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Da liegen sie wieder (noch) im bunten Teller, die Marzipankartoffeln, pudrig-braun schimmernd, das rosaglänzende Schweinchen, das Glück verheißen soll, die köstlichsten Früchte, den Originalen täuschend echt nachempfunden - Marzipan darf bei keinem Weih-nachtsfest fehlen. Das Naschmäulchen kann sich kaum bezähmen: der Weihnachtsmann hat mit allerlei guten Wünschen die Tür gerade hinter sich geschlossen, da stürzt es sich auch schon auf die Köstlichkeiten; allzu lange - ein ganzes Jahr! - hat es auf diesen Augenblick warten müssen. Marzipan gibt s eben nur zur Weihnachtszeit , so ist s Brauch in der Familie, obwohl ... So ganz still und heimlich hat es einmal in der Sommerzeit "gesündigt", da hat es ein kleines Stück Marzipan gegessen. Ein Schweinchen, nein, nur das Hinterteil des rosafarbenen Borsten-tiers war s, aber: war es das schlechte Gewissen, die Familientradition verraten zu haben, oder schmeckt Marzipan tatsächlich nur im Winter?
Experten der Firma Schwermer, die ihren Ursprung in Königsberg hat und heute in Bad Wörishofen ansässig ist, verraten: Königsberger Marzipan, das kühl und trocken aufbewahrt wird, kann mindestens neun Monate ohne Qualitätsverlust gelagert werden. Rund 180 Tonnen Rohmasse werden bei Schwermer Jahr für Jahr verarbeitet - zu Broten, Herzen, Teekonfekt, Kartoffeln, Glücksschweinchen oder Eiern (zu Ostern). Schwermer-Produkte gibt es mittlerweile in 31 Ländern der Erde, wobei man sich gegen manche starke Konkurrenz behaupten muß.
1806 kam der Ulmer Konditor Johann Georg Niederegger in die alte Hansestadt Lübeck, wo er zunächst die Konditorei Maret übernahm. 1822 schließlich erwarb er das Stammhaus in der Breiten Straße, direkt gegenüber der Rathaustreppe. Niederegger ist erfolgreich, und auch seine Nachfolger wissen ihre Produkte an den Mann zu bringen, sogar bis an den russischen Zarenhof.
Besucht man heute die alte Hansestadt, steht meist auch ein Besuch bei Niederegger auf dem Programm - "konditorn gehn" wie früher. Der Eingangsbereich erinnert eher an einen Supermarkt, nicht allein wegen des Gedränges, das selbst an einem ganz normalen Wochentag dort herrscht. Mit kleinen Einkaufskörben in der Hand schlendert man an den ausgestellten Köstlichkeiten vorbei. Hier ein Griff zum Schweinchen, da ein Griff zur Tüte mit den Kartoffeln, dann noch ein bißchen Obst, und der Aal da - man ist schließlich an der See (fast), na ja, der Spargel sieht auch nicht schlecht aus, und dann ein Griff und noch einer und noch einer ... Wenn s dann an der Kasse ans Zahlen geht, verläßt den einen oder anderen doch der gute Mut. Aber na ja, man lebt schließlich nur einmal ...
Hat man sich dann durch das Gewühl gearbeitet - anders kann man es wirklich nicht ausrücken -, geht s vorbei an vollbesetzten Tischchen, wo die Menschen bei einer Tasse Kaffee und einem Stück Torte sich von den Strapazen des Einkaufs erholen können. Das aber interessiert im Augenblick nicht sonderlich. Man will noch höher hinaus, in die 2. Etage, dort soll s was geben fürs Auge und die "Bildung". Auch in der 1. Etage Masse Mensch an Tischen; am Buffet Schlange stehen, um ein Stück Torte zu ergattern. Über schmale Stiegen gelangt man schließlich in den Marzipan-Salon. Gedämpftes Licht und sanfte Rot- und Gelbtöne an Wänden und auf dem Fußboden empfangen den Besucher; man fühlt sich eingehüllt wie in zarte Marzipanmasse. Hier erfährt am allerlei Wissenswertes über die Geschichte des Hauses und über die Herstellung von Marzipan. Ein Film zeigt ausführlich, wie aus der Rohmasse von Mandeln und Zucker schließlich die edle Nascherei entsteht.
Besonders eindrucksvoll aber sind die zwölf lebensgroßen Figuren aus - na klar, aus Marzipan. Dargestellt sind alle, die mit der köstlichen Süßspeise zu tun haben. Der Perser mit dem mächtigen Turban (ursprünglich stammt Marzipan aus dem Orient), die Klosterfrau (Marzipan war eine bevorzugte Fastenspeise), Kaiser Karl IV. (er erhielt bei einem Besuch in Siena 1368 mit Blattgold überzogene Marzipanbrote), der Apotheker (Marzipan galt im Mittelalter als stärkendes Heilmittel), Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen (er erwähnt Marzipan in seinem "Simplizissimus"), Thomas Mann (lobte das Haremskonfekt), Wolfgang Joop (Modemacher und Künstler) schuf Marzipan-skulpturen von eigenem Reiz): nämlich vier riesige Eier in den entsprechenden Bechern; sie verlangen besonderes Augenmerk, entsteigt ihnen doch mühsam ein gefiedertes Wesen - ein Zeichen, wie himmlisch Marzipan schmeckt?
Unter Marzipanfreunden entbrennt stets eine heftige Diskussion, welche Näscherei denn besser schmeckt: Schwermer oder Niederegger. Eine Einigung kommt nie zustande; gewiß ist nur: Weihnachten ohne Marzipan - nein, danke!
Ein süßes Wunder: Meisterhände schufen lebensgroße historische Figuren aus Marzipan Foto: Niederegger
Königsberger Randmarzipan: Gefüllte Herzen der Firma Schwermer
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