A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W X Y Z
     
 
     
 

Kurdenflut

 
     
 
Nun ist wieder einmal alles in heller Aufregung über eine neue Welle von Flüchtlingen und Asylbewerbern. Der Trend ist keineswegs neu. Denn schon in den vergangenen Jahren stand das Herkunftsland Türkei stets an vorderster Stelle. Dies hat unterschiedliche Gründe. Vor allem liegt es am ungelösten Kurdenkonflikt in der Türkei, das die dortige Regierung einfach damit abtut, von einem Terroristenproblem zu sprechen. Dieses "Terroristenproblem" hat jedenfalls zu riesigen militärischen Aktionen im Südosten der Türkei und im Nordirak geführt. Viele Dörfer wurden plattgemacht oder geräumt.

Es gibt Massen von Flüchtlingen, welche die innerstaatliche Fluchtalternative gesucht haben. In den Umfeldern der großen Städte der Türkei ist dies handgreiflich zu spüren. Der Schlüssel zur Problemlösung liegt insofern in der Türkei. Aber Ankara war und ist bis heute nicht bereit, den Versuch einer politischen Lösung zu machen. Die türkisch
e Regierung und das Militär glauben offenbar immer noch, der Konflikt mit der PKK sei militärisch zu lösen. Dies ist falsch. Wie oft schon wurde gesagt, jetzt komme der entscheidende letzte Schlag gegen die PKK. Dann sei das Problem gelöst – von wegen!

Politische Überzeugungsarbeit ist daher gefragt. Auch Israel mußte eines Tages mit dem Terroristen Arafat verhandeln. Gefragt ist die politische Einflußnahme im Sinne eines Dialogs und die internationale positive Begleitung eines Befriedungsprozesses.

Auch sollte die Diskussion um Waffen aus Deutschland im Kurdenkonflikt möglichst sofort beendet werden. Sie ist heuchlerisch, lenkt von der Sache ab und kostet unnötige Zeit und Kraft. Die Annahme, ohne Waffen aus Deutschland könnte die Türkei den Kampf gegen die PKK nicht führen oder würde ihn einschränken, ist falsch. Jeder weiß, daß die Türkei auch ohne deutsche Beteiligung über ausreichend Waffen verfügt oder sich das notwendige Material beschaffen kann.

Auch bei der Debatte um die Gefahr eines Atomkrieges wurde lange Zeit falsch diskutiert. Nicht die Existenz der Atomwaffen ist das Problem, sondern der gute oder böse Wille der Besitzer. Die Atomwaffen in Europa sind nicht nennenswert weniger geworden, aber das Thema spielt nun keine Rolle mehr, weil die Deutschen vor französischen und die Franzosen derzeit vor russischen Atomwaffen keine Angst haben. Das Gefährliche ist also der Mensch. Die Gefahr in der Türkei sind nicht Waffen aus Deutschland, sondern eine falsche türkische Politik.

Es kann auch kein Zweifel daran bestehen, daß die Türkei bei gutem Willen durchaus in der Lage wäre, den Exodus mit großen Schiffen und Containern drastisch einzugrenzen. Aber die Interessenlage ist so, daß ein Fortzug des kritischen Kurdenpotentials eher erwünscht ist. Auch scheint der Verdacht begründet, daß die zögernde Haltung der Europäischen Union hinsichtlich einer Vollmitgliedschaft der Türkei Trotzreaktionen auslöst und die Neigung, den Flüchtlingsstrom zu verhindern, sinken läßt. Generell muß davon ausgegangen werden, daß die Türkei an einem "Export" von Türken interessiert ist. Insofern müssen wir davon ausgehen, daß eine Lösung des Problems vor Ort in absehbarer Zeit nicht stattfinden wird.

