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Litauen: Ein Wiedersehen

 
     
 
Ein Wiederfinden nach 86 Jahren! Ist das überhaupt möglich? Zwischen zwei Menschen wohl sehr, sehr selten. Auch das hier geschilderte Wiederfinden, das eigentlich ein Auffinden ist, hat schon etwas Wunderbares. So sieht es auch der geborene Königsberger Dr. Wolfhart E. Burdenski, der jetzt in Litauen das Grab seines im Ersten Weltkrieg gefallenen Vaters gefunden hat. Und nicht nur, daß er es finden konnte, ist das fast Unglaubliche an dieser Geschichte, sondern wie und mit wessen Hilfe dies geschah. Aber lassen wir ihn selbst erzählen:

„Es begann mit einem Bericht über die ,Wolfskinder’ im litauischen Schaulen (heute Siauliai), der unter dem Titel ,Vergeßt uns nicht‘ im Dezember 1999 im erschien. Als ich den Namen las, stieg die Erinnerung in mir auf: Dort war mein Vater Hermann Burdenski als Landsturmmann am 25. Juli 1915 gefallen. Genauer: Er wurde beim Angriff auf Schaulen verwundet und verstarb sieben Tage später im Feldlazarett
auf dem Gut Kibarty.

Diese beiden Namen haben mein Bruder Diether und ich von unserer Mutter unzählige Male gehört. Nach Kriegsende 1918 fuhr sie zum Grab des Vaters. Das ist meine erste Kindheitserinnerung: Wir beiden Jungen standen am Fenster unserer Parterrewohnung in der Königstraße und warteten ängstlich auf Mutters Rückkehr. Im Sommer 1931 fuhren Diether und ich, damals Primaner, mit unserer Mutter zu dieser Grabstelle: Ein kleiner, eingezäunter Soldatenfriedhof mit Holzkreuzen, dahinter ein Wäldchen und einige kleine Häuser. Den Namen unseres Vaters auf dem Holzkreuz schnitzten wir nach.“

Die Fotos von dem Holzkreuz hatten sich nach all den Wirren der Zeit wiedergefunden - würde der Sohn auch mehr als 70 Jahre nach seinem Besuch das Grab des Vaters wiederfinden? Es schien auf einmal alles so nahe gerückt, als Wolfhart Burdenski die Namen las. Kurzentschlossen wandte er sich an Das und erhielt den Namen der Verfasserin des „Wolfskinder“-Berichtes. Diese verwies ihn an die Leiterin der Schaulener Gruppe der „Wolfskinder“ in Litauen, Ruth Deske, jetzt Birute Goriene. Man kam schnell in Kontakt, und als Wolfhart Burdenski erfuhr, daß Ruth mehrere Jahre mit ihrem Mann in Kibarty gewohnt hatte, stand für ihn fest: „Wir fahren nach Litauen und suchen das Grab des Vaters!“

„Wir“ - das waren Wolfhart Burdenski, seine Frau und die Schwiegereltern ihres jüngsten Sohnes. Die Fragen nach Unterkunft und Verpflegung hatte Ruth Deske von vornherein gelöst: „Bei uns!“ Die Fahrt erfolgte im eigenen Wagen. Die Besucher wurden von Ruth Deske und ihrer Familie herzlich aufgenommen, bewirtet und betreut. Eben echte heimatliche Gastfreundschaft.

Dann begann die Suche nach dem Grab. In der Nähe von Kibarty liegt ein gepflegter deutscher Soldatenfriedhof mit 486 deutschen und Hunderten von russischen unbekannten Gefallenen aus dem Zweiten Weltkrieg. Die Betreuung durch den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge ist unverkennbar. Aber hier konnte das Grab ja nicht zu finden sein. Einige Kilometer weiter erwartete schon ein anderes „Wolfskind“ - Siegfried - die Besucher, die sich etwas wunderten, daß der Mann mit einem Trecker kam. Auf dem Gut Kibarty wurden sie von der jetzigen Besitzerin begrüßt. Sie war als junges Mädchen wie ihre Eltern, die dort umkamen, von den Russen nach Sibirien verschleppt worden.

