|
Vielleicht wird sich eines Tages ein Doktorand für das Thema begeistern: "Die Auswirkung von Eitelkeiten auf den Rechtsgang vor Obergerichten, dargestellt an der Strafsache Mounir el Motassadeq". Viele Freunde in der Justiz dürfte sich ein Jung-Jurist damit nicht machen, aber das geneigte Publikum hätte endlich eine Chance zu verstehen.
Die Anklage war noch nachvollziehbar. Motassadeq hatte in einer Hamburger Wohngemeinschaft mit Mohammed Atta und anderen gelebt, die als Todespiloten am 11. September 2001 die Anschläge auf das World Trade Center in New York und das Pentagon in Washington verübt hatten. Der jetzt 32 Jahre alte Marokkaner war in Hamburg zurückgeblieben. Die Fahnder kamen ihm rasch auf die Spur.
Das weltweit beachtete erste Strafverfahren nach den Anschlägen von New York endete im Februar 2003 vor dem Hamburger Oberlandesgericht mit dem Urteil, auf das sich die meisten Prozeßbeobachter eingestellt hatten: 15 Jahre Haft wegen Beihilfe zum 3066fachen Mord und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung.
Wenn man von der Justiz erwartet, daß in exemplarischen Fällen klare Urteile gefällt werden, damit das Gefühl von Recht und Gerechtigkeit leben kann, dann sollte man die Strafakte Motassadeq schnell beiseite legen. Dieses Urteil wurde nie rechtskräftig. Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe hob die Entscheidung im März 2004 auf, weil die Hamburger Richter in der Urteilsbegründung entlastendes Material aus den USA nicht hinreichend berücksichtigt hatten: Der mit internationalem Haftbefehl gesuchte Mitverschwörer Said Bahaji hatte in einem Brief an seine Mutter geschrieben, Motassadeq habe mit den Anschlägen nichts zu tun. Diesen Vorgang nicht im Urteil aufzugreifen war gewiß ein formaler Fehler.
Aber Obergerichte geben nicht freiwillig nach, solange die Strafprozeßordnung noch Möglichkeiten zur Gegenwehr bietet. Das Hamburger Oberlandesgericht ließ sich nach dem Rüffel aus Karlsruhe sogar darauf ein, Motassadeq aus der Untersuchungshaft zu entlassen.
Neues Verfahren, neues Urteil im August 2005: Die Hamburger Richter werteten die entlastenden Aussagen aus den USA und ließen den Vorwurf einer Beihilfe zum Mord fallen - macht sieben Jahre Haft wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung.
Auch dieses Urteil hatte so keinen Bestand. Denn wenn Zeugenangaben nicht "ausreichend gewürdigt" worden sind, bedeutet das für die Bundesrichter in Karlsruhe noch lange nicht, daß sich ein Gericht von dieser Aussage auch gänzlich leiten lassen muß. Der Bundesgerichtshof meinte, wenn Motassadeq nicht nachzuweisen sei, daß er von den Anschlägen auf das World Trade Center wußte, so war er doch an den Vorbereitungen der Flugzeugentführungen beteiligt. Karlsruhe setzte die Beihilfe zum Mord in 246 Fällen (das ist die Zahl der in den gekaperten Flugzeugen getöteten Passagiere und Besatzungsmitglieder) wieder ins Urteil ein und verlangte vom Hamburger Oberlandesgericht ein entsprechend höheres Strafmaß. Am 8. Januar 2007 legte sich das Hamburger Oberlandesgericht schließlich auf 15 Jahre Haft gegen Mounir el Motassadeq fest. Viele Prozeßbeobachter meinen, daß es jetzt dabei bleiben wird - auch wenn noch Beschwerden an das Bundesverfassungsgericht oder die europäische |
|