengründen aber jeweils erst, wenn das „Grünzeug“ zerschlissen ist und sowieso weg muß. Ein älterer Beamter hat seine Dienstkleidung aus vergangenen Zeiten dieser Tage schon mal probeweise im Revier vorgeführt. „Das sieht ja klasse aus“ war die einhellige Reaktion seiner jungen Kollegen.
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