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Still wird es im Spätherbst, ängstlich still, wenn wir den November, den letzten Monat des Kirchenjahres, erreichen. Der Sommer ist vorbei! Die Nachmittage sind kurz und dunkel. Und mit den Nebeln und dem Alter kommt die Vergangenheit, die Erinnerung an die ferne Kinderzeit. Das liegt an den düsteren und nassen Novembertagen, die uns still und nachdenklich stimmen. Sie sind auch ein Symbol des Alters, ein Gleichnis des menschlichen Lebens und künden uns das Ende des Jahres an. Überall liegt das abgefallene Laub verstreut herum, als wollte es die nackte Erde vor dem Winter schützen. Die Natur hat sich verausgabt. Sie braucht Ruhe!
Aber auch der Mensch geht im November in sich. Es tut der aufgewühlten Seele gut, wenn wir uns in dieser stillen und zu Herzen gehenden Zeit in unsere eigenen Gedanken vertiefen, wenn wir wieder einmal Rückschau halten.
Seit jeher hat der Mensch den religiösen Festen und Gedenktage n eine wichtige Beachtung und Bedeutung beigemessen, weil sie zur Stärkung der eigenen Identität in der Gemeinschaft dienten. So weist heute der Kalendermonat November folgende Gedenk- bzw. Feiertage auf: Am 1. November den Allerheiligen, am 2. November den Allerseelen, am 11. November den Martinstag (früher Martini), am Sonntag vor dem letzten Sonntag des Kirchenjahres den Volkstrauertag, am Mittwoch danach Buß- und Bettag und am letzten Sonntag des Kirchenjahres den Totensonntag oder auch Ewigkeitssonntag genannt.
Der Allerheiligen gilt als fest-licher Gedächtnistag aller Heiligen der katholischen Kirche. Er wurde seit dem 8. Jahrhundert zuerst in England und Irland gefeiert und später von allen katholischen Kirchen zu Ehren Marias und aller Märtyrer übernommen, wie Franz von Assisi oder aber des Heiligen Nikolaus, die zur „Gemeinschaft der Heiligen“ gehören.
Der Allerseelen ist sehr eng mit dem Fest Allerheiligen verknüpft. Der Allerheiligen lenkt auf diesen Gedenktag der katholischen Kirche hin, führt uns auf die Spur unserer Ahnen, die vor uns heimgegangen sind. Am Allerseelen erfolgt die Fürbitte für die armen Seelen durch Entzünden von Lichtern auf Gräbern, die ursprünglich die Totengeister abhalten sollten. Wir bekunden damit die Verbundenheit mit unseren Verstorbenen. Denn so wie ein Baum nicht ohne festgefügtes Wurzelwerk im Erdreich wachsen kann, so können auch wir nicht leben. Wir müssen deshalb zu unseren Wurzeln zurückkehren. Wir brauchen die feste Verankerung zu unserer Geschichte, zu der Zeit und seinen Menschen, die uns prägten.
Der Martinstag oder Martini wird als Gedächtnistag an den Heiligen Martin gefeiert. Der Heilige Martin von Tours war im 4. Jahrhundert ein römischer Reitersoldat, der nach der Legende seinen Mantel mit einem Bettler teilte, das erste abendländische Kloster gründete und Bischof von Tours wurde. Er gilt heute als Schutzpatron der Soldaten, Hirten, Bettler und Tuchmacher. Früher endete am 11. November, an Martini, das Wirtschaftsjahr. Es war ein Termin für den Wechsel der ländlichen Dienstboten, für ein neues Pachtjahr, für die Abgabe des Zehnten und der Zinsen. In vielen katholischen Gegenden entstanden am Martinstag bestimmte Bräuche, wie Laternenumzüge mit Kindern, das Essen der Martinsgans, das Abbrennen von Feuern, der Auftritt von Maskengestalten, Beschenkungen, Lieder und Spiele.
Der Volkstrauertag ist ein Gedenktag für die Gefallenen der beiden Weltkriege. Er wurde 1920 vom Volksbund deutsche Kriegsgräberfürsorge als Erinnerung an die Toten des Ersten Weltkrieges angeregt und ab 1925 am 2. Fastensonntag begangen. Erst 1952 wurde er auf den vorletzten Sonntag des Kirchenjahres gelegt.
Der Buß- und Bettag ist ein von den Religionen bestimmter Tag der Buße. Er hat öffentlichen Charakter und war bereits in der römischen und jüdischen Religion zum Zwecke der gemeinsamen Umkehr des Volkes verbreitet. Dieser Volksbrauch entwic- kelte sich an diesem Tage zum gemeinsamen Gebet mit Abendmahlsgang und zur Gewissensprüfung. Seit 1934 wurde in Deutschland der Buß- und Bettag einheitlich am Mittwoch vor dem letzten Sonntag im Kirchenjahr begangen. Er galt bis 1994 als gesetzlicher Feiertag. Seit 1995 ist er nur noch in Sachsen, Thüringen und Bayern ein geschützter Feiertag. In allen anderen Ländern und Landeskirchen ist er zur Finanzierung der Pflegeversicherung abgeschafft worden!
Der Toten- oder auch Ewigkeitssonntag wird am letzten Sonntag des Kirchenjahres in der evangelischen Kirche begangen. Er entspricht dem katholischen Allerseelen. Der Totensonntag ist 1814 in Sachsen eingeführt worden und wurde 1816 von den meisten Landeskirchen übernommen. Er ist in den evangelischen Kirchen als Gedächtnistag den Verstorbenen gewidmet. Sein Brauch besteht darin, an diesem Sonntag die Friedhöfe zu besuchen und die Gräber zu schmücken. Diesem Tag kommt ein tiefes menschliches Bedürfnis zu, nämlich der Toten zu gedenken. Das Wissen um den Tod kann uns zum „Loslassen-Können“ verhelfen, zu einer wirklich tief verwurzelten Stärke, um das Leben auch in der Spannung des Alters zielgerichtet zu meistern. Der letzte Sonntag des Kirchenjahres im tristen November spielt uns jährlich diesen Hinweis wieder zu. Begreifen wir ihn als das, was er ist, nämlich ein Totensonntag!
Alle Gesellschaften, Völker, Kulturen und Generationen verbindet eins, nämlich Feste und Gedenktage zu feiern. Dabei unterwerfen wir uns bestimmten Riten und Ritualen einer überkommenen Zeit. In den Feiern steckt etwas, was uns prägt, was uns fest verwurzelt und was die eigene Seelentiefe fordert. Hier erleben wir die Traditionen mit Bildern, Formen, Geschmäckern, Gesängen, vor allem aber im Mitmachen, im Beteiligtsein in einem fest vertrauten Kreise. Feiern heißt bekanntlich Kraftschöpfen, Zu-mir-Kommen, den grauen Alltag vergessen! Wichtig dabei ist, daß unsere Seele in Wallungen gerät, neue Kraft schöpft! So gewinnen wir mit dem Älterwerden nicht nur die verantwortliche Verbundenheit zur Heimaterde, sondern auch zu ihren Traditionen, zu den Ahnen, zu unseren Vorfahren. Deshalb sollten wir mehr Gelassenheit und eigene Würde entwickeln, um zur Reife und Weisheit durch die leidvollen Novembertage zu kommen!
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