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Köpenickiade

 
     
 
Vor 100 Jahren meldete die Presse im Großraum Berlin, daß in Köpenick ein Überschuß von 64619,08 Mark erwirtschaftet worden sei (was für herrliche Zeiten damals) und für Wertpapiere im Werte von zwei Millionen Mark ein neuer Tresor angeschafft werden müsse. Der am 13. Februar 1849 im ostdeutschen Tilsit geborene Kleinkriminelle Wilhelm Voigt
hatte schon, als er noch in Haft saß, getönt, daß er sich für einen großen Coup "einfach Soldaten von der Straße holen" würde. Inzwischen war Voigt wieder auf freiem Fuß und schritt nun zur Tat.

Nachdem Voigt sich am 16. Oktober 1906 in eine in diversen Trödelläden zusammengekaufte Hauptmannsuniform gekleidet hatte, machte er sich als erstes daran, "Soldaten von der Straße zu holen". In Wedding unterstellte er sich zuerst ein aus fünf Mann bestehendes Wachkommando der Militärschwimmanstalt am Plötzensee, das sich nach dessen Ablösung auf dem Weg in seine Kaserne befand, und verstärkte seinen Trupp dann noch um eine vorbeikommende ebenfalls abgelöste sechsköpfige Wache eines nahegelegenen Schießstandes. Der "Hauptmann von Köpenick" hatte nun genügend unbewußte Komplizen für seinen Coup beisammen.

Gemeinsam fuhr der Trupp mit der Bahn nach Köpenick, wo er am frühen Nachmittag eintraf. Zu Fuß ging es zum Rathaus, wo der "Hauptmann" an den Ein- und Ausgängen Posten postierte, die niemanden ohne seine Erlaubnis hinein oder herauslassen sollten, bevor er selber mit dem Rest der Soldaten das Gebäude betrat. Auf der Vortreppe stieß er auf den Ortsgendarm, den er mit weiteren Mannschaften wie zuvor die Soldaten unter sein Kommando stellte. Entsprechend dem ihnen erteilten Auftrag beteiligten sie sich an der Sicherung des Gebäudes und sorgten draußen für Ruhe und Ordnung. Auf dem weiteren Weg zum Zimmer des Bürgermeisters stieß Voigt in das Zimmer des Oberstadtsekretärs vor, der sofort respektvoll aufsprang sowie Namen und Titel nannte, als er von ihm im Kommandoton angesprochen wurde. Der Bürgermeistermitarbeiter leistete keinen Widerstand, als er auf Befehl des Königs für verhaftet erklärt wurde. Nun war für Voigt der Weg zum Bürgermeister frei, der ebenfalls klaglos akzeptierte, auf Befehl Seiner Majestät verhaftet zu sein. Der Polizeiinspektor, das Oberhaupt der örtlichen Polizei, wurde in dessen Amtszimmer beim Nickerchen erwischt. Von der Situation sichtlich überfordert, bat er den "Hauptmann", sich für ein Bad verflüchtigen zu dürfen. Dem Begehren wurde stattgegeben.

Nachdem die potentiellen Störenfriede im Rathaus derart kaltgestellt waren, wandte sich Voigt nun seinem eigentlichen Ziel zu, der Stadtkasse. Hier teilte er dem zuständigen Stadtkassenrendanten mit, daß er verhaftet sei und erteilte ihm den Befehl, Bestandsaufnahme zu machen. Bis zur Erfüllung dieses Auftrages stärkte sich der "Hauptmann" im Ratskeller. Anschließend konfiszierte er die rund 4000 Mark und unterschrieb über den Betrag auch eine Quittung. An die Wertpapiere im Werte von zwei Millionen und die 30000 Mark der Stadtsparkasse kam er jedoch nicht heran. Was nützte es ihm, wenn ihm alles gehorchte, was ihn in seiner Uniform sah, aber die entscheidenden Schlüsselbesitzer sich nicht auftreiben ließen? So begnügte sich Voigt mit der Beschlagnahme der rund 4000 Mark.

Nachdem er Beute gemacht hatte, war es nun an der Zeit, sich unauffällig aus dem Staub zu machen. Bereits auf dem Weg zu seinem Imbiß im Ratskeller war dem "Hauptmann" ein Sergeant der Polizei über den Weg gelaufen, dem er spontan den Auftrag erteilte, drei möglichst geschlossene Wagen zu requirieren und in den Rathaushof zu bringen. Nachdem er dem Bürgermeister das Ehrenwort abgenommen hatte, keinen Fluchtversuch zu unternehmen, und ihm dafür erlaubt hatte, die Ehefrau als seelischen Beistand mitzunehmen, erteilte Voigt den Befehl, die Gefangenen, bewacht von Polizei und Militär, zur Neuen Wache zu bringen. Dort sollte man sich beim Leutnant als "von Köpenick zurück" melden. Seinen Soldaten befahl er, noch eine halbe Stunde Wache zu stehen. Danach sollten sie sich in einer Wirtschaft stärken, nach Berlin zurückfahren und sich schließlich ebenfalls bei der Neuen Wache als "von Köpenick zurück" melden. Damit waren die Soldaten für weit über eine halbe Stunde beschäftigt. Währenddessen begab sich Voigt in seiner Hauptmannsuniform zum Köpenicker Bahnhof, von wo aus er gegen 17.30 Uhr nach Hause fuhr.

Möglicherweise wäre man Wilhelm Voigt niemals auf die Schliche gekommen, wenn nicht einer seiner damaligen Mitgefangenen sich seiner damaligen Worte, daß er "einfach Soldaten von der Straße holen" würde, erinnert und ihn verpfiffen hätte. Der sofort Geständige wurde zu vier Jahren Haft verurteilt. Wilhelm II. zeigte jedoch Selbstironie und begnadigte den "Hauptmann" vorzeitig. Am 16. August 1908 war Voigt wieder auf freiem Fuß. Die nächsten Jahre lebte er von der Vermarktung seines Schelmenstückes. Da er dabei wegen Verletzung der Gewerbeordnung erneut in Konflikt mit dem Gesetz geriet, verlegte er seinen Wohnsitz nach Luxemburg. Als er dort am 3. Januar 1922 starb, war er wieder so arm wie vor der Köpenickiade. Wie so viele Deutsche war auch er ein Opfer der Inflation geworden. (M. R.)

Wilhelm Voigt: Als "Hauptmann von Köpenick" (Archiv)
 
     
     
 
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