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Mit der vergrößernden Lupe betrachtet, war die Liebe des legendären Paares glutender als unser Zentralgestirn, rätselvoller als der Meeresboden, bruchsicherer als Bergwerksstollen. Doch ein einziger Tag hätte zum tödlichen Verhängnis werden können, forderte die Bewährungsprobe. Die Rede ist von der Jüdin Esther (Stern) und dem Perser Ahasverus (Xerxes), Herrscher von "Indien bis ans Mohrenland".
Die Geschichte ist im alttestamentlichen "Buch Esther" festgeschrieben; Ergänzungen finden sich in den anhängenden Apokryphen ("verborgene Schriften"), die Martin Luther in die Bibel aufnahm, obgleich sie der "Heiligen Schrift nicht gleichgehalten und doch nützlich und gut zu lesen sind." Der Re- formator lehnte das ganze "Buch Esther" ab, das finale Rachegeschehen erregte seinen Widerwillen.
Nun die Liebesverstrickung in narrativ verknappter Wiedergabe: Ahasverus hatte seine Gattin Vasthi wegen Ungehorsams verstoßen. Sie hatte sich seinem Befehl widersetzt, an einem Festmahl teilzunehmen; im von Männern dominierten Orient ein strafwürdiger Frevel. Eine neue Königin mußte gefunden werden. Im ganzen Land suchten Beauftragte nach jungen Frauen, die in den Harem des Schlosses zu Susa gebracht wurden. Unter ihnen befand sich die Waise Esther. Ihr Ziehvater hieß Mardochai. Er riet ihr: "Sage niemandem, daß du Jüdin bist. Wir sind hier nur geduldet, von Feinden umlauert."
Esther kam mit anderen auserwählten Mädchen in die Obhut des Eunuchen Hegais. Er hatte dafür zu sorgen, daß jedes Mädchen für die "Nacht mit dem König" gesalbt, geschmückt, kostbar ausgestattet wurde. Alles, was sie an Geschmeide wünschten, wurde ihnen gegeben. Als Esthers Nacht herankam, fragte Hegais, welchen Zierrat sie begehre. "Nichts, nur ein schlichtes, helles Gewand." Hegais stutzte und unterdrückte ein Lächeln. Er selbst führte sie zu des Königs Gemächern, begleitet von sieben edelsteinfunkelnden Ehrendamen. Dann schloß sich der Vorhang hinter Esther. Sie war mit Ahasverus allein. Er starrte die schmucklose Gestalt an, die nicht niederkniete, stumm stehen blieb und zu ihm blickte. War ihre Schmucklosigkeit, ihr Gebaren ein Affront gegen seine Mannes- und Herrscherwürde? Dies erbärmliche unprätentiöse Geschöpf zeigte nicht die geringste Mühe, ihm gefallen zu wollen. Das war dem Herrscher "von Indien bis ans Mohrenland" noch nicht widerfahren. Wunderlicher Neugier folgend, trat er vor sie. Kein Wort fiel. Wortlos legte er die Arme um sie, wortlos zog er sie an sich und - vermutlich auch schweigend - drückte er ihr am Morgen die Königinnenkrone aufs Haar ...
Am Hofe lebte der über erhebliche Vollmachten verfügende Großwesir Haman. Er haßte Mardochai; er haßte alle Juden. So überredete er Ahasverus, an einem durch das Los ("Pur") zu bestimmenden Tag die Juden töten zu lassen: "Es ist ein Volk, zerstreut und teilt sich unter alle Völker in allen Ländern deines Königreichs, und ihr Gesetz ist anders denn aller Völker, und tun nicht nach des Königs Gesetzen. - Gefällt es dem König, so lasse er schreiben, daß man sie umbringe." Ahasverus tat es.
Die Bewährungsprobe: Mardochai hatte von dem Mordplan erfahren und bat Esther, in den internen Festhof des Ahasverus zu gehen und für das Leben der jüdischen Siedler zu bitten. Wer im Hof erschien und nicht Gehör fand, verfiel der Todesstrafe. Drei Nächte rang Esther mit sich. Am nächsten Tag betrat sie im vollen Gepränge der Königin den Hof. Sie wußte, daß sie sich auf ein Tod-oder-Leben-Spiel einließ. Würde die Liebe des Persers standhalten? Sie sank in die Demutsgebärde.
Ahasverus Züge verhärteten sich. Ahnte er Ungeheuerliches? Esther packte das blanke Entsetzen. Sekunden versickerten. Dann bekannte sie: "Ich bin Jüdin und bitte für mein Volk in deinem Reich. Laß es nicht sterben." Lähmende Stille im Hof. Esther hatte ein Bekenntnis und eine Bitte hoher politischer Brisanz vielen fremden Ohren kundgetan. Zauderte Ahasverus? Esther senkte den Kopf. Verloren, dachte sie. In diesem Augenblick neigte sich Ahasverus ihr zu. "Dein Begehren soll erfüllt werden." Mit der Hinrichtung Hamans und der Erhöhung Mardochais zum Wesir, mit der Lebensfreiheit der Juden in Persien hätte das Drama sein Ende finden können. So aber war es nicht. Esthers Schuld: Verbunden mit ihrem Namen blieb ein horribler Racheakt der Juden an der persischen Bevölkerung, den Esther gefordert und der ihr zugebilligt worden war. In landweitem Gemetzel wurden 75.000 Perser ermordet. Der Unversöhnlichkeit war Tür und Tor geöffnet.
Das "Buch Esther" gilt als unhistorisch, parabelhaft. Wahrscheinlich wurde es als Nationalepos, Verherrlichung einer Volksheldin verfaßt. Alljährlich im Frühjahr wird das "Purimfest", der Sieg über Haman gefeiert. In den Synagogen wird die Esther-Megilla - der Buchtext in Rollenform - verlesen. Fällt der Name Haman, ertönt freudvolles Gerassel der Purimklappern. Im Grunde eine Geschichte ohne Happyend.
Esther und Ahasverus: Nach einem Gemälde von Ambrosius Francken d. Ä. (1544-1610) |
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