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Der frühere Arbeits- und Sozialminister Norbert Blüm bezeichnete die Pflegeversicherung immer als den Schlußstein der Sozialsysteme. Der Journalist Konrad Adam bemerkte dazu einmal trocken, das könne schon sein, aber "das Material des Schlußsteins stammt leider aus dem Fundament". Dieses Fundament ist mittlerweile brüchig geworden. Das demographische Defizit nagt an ihm, und die Pflegeversicherung wird mittel- oder langfristig auch daran zugrunde gehen. Aber so wie Blüm stets mit ernster Mine betonte, die Rente sei sicher, so betonen seine Nachfolgerin Ulla Schmidt und ihr Gegenpart bei der Opposition, Horst Seehofer, die Pflege sei sicher.
Die Sicherheit der Pflege aber besteht nur in ihrer Rücklage. Man hat rund fünf Milliarden auf der hohen Kante. Dieses Polster schmilzt. Das Defizit (2002 betrug es fast 400 Millionen Euro) wird wachsen. Da hilft auch kein Rückgriff auf die Hoffnung, daß die Wirtschaft irgendwann wieder in Schwung kommen und damit die Einnahmen steigen werden. Erst mal muß sie in Schwung kommen, was bei der Politik der rotgrünen Koalition keineswegs sicher ist, und dann müßte auch die Zahl der Arbeitslosen signifikant sinken, was erst bei Wachstumsraten von mindestens zwei Prozent der Fall wäre, wovon die Politik heute nur träumt. Sehr viel wahrscheinlicher ist, daß die Pflegeversicherung wie die Kranken- und Rentenversicherung in den nächsten Jahren noch größere Defizite produzieren wird.
Aber auch abgesehen von der wirtschaftlich-konjunkturellen Entwicklung droht die Pflegeversicherung sich in Mißfallen aufzulösen. 1,9 Millionen Pflegefälle werden derzeit versorgt, in einer alternden Gesellschaft wird diese Zahl rasant zunehmen. Von den 1,9 Millionen werden 1,3 in Familien versorgt. Auch das wird sich ändern, weil es weniger Familien gibt und mit den nächsten Jahren die ersten großen Single-Generationen in das Pflegealter kommen. Damit werden die Kosten steigen. Und überhaupt Familie: Die Politiker, die jetzt unverblümt die sichere Zukunft der Pflege besingen, erwähnen mit keinem Wort das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom April 2001. In diesem Urteil haben die Richter festgestellt: Der Gesetzgeber des Jahres 1994 (Blüm und Co) hätte die Kindererziehung bei der Beitragsbemessung berücksichtigen müssen. In umlagefinanzierten Systemen habe "Kindererziehung konstitutive Bedeutung" für die Funktionsfähigkeit des Systems.
Die in ihrer großen Mehrheit hochaltrigen Pflegebedürftigen seien auf die Beiträge der Nachwuchsgeneration angewiesen. Während Eltern wegen der Kinder Konsumverzicht übten, erwüchsen Kinderlosen entsprechende Einkommensvorteile. Dies verstoße gegen das Gleichbehandlungsgebot nach Artikel 3 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem Gebot der Familienförderung aus Artikel 6 GG. Der zwischen Eltern und Kinderlosen vorzunehmende Ausgleich müsse durch Regelungen erfolgen, welche die Elterngeneration während der Erziehungs- und Erwerbsphase entlasteten.
Die Korrektur habe deshalb auf der Beitragsseite stattzufinden und müsse zum 31. Dezember 2004 abgeschlossen sein. Im Klartext: Ab 2005 zahlen Familien mit Kindern weniger, die Einnahmen der Pflegeversicherung werden noch mehr sinken. Auch hier wieder: Man kommt an der Gerechtigkeit für Familien nicht vorbei, wenn man ein funktionierendes Gesellschaftssystem erreichen will. Wann kapieren das die Sozialpolitiker aller Parteien endlich? |
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