Deshalb müssen die Länder der Europäischen Union andere Lösungen suchen. Dies gilt insbesondere auch deshalb, weil ein wesentlicher Teil der Menschen nicht aus Gründen der politischen Verfolgung die Heimat verläßt, sondern aus ökonomischen Überlegungen. Man hört von Bekannten und Verwandten und Schleppern, wie einfach es ist, in Deutschland zu einem besseren Lebensstandard zu  kommen. Und so zieht es einen eben dahin, wo die Weiden grüner und die Tröge voller sind. Dies war stets ein tragendes Motiv von Völkerwanderungen. Da weder die Europäische Union noch insbesondere Deutschland die Not der ganzen Welt durch Aufnahme  von Flüchtlingen lösen kann, behalten die Grenzen ihren Sinn. Freizügigkeit ohne Grenzen ist so lange ein schöner und nicht realisierbarer Traum, als es zwischen verschiedenen Ländern und Regionen ein erhebliches wirtschaftliches Gefälle gibt. Wenn also – wie Schengen vorsieht – zwischen verschiedenen Ländern die Grenzkontrollen fallen sollen, müssen die Außengrenzen dieser Ländergruppen  entsprechend kontrolliert werden. Dies war eine Voraussetzung für die Ausdehnung des Schengener Abkommens auf Italien. Wenn Italien diesem Erfordernis nur ungenügend nachkommt, entfällt die Geschäftsgrundlage.

Dieses gilt um so mehr, wenn man den Eindruck haben muß, daß Italien alles tut, um den schwarzen Peter an Deutschland weiterzugeben. Nur so ist die Äußerung des italienischen Innenministers Napolitano zu verstehen, man wolle den Flüchtlingen behilflich sein, in die Länder ihrer Wahl zu gelangen. Dies ist ein ganz und gar unsolidarisches Verhalten. So etwas sollte zwischen den Ländern der Union nicht mehr praktiziert werden.

Es zeigt jedoch, wie in kritischen Situationen doch immer wieder national gedacht wird. Auch wir sind gehalten, nun so zu verfahren. Das eine ist der Schutz der eigenen Grenzen, der praktisch die Aufkündigung der Schengen-Vereinbarung für Italien bedeutet. Wenn die italienische Regierung ihr Verhalten nicht ändert, gibt es dazu keine Alternative.

Das andere ist die Zurücksendung hier aus Italien ankommender Flüchtlinge. Italien ist ein sicheres Drittland. Wer Schutz vor politischer Verfolgung will, kann in Italien bleiben. Wer dort nicht bleiben will, sucht offenbar etwas anderes, nämlich Geld und Wohlstand. Hier wird der eigentliche Mangel der Gesamtsituation deutlich. Hier wird deutlich, daß es zu einem harmonisierten Asylrecht in der Gemeinschaft keine Alternative gibt.

Seit mehr als zehn Jahren wird über die Vereinheitlichung des Asylrechts in der Gemeinschaft herumpalavert. Die Fortschritte sind minimal. Solange die Bedingungen für Asylbewerber in Deutschland besonders gut sind, werden fast alle nach Deutschland kommen wollen. Notwendig sind folgende Regelungen:

– einheitliche Verfahrensregelungen,

– einheitliche rechtliche Wertung des Asylrechts, entweder als institutionelle Garantie oder individuelles Recht,

– Schlüssel zur Verteilung der Bewerber auf die Länder der Union,

– gleichartige Alimentation der Bewerber in den einzelnen Ländern.

Nur so kann es zu einer angemessenen, den Grundsätzen der Solidarität genügenden Lastenverteilung in der Union kommen, sofern die anderen Länder nicht bereit sind, ihre Regelungen einfach dem deutschen Niveau anzupassen. Doch das scheint äußerst unwahrscheinlich.

Leider können der Bundesregierung hier Vorwürfe nicht erspart werden. Sie hat das Thema in den Verhandlungen um Maastricht nicht mit der notwendigen Intensität verfolgt. Offenbar hatte die Währung immer eine zu große Priorität. Wenn sich die Bundesregierung mit der gleichen Intensität für die Harmonisierung des Asylrechts eingesetzt hätte, wie sie sich für die Währung eingesetzt hat, wären Fortschritte gewiß größer gewesen. Die unterschiedliche Rechtslage, der Verzicht auf eine Regelung der Verteilung der Asylbewerber in der Union und die unterschiedliche Alimentierung der Asylbewerber gehen zu Lasten Deutschlands. Es ist an der Zeit, daß endlich ernsthafte Anstrengungen für eine Harmonisierung des Asylrechts auf europäischer Ebene unternommen werden.

 
     
     
 
Diese Seite als Bookmark speichern:
 
     
     
     

     
 

Weitere empfehlenswerte Seiten:

Philister

Wurst wird unerschwinglich

Ein graziöses Lustspiel

 
 
Erhalten:
 

 

   
 
 
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
WISSEN48 | ÜBERBLICK | THEMEN | DAS PROJEKT | SUCHE | RECHTLICHE HINWEISE | IMPRESSUM
Copyright © 2010 All rights reserved. Wissensarchiv