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Meine Eltern wohnten in dem schönen masurischen Dorf Misken, Kreis Johannisburg, nahe der polnischen Grenze. Als der Krieg im September 1914 begann, kamen russische Einheiten in die masurischen Grenzdörfer, wo sie alles mitnahmen, was ihnen gefiel. Sehr begehrt waren bei ihnen die Pferde, die sie den Bauern wegnahmen, so auch das einzige Pferd meiner Eltern. Einige Männer aus unserem Dorf wurden nach Rußland verschleppt, auch mein Vater, sie kamen erst nach rund vier Jahren zurück. Nun stand meine Mutter mit ihren Eltern, drei kleinen Kindern und dem Bauernhof allein da. Sie machte sich große Sorgen, wie sie alles schaffen sollte. Dann kam das Frühjahr 1915 und die Felder mußten bestellt werden. Aber wie? Ohne Pferd war das unmöglich.
Eines Tages erfuhr meine Mutter, daß in Biala ausrangierte Militärpferde an die Bauern verkauft wurden. Sie beschloß mit ihrem Vater, dort ein Pferd zu kaufen, um mit der Frühjahrsbestellung zu beginnen. Doch mein Großvater weigerte sich, mit einer Frau zum Pferdemarkt zu gehen. Er meinte, das sei Männersache. "Ich lass mich doch von den anderen Männern nicht auslachen."
Aber für meine Mutter war ein Pferd wichtig, also machte sie sich am nächsten Morgen in aller Frühe auf. Es war ein Fußweg von neun Kilometern. Kaum war meine Mutter weg, entschloß sich mein Großvater, ihr in einem gewissen Abstand zu folgen. In Biala angekommen, sah sie schon von weitem eine große Anzahl Menschen stehen - nur Männer. Sie wurde mit abschätzigen Bemerkungen empfangen, aber sie ließ sich nicht einschüchtern und versuchte herauszufinden, wo die Pferde standen.
In einer Seitenstraße fand sie die Pferde schließlich. Sie stellte sich in die Nähe und tat so, als gehöre sie dazu. Als das erste Pferd von einem Soldaten am Halfter zum Verkauf vorgeführt wurde, faßte meine Mutter das Pferd an der anderen Seite des Halfters und ging zu dem Tisch, an dem zwei Offiziere saßen, den Preis festlegten und das Geld annahmen. Natürlich protestierten einige Männer, aber meine Mutter sagte, daß sie drei kleine Kinder habe und ihr Mann in russischer Kriegsgefangenschaft sei, sie nicht wisse, wie sie das Land ohne Pferde bestellen solle, um die Kinder zu ernähren. Die Offiziere sahen die Notlage ein und überließen ihr das Pferd zu einem günstigen Preis. Sie bedankte sich und machte sich voller Stolz auf den Heimweg.
Als sie aus dem Trubel heraus war, empfing sie mein Großvater mit den Worten: "Da hast du aber einen mageren Klepper gekauft! Ja, ja, so ist das, wenn Frauen zum Pferdekauf gehen." Zu Hause angekommen, wurde das Pferd mit Hafer und Heu aufgepäppelt, und die Frühjahrsbestellung konnte beginnen. Nach einigen Wochen hatte sich das Pferd von den Strapazen erholt und war ein wahres Prachtexemplar geworden.
Als mein Vater 1918 aus der Gefangenschaft kam, hat er den guten Pferdekauf meiner Mutter bewundert. Einige Händler wollten ihnen das Pferd abkaufen, doch für meine Mutter blieb es unverkäuflich. |
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