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Lobby destilliert dünnes Gebräu

 
     
 
Alkohol kann töten" - diese Weisheit betrifft allein in Deutschland jährlich Zehntausende. Für diesen Monat hatte die EU-Kommission daher eine lang vorbereitete scharfe Strategie gegen Alkoholmißbrauch, die sie aber schlicht "Alkoholstrategie" nennt, angekündigt. Werbeverbote, Warnhinweise, Steuererhöhungen
sowie konsequenter Jugendschutz hießen die vorab angekündigten Reizworte. Nicht ein Kampf gegen Sucht, sondern gegen Hoch- und Minderprozentiges an sich drohe, unkten Lobbyisten der Alkoholbranche. Wahr wird davon fast nichts - doch es ist ein Lehrstück in Sachen Lobbyismus.

"Wir können an vielen Stellen entbürokratisieren. Es gibt natürlich Widerstand dagegen, weil manche Beamte zu einer Zeit ausgebildet wurden, in der ihr Erfolg an der Zahl der Regeln gemessen wurde, die sie produzierten. Nun wollen wir zeigen, daß die Probleme nicht nur durch Regelungen zu lösen sind." Mit diesen Worten verteidigt EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso in der "Frankfurter Allgemeinen" vom 11. Oktober die jüngste Arbeit der EU.

Die Worte, die eigentlich interne Kritik abwehren sollten, wollen nicht zum neuesten Programm der EU-Kommission passen - dem Kampf gegen Alkohol. Als EU-Kommissar für Gesundheit und Verbraucherschutz ist Markos Kyprianou für Hochprozentiges verantwortlich sowie dafür, den Konsumenten "echte Vorteile" zu bieten, wie er auf seiner Homepage betont.

Bei Fleisch war Kyprianou damit bisher wenig erfolgreich, obwohl es durchaus seine Aufgabe ist, Lebensmittelsicherheit und -kontrollen zu garantieren. Der Gammelfleischskandal sowie die ausbleibende Reaktion der EU und seines Ressorts zeigen, wie schwer dies Kyprianou fällt. Statt Gammelfleisch hat der umtriebigen Zypriote Alkohol oben auf die EU-Agenda gesetzt. Profilieren muß er sich, denn sein Ressort soll geteilt werden. Schließlich wollen die baldigen EU-Neumitglieder Bulgarien und Rumänien auch einen Kommissar stellen.

"Europäer erwarten Resultate von der EU", sagt Kyprianou kämpferisch. Der von ihm geplante Einstieg in einen konsequenten Kampf gegen die Volksdroge Alkohol ist jedoch mißlungen. Schon Anfang 2005 hieß es aus Brüssel, der Alkoholkonsum solle in den Mitgliedsstaaten strenger reguliert werden. Ein Verkaufsmonopol, wie es bereits in Schweden üblich ist, sowie der Verkauf erst ab 18 Jahren waren im Gespräch. Dann berief die EU-Kommission ein Expertengremium. Die Empfehlungen dieser London-Kommission ("Institute of Alcohol Studies") liegen nun vor. Sie sind größtenteils unpräzise, öffnen aber einen neuen Horizont staatlicher Eingriffe, bestärken die Länder, die Alkohol restriktiv handhaben.

Die wichtigsten Punkte: Eine Alcopopsteuer und andere neue Abgaben sollen dem Jugendschutz dienen. Zollfrei Alkohol zu kaufen soll schwieriger werden sowie Alkoholisches nur noch an Erwachsene ab 18 Jahren abgegeben werden. Spezielle Läden, ähnlich wie in Skandinavien ("Vinmonopolet"), bekommen nach den Plänen das alleinige Recht, geistreiche Getränke feilzubieten. Händler, die gegen die Auflagen verstoßen, müßten wenigstens zeitweise ihre Geschäfte schließen, so die Londoner Vorschläge. Generell mehr Intervention, härtere Strafen, lautet der Tenor der Studie.

Auch neue Behörden empfehlen die Experten dem Kommissar. Die "Europäische Alkohol-Überwachungszentrale" (EAMC) mit beigeordneten nationalen Behörden soll demnächst über die trinkfesten EU-Bürger wachen. Millionenausgaben, die noch keinem Süchtigen helfen, kein Präventionsprogramm begründen.

Aus den wenigen gehaltvolleren Vorschlägen der Experten, die vor allem auf Jugendschutz hinauslaufen, destillierte nun Europas alkoholische Industrie ein recht dünnes Gebräu. Noch vor Tagen verkündete der Harvardjurist und Firmenrechtler Kyprianou, einen gesundheitspolitischen Abwehrkampf ähnlich dem gegen die Tabakindustrie auf den Weg bringen zu wollen. Doch Winzer und Bierbrauer erkannten die Gefahr einer schleichenden "Kriminalisierung" ihres Ansehens und protestierten. In wichtigen Punkten hat sich die Industrie jetzt durchgesetzt - noch. Werbeverbote und höhere Altersgrenzen stehen nicht mehr zur Debatte. Die Lobby argumentierte mit Arbeitsplätzen, wirtschaftlicher Bedeutung, Kultur und nicht zuletzt mit der Verhältnismäßigkeit.

Das Problem suchtkranker, viele schon im frühsten Kindesalter, läßt sich tatsächlich nicht mit Warnaufklebern lösen. Der verantwortliche Umgang mit Alkohol liegt beim "mündigen Bürger" - so zynisch das Argument auch aus den Reihen der Industrie klingen mag.
 
     
     
 
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