Nun lassen wir Wolfhart Burdenski wieder selber erzählen:

„Die Suche begann. Hier mußte doch - ich erinnerte mich nach 70 Jahren - irgendwo ein Wald sein. Richtig, nach etwa 1,5 Kilometern fanden wir ihn, einen verwilderten und fast undurchdringlichen ,Urwald‘. Intensive Suche, immer nahe am Waldrand. Ergebnis: nichts. Keine Spur von Gräbern. Nach so langer Zeit sind die Holzkreuze sicher verrottet und verschwunden. Hatten wir eigentlich etwas anderes erwartet?

Aber war es überhaupt die richtige Stelle? Plötzlich fiel es Ruth ein, daß es irgendwo in der Nähe noch einen alten, viel kleineren Soldatenfriedhof geben mußte. Ein anderer Wald war aber nicht zu sehen, nur kleine Baumgruppen inmitten weiter Felder. Siegfried fuhr mit seinem Trecker voran, immer querfeldein, wir mit dem Auto hinterher über die abgeernteten Felder, bis er in der Nähe einer verwucherten Baumgruppe hielt. Wir stiegen aus und fanden tatsächlich einige Betonpfähle, wohl von einem früheren Zaun. Und dann glaubten wir unseren Augen nicht zu trauen: Zwischen Bäumen und Büschen entdeckten wir steinerne Grabkreuze, umgefallen, mit Moos bewachsen, aber in Reihen geordnet. Nach einigem Kratzen und Schaben konnten wir auch Namen erkennen und die Jahreszahl 1915. Waren wir am Ziel? An Steinkreuze konnte ich mich nicht erinnern, und von Holzkreuzen war nichts zu sehen.

Ruth suchte weiter und meinte: ,Dort unter dem Fliederbusch könnte noch etwas sein!‘ Siegfried kämpfte sich durch Gestrüpp und Unkraut: Da, ein halbumgefallenes, schiefliegendes Steinkreuz!

Meine Frau reibt und wischt, ein ,H‘ wird sichtbar. Jetzt ist sie nicht mehr zu halten, und sie legt den ganzen Namen frei: LDSTM. H. BURDENSKI. Darunter das Datum 25. 7. 15.

Man kann sich meine Erschütterung vorstellen: Nach 70 Jahren stehe ich am Grab meines Vaters, 86 Jahre nach seinem Tod! Aber warum ein Steinkreuz? Erinnerung und Foto können doch nicht trügen.

Ruth meint, eine alte Frau habe ihr einmal erzählt, daß noch in Friedenszeiten die hölzernen Kreuze durch steinerne ersetzt worden seien. Das müßte in der Mitte der 30er Jahre geschehen sein, also bald nach unserem damaligen Besuch am Grab des Vaters. Die Namen der auf den Holzkreuzen verzeichneten Gefallenen wurden übertragen. Auf dem Stein mit dem Namen meines Vaters steht noch der eines anderen Gefallenen - Musk. H. Schröder - und ,unbekannter deutscher Krieger‘.

Ruth und Siegfried erklärten sich spontan bereit, im Frühjahr das Unkraut und die Sträucher zu beseitigen - wenn wir im Sommer wiederkommen. Natürlich werden wir das tun.“

Wolfhart Burdenski hat inzwischen auch den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge über den vergessenen und nun entdeckten Soldatenfriedhof informiert und um Unterstützung gebeten. Die Zusage liegt bereits vor.

Sein Dank und der seiner Familie gilt aber den beiden Landsleuten in Litauen, Ruth und Siegfried. Ohne deren tatkräftige Hilfe wäre das Auffinden nicht möglich gewesen. Auch einen sichtbaren Dank ließ Burdenski zurück: Am „Berg der Kreuze“, einem litauischen Nationalheiligtum, stellte er ein Kreuz auf mit den Initialen seines Vaters, „H. B.“ Werner Müller

 

Hermann Burdenskis Grab 1931: In jenem Sommer besuchte Wolfhart E. Burdenski als Primaner mit seinem Bruder Diether und seiner Mutter die Grabstelle seines im Ersten Weltkrieg als Landsturmmann beim Angriff auf Schaulen tödlich verwundeten Vaters, und rund 70 Jahre später animierte ihn der Bericht „Vergeßt uns nicht“, der Ende 1999 im erschien, zu dem Versuch, diese Stätte erneut aufzusuchen.

 

Versteckt: Hier wurde Wolfhart E. Burdenski schließlich fündig. Fotos (3): Burdenski

 
     
     
 
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