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Für die Ost- und Sudetendeut-schen ist der Paragraph 96 des Bundesvertriebenengesetzes ein Kernanliegen ihrer Arbeit zur Pflege, Bewahrung und Weiter-entwicklung des ostdeutschen Kulturerbes. In Nordrhein-Westfalen hat jetzt zu diesem Thema „Kulturförderung nach § 96 Bundesvertriebenengesetz (BVFG)“ eine Anhörung der Ver-bände der Vertriebenen durch die CDU-Landtagsfraktion im Düs-seldorfer Parlament stattgefun-den.
Die Vertriebenen in Nordrhein-Westfalen haben im Anschluß daran der CDU-Fraktion, ihrem Vorsitzenden Dr. Jürgen Rüttgers MdL und dem Beauftragten für Vertriebenenfragen, Hagen Jobi MdL, für ihr Bekenntnis zur ge-samtdeutschen Geschichte und Kultur und ihren Einsatz dafür, daß die Vertriebenen auch wei-terhin ihre wertvolle Brücken-funktion in einem zusammen-wachsenden Europa wahrneh- men können, gedankt. Die Anhörung der Verbände der Vertriebenen vor der CDU-Landtagsfraktion hat deutlich gemacht, daß die finanziellen Leistungen zur Erhaltung und Weiterentwicklung des ostdeutschen Kulturerbes, die das Land Nordrhein-Westfalen erbringt, keineswegs ausreichen, um dem gesetzlichen Auftrag zu entsprechen. Wenn der nord-rhein-westfälische Landesetat inzwischen nicht eine einzige Mark für die Kulturarbeit der Vertriebenen mehr vorsieht, ist das gesetzwidrig. Das Gesetz sagt, daß das Kulturerbe der Vertreibungsgebiete im Bewußtsein der Vertriebenen, der Bevölkerung insgesamt und sogar des Auslandes zu erhalten ist. Dieser Dreiklang wird in Nordrhein-Westfalen durch den Ausschluß der Verbände der Vertriebenen bei der Förderung der sogenannten kulturellen Breitenarbeit gesetzeswidrig durchbrochen.
Der BdV-Landesvorsitzende und Vizepräsident Hans-Günther Parplies dankte Rüttgers und Jobi für die Zusage, sich mit ihrer Fraktion für einen angemessenen Ansatz an Projektmitteln für die kulturelle Breitenarbeit im Landeshaushalt einzusetzen und eine Grundsatzdebatte über die zukünftige Förderungspolitik anzustoßen.
Nach vielen Jahren ist mit dieser Anhörung erstmals wieder eine notwendige Debatte angestoßen worden. Die Teilnahme zahlreicher Abgeordneter, auch solcher, die mit dem Thema nur indirekt berührt sind, zeigt, daß es sich hier keineswegs um eine abseitige Vertriebenenfrage handelt, sondern um ein grundsätzliches Problem, das eben nicht nur die Vertriebenen betrifft.
Auch die Vorsitzende des Kulturausschusses im Landtag von Nordrhein-Westfalen, Dr. Renate Düttmann-Braun MdL (CDU), hat sich in die Diskussion eingeschaltet und deutlich gemacht, daß das kulturelle Erbe der Gebiete jenseits von Oder und Neiße zur kulturellen Identität der Gesamtnation gehört. Die Landtagsabgeordnete: „Das unsichtbare Fluchtgepäck war und ist ein unverzichtbarer Bestandteil der deutschen und europäischen Kultur.“ Düttmann-Braun weiter: „Die Pflege und Förderung der Kultur ist nach dem Grundgesetz vorrangig eine Aufgabe der Länder. Nordrhein-Westfalen, das bevölkerungsreichste Bundesland, hat von Beginn an durch Jahrzehnte, im Konsens aller im Landtag vertretenen Fraktionen, sich der Aufgabe der Pflege, Förderung und Weiterentwicklung der ostdeutschen Kulturarbeit gestellt.“ Für Nordrhein-Westfalen ist das allein deshalb ungewöhnlich, weil die Kultur der Ost- und Sudetendeutschen bei den Sozial- und Migrationspolitikern angesiedelt ist. Um so erfreulicher ist es, daß dieser Bereich jetzt auch darüber hinaus zur Kenntnis genommen wird.
Insgesamt geht es um viel mehr als folkloristische Brauchtums-pflege oder kleinliches Gefeilsche für die Erhöhung der Fördermittel um einige zehntausend Mark. Der BdV-Landesvorsitzende und im Präsidium für Kultur zuständige Vizepräsident des Verbandes, Hans-Günther Parplies, hat das in seinen Ausführungen ein-drucksvoll deutlich gemacht: „Es geht bei der gestellten Aufgabe ostdeutscher Kulturtradition nicht nur, nicht einmal in erster Linie um die ,armen Vertriebenen‘ und ihr gefährdetes Kultur-erbe. Es geht in Wahrheit um die Erhaltung der geistigen Substanz der Nation. Wenn die Bundes-zentrale für politische Bildung in dieser Zeit einen Kalender über die großen Deutschen herausgibt, so fehlt darin Immanuel Kant. Denn Kant ist nicht auf dem Bo-den der heutigen Bundesrepublik Deutschland geboren und er hat den unverzeihlichen Fehler be-gangen, auch nicht eine einzige Lebensstation in deren heutigen Grenzen zu verbringen. Der russische Präsident Wladimir Putin feiert vor dem Deutschen Bun- destag die deutsche Sprache als die Sprache Kants; aber die angebliche Kulturnation der Deutschen kann es sich leisten, Kant aus ihrem Gedächtnis, aus dem ,ewigen‘ Kulturkanon der Nation zu löschen.
Es gibt viele, sehr viele Denkmäler in der Bundesrepublik Deutschland. Aber Kant hat hier keines. Die Welt feiert ihn als einen Großen. Aber das heutige Deutschland hat offenbar so viel kulturelle Substanz, daß es sich getrost leisten kann, den vielleicht größten Geist, den das deutsche Volk der Menschheitsgeschichte geschenkt hat, einen der singulären Denker der Menschheitsgeschichte, aus seinem Kulturkanon zu löschen.“
Parplies umreißt damit exemplarisch die Dimension, um die es tatsächlich geht. Bei der ostdeutschen Kulturarbeit, die heute notwendig geworden ist, geht es um Immanuel Kant, Gerhart Hauptmann, Lovis Corinth, Adalbert Stifter und viele andere. Es geht um die großen Universitätsstädte Königsberg und Breslau, es geht um ostdeutsche Architektur und bildende Kunst, es geht um Archive, Museen und Bibliotheken. Das ostdeutsche Kulturerbe wird vergessen und als spezifisch ostdeutscher Beitrag zur deutschen Kulturnation nicht mehr genannt werden, wenn nicht immer wieder auf den ostdeutschen Anteil aufmerksam gemacht wird.
Natürlich kennt auch der BdV in NRW das Gegenargument der leeren Kassen. Aber gerade in Zeiten knapper Kassen ist es notwendig, Prioritäten zu setzen. Es ist notwendig, die Förderpraxis wieder an das Gesetz anzupassen. Der Ausschluß der Vertriebenen aus der staatlichen Förderung ist rechtswidrig. M. Patzke
Der Vorsitzende der CDU-Fraktion (NRW), Rüttgers: „Was sich in 1.000 Jahren entwickelt hat, darf nicht verloren gehen.“
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