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Das Fischerdorf Altwarp liegt am Südufer des Stettiner Haffs, das seit 1945 durch die deutsch-polnische Staatsgrenze geteilt wird. Das Haff erfährt hier eine Ausbuchtung, durch die ebenfalls die Grenzlinie verläuft. Altwarp befindet sich auf dem deutschen Ufer der Bucht, Neuwarp (Nowe Warpno) auf dem polnischen. Diese Situation hat das vorpommersche Dorf bisher in paradoxer Weise begünstigt.
Der kleine Fischereihafen wurde in den 90er Jahre n für sieben Millionen Euro ausgebaut, samt einer großzügigen Zollabfertigung. Der Grund: Alle 40 Minuten legen von hier Schiffe zu sogenannten Butterfahrten in "polnische Gewässer" ab. Sie sind eine Gelegenheit für den zoll- und steuerfreien Einkauf. Besonders gefragt sind Zigaretten und Alkohol.
Allein in Altwarp nutzen täglich bis zu 3000 Leute diese Gelegenheit, Einheimische und Touristen. Auch in der Stadt Ueckermünde werden derartige Reisegelegenheiten offeriert. Ziele sind Neuwarp und Swinemünde.
In dieser strukturschwachen Gegend, in der die Arbeitslosigkeit an die 30-Prozent-Marke heranreicht, sind Butterfahrten einer der wenigen florierenden Erwerbszweige. Für Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger sind sie eine billige Versorgungsmöglichkeit und willkommene Abwechslung.
Wenn die Republik Polen im Juni 2004 als Vollmitglied der EU betritt, ist es mit dem zoll- und steuerfreien Einkauf aus. Die kleinen Schiffahrtsgesellschaften an der Grenze geraten damit in eine Existenzkrise, Alternativen für die Beschäftigten gibt es kaum. Insgesamt steuern fünf deutsche Reedereien mit 21 Schiffen das Nachbarland an. Sie verzeichnen ungefähr zwei Millionen Fahrgäste pro Jahr.
Hoffnungen auf Übergangsfristen, wie sie beispielsweise nach dem EU-Beitritt Dänemarks gewährt wurden, haben sich zerschlagen. Die Umstellung auf eine rein touristische Nutzung braucht Zeit, und es ist zweifelhaft, ob sich mit ihr jemals Umsätze erreichen lassen wie mit den Butterfahrten.
Wenigstens kurzfristig wird der EU-Beitritt Polens den grenznahen und strukturschwachen Gebieten also einen weiteren Einbruch bescheren. Im Grunde muß man darauf hoffen, daß Grenzregionen jenseits der Oder perspektivisch eine Lokomotivfunktion übernehmen. Annegret Kühnel |
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