|
Kürzlich wurde im pommerschen Wendisch-Silkow (Zelkowo) im Kreis Stolp ein eindrucksvolles Beispiel der "Gastfreundschaft" und EU-Reife in der polnischen Provinz demonstriert.
Am vormittag des 1. Juni wollten dort an die 90 Personen - darunter etwa 80 Deutsche, einige Polen, der zuständige katholische Pfarrer sowie ein evangelischer polnischer Pastor - die Kirche betreten, um einen gemeinsamen Gottesdienst abzuhalten, dem sich die Einweihung einer Gedenktafel anschließen sollte.
Doch der Zutritt war ihnen durch eine Edelstahlkette und ein Sicherheitsschloß verwehrt, die das Kirchenportal blockierten. Die ganze Gesellschaft stand, mit Wolfgang Borcherts Dichterwort gesprochen, buchstädlich "draußen vor der Tür".
Zur Vorgeschichte der peinlichen Angelegenheit muß man Folgendes wissen: Die Ortschaft Wendisch-Silkow, Einkaufs- und Verwaltungszentrum im einstigen deutschen Landkreis Stolp, ist auch ein Kirchenzentrum gewesen, zu dem fünf Nachbardörfer gehörten.
Ehemalige Bewohner dieser Dörfer unterhielten nach ihrer Vertreibung im Bundesgebiet weiter Kontakt untereinander. In den 80er Jahren mündete dieser in der Gründung der "Kirchengemeinschaft Wendisch-Silkow (Schwerinshöhe)". Nach der Wende stießen auch Mitglieder aus Mitteldeutschland hinzu. Seither erfolgten zahlreiche Besuche in der hinterpommerschen Heimat, meist als Einzel-, manchmal auch als Gruppenfahrten. Oft konnten die Vertriebenen dabei von einer herzlichen Aufnahme bei den heutigen polnischen Bewohnern ihrer Häuser und Höfe berichten. Teilweise entstanden sogar regelrechte Freundschaften.
Andererseits mußten auch deprimierende Erfahrungen gemacht werden. So waren sämtliche Gräber verstorbener Angehöriger des Kirchspiels verwüstet worden. Grabsteine und -kreuze lagen wild durcheinander und zeugten von hemmungsloser Gier nach Schmuck und anderen Beigaben für die Toten, die sich zu Geld machen ließen. Schmiedeeiserne Grabeinfassungen konnte man allenfalls fernab als Grundstücksabgrenzungen wiederfinden.
Nicht viel anders erging es den Denkmälern für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges. Zwar hatten die mit Beton vergessenen Granitfelsen einer gewaltsamen Entfernung widerstanden, jedoch waren die Namen der deutschen Soldaten mit Betonschlämme unlesbar gemacht worden.
Außerdem sind kirchliche und standesamtliche Dokumente aus deutscher Zeit vernichtet und unwiederbringlich verloren, ebenso die meist von Lehrern geführten Dorfchroniken.
Vor diesem Hintergrund keimte unter den Mitgliedern der Kirchengemeinschaft Wendisch-Silkow der Wunsch auf, in der Heimatkirche als Ersatz für die verlorenen Erinnerungsstätten eine Gedenktafel anbringen zu lassen. Die Sprecherin Erdmute Gerst begann diesbezüglich im Februar 2001 mit der Kontaktaufnahme zum heutigen polnischen Pfarrer, Herrn Osowski. Dessen Reaktion war zustimmend.
Nach umfangreicher telefonischer und schriftlicher Kommunikation, bei der sich heimatverbliebene deutsche Frauen als Vermittlerinnen einschalteten, sowie nach einer mehrtägigen Polenreise des Ehepaares Gerst wurde von Pfarrer Osowski ein Platz zur Anbringung der Mamortafel ausgewählt. Diese sollte neben einer bereits vorhandenen Tafel für die von einem sowjetrussischen Kommissar ermordete Gräfin von Schwerin befestigt werden.
Als Inschrift gab man vereinbarungsgemäß bei einem Steinmetz in Stolp folgende Zeilen in Auftrag: Zum Gedenken an die verstorbenen ehemaligen Bewohner des Kirchspiels Wendisch-Silkow. 2002
Des weiteren ließ Erdmute Gerst eine "Denkschrift" ausarbeiten, die von einem versöhnlichen Ton gestimmt ist und eine Rückschau auf die deutsche Vergangenheit der Region bietet. Dieser Text wurde zugleich ins Polnische übersetzt und einschließlich eines Anhangs mit alten Kirchenfotos jedem Teilnehmer der Einweihungszeremonie als Broschüre ausgehändigt. Die Sprecherin der Silkower Vertriebenengemeinschaft bat den polnischen Pfarrer rechtzeitig vor dem 1. Juni um Bekanntgabe der Veranstaltung in seiner Gemeinde und ließ ihm zweisprachige Einladungskarten zukommen.
Ihr Wunsch war es, daß ein ökumenischen Gottesdienst zusammen mit den heutigen polnischen Einwohnern stattfinden sollte. Vor Ort warben aufgeschlossene polnische Frauen mit Deutschkenntnissen für das Ereignis und sprachen auch bei Kommunalpolitikern vor. Zur ersten Besichtigung der Marmortafel kam es am Nachmittag des 31. Mai. Sie war vom Steinmetz am vereinbarten Platz befestigt und von einer Polin mit zwei Bändern liebevoll dekoriert worden: eines in Rot und Weiß, das andere in pommerschem Blau-Weiß. Alle freuten sich auf den kommenden Tag.
Um so größer fiel die Enttäuschung angesichts des Häufleins Polen aus, die den Weg zur Feier gefunden hatten. Von Pfarrer Osow- ski war offenbar niemand benachrichtigt worden. Ob ihm trotz der vielen Vorbereitungsgespräche das Bewußsein fehlte, daß hier vertriebene ehemalige Bewohner der heutigen Bevölkerung symbolisch die Hände entgegenstreckten?
Kein Wort der Begrüßung kam aus seinem Munde, geschweige denn eine Entschuldigung für den frostigen Empfang der Ausgesperrten, von denen die meisten trotz ihres hohen Alters die weite Fahrt nicht gescheut hatten. Schließlich waren die Vorfahren und sie selbst in diesem Gotteshaus getauft und konfirmiert worden, und es gab ein starkes Bedürfnis, hier endlich wieder Einkehr zu halten.
Nach Minuten allgemeiner Fassungslosigkeit gelang es dem deutschen Busfahrer mit seinem Bordwerkzeug, das Schloß zu knacken - und die Feierstunde konnte mit geringer Verzögerung beginnen.
Der polnische Pastor Sikora hielt in deutscher Sprache einen evangelischen Gottesdienst, der mit dem gleichen Lied endete, das dereinst der letzte deutsche Seelsorger, Pastor Käding, am Totensonntag des Jahres 1946 angesichts des bevorstehenden Heimatverlusts der noch verbliebenen Deutschen hatte singen lassen: Weiß ich den Weg auch nicht, du weißt ihn wohl, das macht die Seele still und friedevoll.
Die Kollekte in Höhe von 500 Euro und über 230 Zloty wurde Pfarrer Osowski für erforderliche Reparaturen im Gotteshaus zur Verfügung gestellt. Doch nicht einmal jetzt fand er sich zu Dankesworten bereit und qualifizierte sich kaum dafür, im Zusammenwirken mit den Behörden die "schwarzen Schafe" seiner Gemeinde ausfindig zu machen, um sie für ihr Handeln zur Rechenschaft zu ziehe |
|