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Nachdem der Knaus-Verlag Anfang 2006 mit dem Romanfragment "Suite francaise" der 1942 in Auschwitz gestorbenen französischen Jüdin und Schriftstellerin Irène Némirovsky einen offenbar überraschenden Erfolg auf dem Buchmarkt erzielt hat, hat der Verlag jetzt den Roman "Jesabel", erstmals 1936 veröffentlicht, wiederaufgelegt.
Auch dieser Roman der 1903 in Kiew geborenen Bankierstochter zieht den Leser schon nach den ersten Zeilen in seinen Bann. Er beginnt mit einer Gerichtsverhandlung in Paris im Jahr 1935. "Eine Frau begab sich zur Anklagebank. Sie war noch schön, trotz ihrer Blässe und ihrer verstörten, erschöpften Miene, nur die fein geformten Lider waren welk vor Tränen, und der Mund war eingefallen, aber sie wirkte jung."
Die vermögende Witwe Glady Eysenach wird des Mordes an ihrem 20jährigen Geliebten angeklagt . Sie selbst bekennt sich schuldig, und auch wenn Hausangestellte und Bekannte als Zeugen für die Milde der Frau aussagen und die Tat nicht begreifen können, wird die Dame der höheren Gesellschaft zu fünf Jahren Haft verurteilt.
Doch die Gerichtsverhandlung ist letztendlich nur ein längeres Vorwort. Der Leser ahnt, daß das scheinbar so Offensichtliche keineswegs alles sein kann, und so beginnt die eigentliche Geschichte auch erst nach der Schilderung des Prozesses.
Es ist die erste Ballsaison für die junge Gladys. Diese stellt zum ersten Mal fest, daß sie mit ihrer Schönheit Männer und Frauen faszinieren kann. Schnell lernt Gladys, ihre Schönheit geschickt einzusetzen, und da sie als Tochter aus gutem Haus und später als Frau eines reichen Mannes, sich um nichts anderes Sorgen zu machen braucht als um ihre äußere Erscheinung, zählt diese für sie über alles. In der Illusion, von allen geliebt zu werden, alle Männer umgarnen zu können, flattert sie leicht wie ein Schmetterling durch das Leben. Auch ihre kleine Tochter Marie-Thérèse ist von der bezaubernden Mutter fasziniert.
Doch mit den Jahren wird Marie-Thérèse für ihre Mutter zur Last, denn auch wenn die Tochter nur eine schlechte Kopie der Mutter ist, so erkennt doch jeder an dem Alter des Mädchens, wie alt ungefähr die Mutter sein muß.
Als die 18jährige ihrer Mutter mitteilt, daß sie sich verlobt hat, bricht für die gerade mal wie 30 aussehende Gladys eine Welt zusammen. Wenn ihre Tochter heiratet, kann jeder erahnen, daß sie zehn Jahre älter ist, als sie erscheinen will.
Gladys verweigert ihrer Tochter die Eheschließung und stürzt diese somit ins Unglück, das durch den Ausbruch des Ersten Weltkrieges in einem tödlichen Fiasko endet.
Die Jahre vergehen, die inzwischen verwitwete Gladys ist immer noch schön, wenn auch 60 Jahre alt. Doch keiner, auch nicht ihre jüngeren Liebhaber, ahnt das wahre Alter der Koketten. Völlig unvermutet jedoch wird die Vergangenheit und ihr eigensüchtiges Verhalten von vor 20 Jahren lebendig und bedroht ihr scheinbares Glück. Völlig unfähig, Schein und Wirklichkeit voneinander zu trennen, greift Gladys zur Waffe.
Irène Némirovsky "Jesabel" zeigt, daß der Schönheitswahn keineswegs eine Erfindung der jüngeren Vergangenheit ist. Die Wiederentdeckung der Geschichte der Gladys Eysenach ist ein Gewinn für jeden anspruchsvolleren Leser. Fritz Hegelmann
Irène Némirovsky: "Jesabel", Knaus, München 2006, geb., 220 Seiten, 19,90 Euro/p> |
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