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Es ist nicht zu bestreiten, daß die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, Erika Steinbach, mit großer argumentativer Kompetenz und Konsequenz das Projekt eines "Zentrums gegen Vertreibungen" in der deutschen Hauptstadt immer wieder vertritt. Sie nimmt jedes sich bietende Forum von Kritikern, Skeptikern und Befürwortern wahr im Wissen um die Notwendigkeit, daß ein breiter gesellschaftlicher Konsens die Idee voranbringt. Nicht ohne Erfolg; so Anfang Juni vor hundert Oberstufenschülern des Rheingau-Gymnasiums in Berlin-Friedenau, eine für Alt-Achtundsechziger beliebte Wohngegend. Die nunmehr letzte Veranstaltung war eine Journalistenrunde Ende Juni im Opernpalais Unter den Linden.
Das Datum fiel genau auf den 90. Jahrestag des Mordes in Sarajewo, das entscheidend die Geschichte des 20. Jahrhundert verändern sollte. Illustre Gäste nahmen teil: Thomas Baumann (ARD-Hauptstadtstudio), Christoph von Marschall (Der Tagesspiegel), Reinard Müller (FAZ), Gustav Seibt (Süddeutsche Zeitung) Peter Glotz, neben Steinbach Vorsitzender der Stiftung Zentrum gegen Vertreibungen. Die Einführung hielt Ernst Cramer, Vorstandsvorsitzender der Axel Springer Stiftung. Als Jude mußte er Deutschland nach 1933 verlassen. Der Prinzessinnensaal im Opernpalais war gut gefüllt, es waren längst nicht nur Vertriebene, sondern auch zahlreiche interessierte Bürgerinnen und Bürger.
Wer nun harte Kontroversen oder hitzige Streitgespräche erwartete, wurde enttäuscht, im Gegenteil, das Bemühen um einen Grundkonsens über das Projekt war unübersehbar. Ohne Widerspruch blieb die Ankündigung der Präsidentin Steinbach, daß diese Veranstaltung sich ausschließlich mit der Vertreibung der Deutschen beschäftigt, ein ganz wichtiger Stiftungsauftrag.
Dies wurde durch weitere Argumente gestützt; die Deutschen haben das Recht auf ihre eigene Geschichte und sogar die Verpflich- tung, ihrer Opfer zu gedenken. Die gesamte innerdeutsche Diskussion zum Thema Zentrum muß als ein Teil des eigenen Selbstfindungsprozesses in einer immer noch verkrampften nationalen Identität gewertet werden. Die Vertreibung ist Teil der deutschen Geschichte, jahrzehntelang tabuisiert - in der alten Bundesrepublik seit Ende der sechziger Jahre und in der DDR. Die Vertriebenenverbände wurden wegen ihrer konsequenten Haltung in eine Isolation gedrängt, die sich nunmehr entscheidend gelockert hat. Das linke Spektrum beginnt das Thema zu entdecken (Günter Grass), und Ereignisse wie die ethnischen Säuberungen auf dem Balkan haben das Bewußtsein bei vielen Deutschen geschärft. Hier muß allerdings angemerkt werden, daß bei dieser erfreulich beginnenden Offenheit gegenüber dem Thema Vertreibungen der Kenntnisstand des Otto Normalverbrauchers in Deutschland darüber defizitär geworden ist; kein Wunder, wenn man registrieren muß, daß in den Lehrplänen für Schulen das Thema immer weiter zurückgedrängt wird; die Zeit der Erlebnisgenerationen an unseren Schulen ist längst vorüber.
Einig war man sich auch, daß in einem künftigen Zentrum die Vertreibung der Juden aus Deutschland und den besetzten Gebieten berücksichtigt werden muß - ein wichtiger neuer Akzent. Ernst Cramer gab in seiner Einführung den Anstoß. Standort Berlin war selbst für Christoph von Marschall offensichtlich nicht mehr das ganz große Problem; er wies auf mögliche Ängste und Befürchtungen aus Polen und Tschechien hin - die Deutschen schlüpfen nunmehr in eine Opferrolle und wollen durch das Wiederaufleben von Eigentumsansprüchen das Rad der Geschichte umdrehen. Dies sind altbekannte Töne in einer emotional angeheizten Debatte, die trotz Lautstärke nicht richtiger werden.
Aber auch unsere Nachbarn im Osten müssen zur Kenntnis nehmen, was bereits am 5. Juli 2003 (Folge 27) in der Freiheits-Depesche stand: "Der Exodus der Deutschen aus Ost- und Westpreußen, Pommern, Ostbrandenburg, Schlesien und dem Sudetenland stellt einen brutalen Schnitt für die deutsche Nationalgeschichte dar. Innerhalb weniger Jahre wurden am Ende des Zweiten Weltkrieges nicht nur Millionen von Existenzen vernichtet, sondern gleichzeitig das Ergebnis jahrhundertelanger Kulturentwicklung ausgelöscht". Dieser wichtige Gesichtspunkt ist nur kurz von Gustav Seibt angedeutet worden, er ist aber eine zentrale Begründung dafür, daß das Projekt Zentrum unverzichtbar für das historische Selbstverständnis der Deutschen ist. Es muß erwartet werden, daß dies künftig auch Polen und Tschechen anerkennen, die nach wie vor eingeladen sind, an der Gestaltung des Zentrums mitzuarbeiten.
Vielleicht kann hier im Kleinen die seit 1972 funktionierende Arbeit der gemeinsamen deutsch-polnischen Schulbuchkommission eine Art Vorbild sein, die seinerzeit unter sehr viel schwierigeren politischen Bedingungen ihre Arbeit aufnehmen mußte und trotz härtester Kontroversen am Ende zu konsensfähigen Ergebnissen kam. Es bleibt die Aufforderung an die Medien, in ihrer Berichterstattung über das Projekt auch dessen zahlreiche namhafte Förderer zu nennen; dann wird nämlich der inzwischen eingetretene breite gesell- schaftliche Konsens deutlich, dies heißt das Projekt Zentrum ist nicht nur die Angelegenheit eines Verbandes. Karlheinz Lau
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