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Als ich den "Siegfried" ... begann, fühlte ich mich endlich von einem tiefen Mißmut erfaßt: ich hörte nichts, um mich blieb es stumm; keiner der neuen Klänge belebte sich; mir grauste es vor meiner Arbeit wie vor einem lebendig-toten Wesen. Ich warf die Papierrollen beiseite und sagte mir, daß ich etwas Übermenschliches, ja etwas Unmenschliches übernommen hatte. So konzipierte ich den "Tristan" und warf mich mit Eifer auf die Vollendung dieses Werkes, welches ich im unabweislichen Bedürfnisse, eine Arbeit von mir auch wieder zu Gehör zu bekommen, gegen meine sonstige Abneigung wieder für das gewöhnliche Theater bestimmte, eben nur, um aus diesem gespenstischen Notenpapier-Verkehre herauszukommen. Durch Sie, mein erhabener Freund, wurde mir endlich diese seitdem lange vergeblich ersehnte Aufführung des "Tristan" unter meiner Leitung und von mir selbst belebt ermöglicht. Die Wiederbelebung meines plastischen Konzeptionsvermögens wendete ich sofort auf die Wiederaufnahme der Instrumentierung der fertigen Teile des "Siegfried" an. Grausame Störungen unterbrachen mich in dieser Arbeit. Als ich wieder zu nötiger Geistesfreiheit gelangte, ersah ich die Möglichkeit einer Aufführung durch die Umstände weit hinausgerückt; es drängte mich dagegen, wiederum eine Arbeit zu liefern, welche sofort nach ihrer Beendigung zur Aufführung gelangen könnte, weil ich fühlte, daß ich dieser unmittelbaren Berührung mit der Tonwirklichkeit noch zur Auffrischung meiner konzeptiven Kräfte bedurfte. Ich habe seitdem die "Meistersinger" gehört, dank Ihnen, mein königlicher Freund, in unvergeßlicher Weise.
Jetzt galt es, mich von allem Geräusch und Getreibe zurückzuziehen, um meine schön belebten Kräfte der endlichen Ausführung meines großen Werkes einzig zu widmen. Ich vollendete, sobald einige Ruhe in meine Lebensbeziehungen einkehrte, die Komposition des "Siegfried", während mich zugleich der unsägliche Schmerz der Aufführung des "Rheingoldes", gegen meinen Willen und ohne meine Mitwirkung, als Münchener Opernvorstellung, traf. ... kein Bitten, kein Flehen vermochte es, der "Walküre" das gleiche Los wie dem "Rheingold" zu ersparen; ich mußte erleben, daß auch dieses Werk, welches mir selbst noch ein tief geheimnisvolles Rätsel - nur durch mich selbst zu lösen - war, in den Pfuhl des mir in der Seele verhaßten Theaters und seiner widerwärtigen Routine geworfen wurde! ...
Die Königliche Akademie der Künste in Berlin hat mir die Ehre erwiesen, ganz aus freiem Antriebe mich zu ihrem Mitgliede zu ernennen; ich bin dieser ersten mir in Deutschland erwiesenen Auszeichnung dieser Art meinen Dank zu bezeigen gehalten und will diesen dadurch abtragen, daß ich in einer öffentlichen Sitzung der Akademie einen Vortrag über die "Bestimmung der Oper" halte. An diesen Vortrag gedenke ich zugleich eine Darlegung des Planes für die Aufführung meines großen Bühnenfestspieles anzuknüpfen, und will nun sehen, wie weit es mir möglich wird, hierdurch zur Betätigung einer Teilnahme an der Förderung meines Unternehmens anzuregen, für welche verschiedene bedeutende Anzeichen sich als nicht ungünstig herausstellen. Mein Zweck ist, hierdurch - im günstigen Falle - ein deutsches National-Unternehmen hervorzurufen, dessen Leitung natürlich mir gänzlich allein nur in die Hände gelegt werden darf, und welches ich in meinem Vorworte zu dem Bühnenfestspiele genau so vorgezeichnet habe, wie es in Wahrheit einzig erfolgreich auszuführen ist. So hätte ich mir denn bereits auch den Punkt ausgewählt, welcher der Schauplatz unsrer großen Kunsttaten werden soll; und, aufrichtig gesagt, das glückliche Auffinden desselben ist es, was meinem ganzen Plane erst den realen Stützpunkt gegeben hat. Der Ort (Bayreuth), den ich im Sinne habe, entspricht in jeder Hinsicht den Anforderungen, welche ich in jenem Vorwort hierfür aufgestellt: er liegt in Bayern und hat somit meinen erhabenen Freund zum Herrn. Zögere ich trotz dieser Andeutungen noch, diesen Ort selbst jetzt zu nennen, so messen Sie dies huldvollst der sehr natürlichen Beklemmung zu, welche mancher von mir gemachten schmerzlichen Erfahrung über die Schnelligkeit und Leichtigkeit in der Abweisung bestimmter und namhaft gemachter Vorschläge entsprungen.
Demnach lege ich Ihnen, mein erhabener Freund, die ergebenste Bitte vor, Herrn Hofrat Düsslipp zu einer ausführlichen Kenntnisnahme und Beratung dieser Angelegenheit gütigst an mich abordnen zu wollen. Es ist mir um so mehr ein Bedürfnis, mit diesem mir freundlich gewogenen Manne in eine ausführliche Beratung einzutreten, als ich mit der Ausführung meines größeren Projektes auch eine letzte beruhigende Lösung aller mich persönlich betreffenden Fragen in Verbindung setzen muß. Es ist mir nötig, endlich zu wissen, wohin ich gehöre, wo ich meinen festen Wohnsitz nehme und für meine Familie im bürgerlichen Sinne sorgen kann ...
Auszüge aus einem Brief Richard Wagners vom 1. März 1871 an König Ludwig II. von Bayern
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