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Weihnachten, das Fest der Freude! Daß ich nicht lache, liebe Leser. Bei uns ging es diesmal recht dramatisch zu. Schon bei der Bescherung fing es an. Meine Ilse bekam vom Weihnachtsmann und von mir ein nagelneues Paar graukarierte Filzpantoffeln für ihre ewig kalten Füße. Dazu aber noch zwei Paar wollene Socken und herrlich weiche Angora-Unterwäsche. „Hübsch warm für dich, mein Schatz!“ Ihre Antwort habe ich nicht so genau verstanden, hörte nur irgend etwas von: ... alte Matrone?
Demonstrativ stellte sie sich danach vor den Garderobenspiegel und bemalte sich grellrot die Lippen. „Mir ist niemals kalt!“ leckte sie sich über das leuchtende Rot.
Für meine „kleine“ Nicole stellte ich zwei große Kanister mit Benzin unter den Christbaum. Nicole strahlte: „Fein, jetzt kann ich aber Motorroller fahren“. Nur Ilse machte einen auf hysterisch. „Bist du jetzt ganz verrückt? - Soll uns das Haus um die Ohren fliegen? - Nee, nee, so was aber auch ...!“
Für mich brachte das Christkind, oder wer auch immer, eine neue Lokomotive. Aber um Himmels willen, Leute, so eine moderne, stromlinienförmige. Dabei wissen es alle, ich „fahre“ Epoche 2, Reichsbahn also. Sie paßt nicht dazu. Ich brauche Dampflokomotiven! „Du bis aber nörgelig! - Sie fährt sehr schnell und quietscht auch nicht. - Der Verkäufer hat sie ausprobiert.“ Einzig zufrieden aber war der Hund, ein reinrassiger englischer Jagdhund. Leute, ist das ein Biest. Er geht uns über Tisch und Bänke. Er ist längst nicht so diszipliniert wie ein deutscher Hund. Mir glaubt er überhaupt nichts. Wenn ich zum Beispiel sage: „Mein Schatz, mein kleines, ein braves Hundchen beißt nicht in die Polstergarnitur!“ Er schaut sich noch nicht einmal nach mir um. Doch wenn Ilse schreit: „Soll ich dir das Fell abziehen!“ Diesen Unsinn glaubt er ihr aufs Wort: Schnurstracks eilt er zu seinem Körbchen.
Doch am Heiligen Abend lag der Hund zufrieden auf seinem Platz und kaute Gänsegurgel. „Kau du nur und friß“ sagte ich in die gereizte Stimmung hinein. „Ihm gefällt es jedenfalls zu Weihnachten“, versuchte auch Nicole die allgemeine Stimmung aufzuhellen.
Ein scheeler Blick von Ilse ließ auch sie schnell wieder verstummen. Doch allein dieser grüblerischen Stille, dem klugen Leuchten in den Augen des Hundes und einer uralten Mär verdankte ich zum Schluß doch noch eines meiner schönsten Weihnachtsfeste. „Ja, mein Jung, zum Wunder der Heiligen Nacht vermögen sogar die Tiere mit menschlicher Stimme zu reden“, sagte vor fast vierzig Jahren einmal Großmutter zu mir. „Woher willst du das wissen, Großmutter?“ Großmutter lächelte geheimnisvoll. „Ich habe es gelesen, als ich selbst noch Kind war, in einem alten Buch, in einem jener masurischen Heimatkalender ...!“
Jahrzehnte waren Großmutters Worte von damals vergessen gewesen. Doch mit einem Male standen sie wieder im Raum, geheimnisvoller als jemals zuvor.
Ilse und Nicole zogen sich schon recht bald in ihre Kemenaten zurück. Nur der Hund zeig- te unverbrüchliche Treue. Er schnupperte nur einmal, ob die Luft auch wirklich sein sei, dann war er mit dem Rest der Gänsegurgel bei mir auf der Couch. Warum auch nicht?
Denn ich selber schwelgte ja auch bereits in Unerlaubtem: Ich hatte mir genügend Mittelchen herangeschafft, welche die Verdauungssäfte anregen. Mir lag die Weihnachtsgans mächtig im Magen!
Endlich schlug es von fern her Mitternacht. Weit öffnete ich deshalb die Fensterflügel, um dem herrlichen Klang der Glocken besser lauschen zu können.
„Um Himmels willen, du Dammelskopp, soll ich mir den Tod holen?“ fragte es plötzlich hinter mir. Natürlich erschrak ich. Ich war ja völlig allein mit dem Hund. Das Biest hatte nun jegliche Hemmschwelle überwunden. „Die Gänsegurgel war auch versalzen“, plauderte er munter drauf los, „puhhh, mit klebt die Zunge vor Durst!“ Dann aber hatte ich mich wieder etwas gefaßt. „Undankbar bist du, alter Knabe. - Andere Hunde liegen vielleicht draußen irgendwo an der Kette. Du aber rekelst dich auf der Couch und nörgelst mir die Ohren voll.“
Ilse habe ich wirklich nicht kommen hören, liebe Leser, sie hatte sich leise die Treppe heruntergeschlichen. Barfuß - ohne die neuen Filzpantoffeln. „Was ist hier denn los?“ fragte sie gedehnt und sehr bedeutungsvoll. „Sogar im Schlafzimmer riecht es wie in einer Spiritusfabrik.“ Das war albern. Ilse neigt leicht zur Übertreibung. Dafür lachte ich nur, sagte freudig: „Unser englischer Hund spricht perfekt ostpreußisch - Dammelskopp hat er zu mir gesagt. Außerdem sei die Gänsegurgel versalzen gewesen.“ Ilse stand starr wie eine Salzsäule. „Das hat der Hund dir auch gesagt?“ fragte sie vorsichtig zurück. „Natürlich, woher sollte ich es sonst wissen.“
Doch jetzt, ihr Leute, nahmen ihre Augen ein aberwitziges Leuchten an. „Runter von der Couch!“ schrie sie den Hund an. - Komisch, ihr pariert das Biest auf’s Wort. -
Dann wandte sie sich noch einmal zu mir. „Gleich nach den Feiertagen werden ich mit deinem Hausarzt sprechen. - So geht es nicht weiter ...!“ Pah, ihr Leute, davor habe ich keine Angst. Der. Weber ist mein Freund. Für mich hat er viel Verständnis ...
Nur, am ersten Weihnachtstag sah es schlecht mit mir aus. Es summte und brummte in meinem Kopf wie in einem Wespennest. Die Flasche Korn war es nicht, darauf kann ich schwören. Ich vermute eher der Bärenfang. Das süße Zeug vertrag ich manchmal nicht.
Als ich mich schließlich doch aus den Federn erhob, lag der Hund in seiner Ecke wie immer. Er wedelte träge mit seinem Zagel und blickte nur einmal zu mir hoch. Gesagt hat er diesmal aber nichts. Ich fand, das war auch besser für ihn ...
Nur Nicole zeigte insgeheim ein spöttisches Grinsen. „Ist irgend etwas?“ knurrte ich sie an. Augenblicklich fiel sie in jauchzendes Gelächter. „Hast du mit dem Hund auch Weihnachtslieder gesungen?“ fragte sie mit tränenfeuchten Augen.
Was sollte ich dazu sagen, ihr Leute? „Alberne Gans ...!“ habe ich dann nur noch zu meiner vorlauten Tochter gesagt.
So war es damals: Winterwald vor dem Kurhaus Heidensee (Schillinnen) |
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