|
In Königsberg werfen die Vorbereitungen für die 750-Jahr-Feier ihre Schatten voraus. Beschäftigt man sich mit dem russischen Programm der Feierlichkeiten (zu finden in russischer und englischer Sprache unter www.kaliningrad750.ru im Internet), fällt vor allem auf, wie sehr man sich auf die russische Geschichte der Stadt konzentrieren will (wir berichteten in Folge 4). Um so erfreulicher sind in diesem Zusammenhang die Aktivitäten einzelner heute in Königsberg lebender Menschen, die sich mit der deutschen Geschichte der Stadt auseinandersetzen. Sie stehen nicht zuletzt auch für einen lebendigen Dialog zwischen Russen und Deutschen.
Einer dieser engagierten Russen ist Sem Simkin. Er wurde 1937 in Orenburg / Südural geboren und gelangte nach dem Krieg nach Königsberg, wo er sich zunächst als Matrose seinen Lebensunterhalt verdiente. Während seines Fernstudiums am Institut für Fischerei wandte er sich der Schriftstellerei zu. Heute ist er einer der profiliertesten Schriftsteller in der Region. In seinen Gedichten drückt er immer wieder seine Gefühle zu Königsberg aus, der Stadt, die ihm Heimat wurde.
Simkin setzt sich aber auch in besonderem Maße für die Werke anderer Dichter ein. In dem Verlag "Jantarny skas" (Bernsteinsage-Verlag) erschienen seit 1996 sieben Bücher in der Reihe "Ostdeutsche Poesie". Für diese Reihe hat Simkin einfühlsam und diskret Texte von Agnes Miegel oder Ernst Wiechert nicht direkt übersetzt, sondern vielmehr nachgedichtet. Als achtes Buch nun erschien der zweisprachige Band "Ostdeutsches Marjellchen" mit Gedichten von Hildegard Rauschenbach. Ein Buch in ansprechender Aufmachung, das auch westlichen Standards durchaus genügt.
Die 1926 in Dickschen, Kreis Pillkallen geborene Autorin hat durch ihre heitere und manches Mal auch nachdenklich stimmende Lyrik und Prosa in Deutschland eine große Lesergemeinde gewonnen. Ihre Dorfgeschichten "Zuhause in Pillkallen" und vor allem auch ihre Erinnerungen an ihre Verschleppung nach Sibirien wurden schon bald nach der Wende ins Russische übersetzt. Ihre Erinnerungen an die Heimkehr aus Sibirien und den Neuanfang im Westen unter dem Titel "Marjellchen wird Berlinerin" werden demnächst in einer zweisprachigen (russisch / deutsch) Ausgabe erscheinen.
In dem jetzt vorliegenden Buch "Ostdeutsches Marjellchen" aber zeigt Hildegard Rauschenbach, daß sie vom Leben und seinen Eigenarten auch vorzüglich in Reimen erzählen kann. Sem Simkin wird es nicht immer leicht gefallen sein, den passenden Ausdruck zu finden, schließlich verwendet Hildegard Rauschenbach als ostdeutsche Marjell gern auch typisch ostdeutsche Begriffe, wie etwa den "Biswurm" oder den "Butsch". Simkin blieb nichts anderes übrig, als hin und wieder das deutsche Wort in Klammern zu setzen und ansonsten in "normalem" Russisch nachzudichten. Wenn auch die eine oder andere besondere Stimmung der Verse dabei verlorengegangen sein mag, so werden seine Nachdichtungen dennoch mit großem Beifall der Leser aufgenommen. Davon zeugen nicht zuletzt auch die begeisterten Rezensionen, die in verschiedenen Zeitungen des Königsberger Gebiets erschienen. So las man in Grashdanin: "... das Erscheinen eines jeden neuen Buches mit Übertragungen von Werken ostdeutscher Autoren ins Russische ist ein Ereignis von politischer Bedeutung ... jede solche Neuerscheinung ist eine Brücke zwischen Rußland und Deutschland und führt zur inneren - auf geistigem und seelischem Niveau - Verständigung ... An klassischen Kriterien gemessen, sind diese Verse nicht die ,hohe Dichtkunst , wie auch von Kindeshand gemalte Bilder sich nicht mit Bildern eines Kunstmalers messen können. Doch die naiven Bildchen eines Kindes strahlen durch ihre Ungekünsteltheit, Aufrichtigkeit und Wahrhaftigkeit solch eine Anziehungskraft aus! ... Da kann man nur staunen, wie es diesen zwei Menschen - der Dichterin und dem Nachdichter - gelungen ist, eine derart ungetrübte ,Kindlichkeit zu bewahren." Die Rezensentin lobt schließlich auch den ethnographischen Wert des Buches, "das gleichsam ein Fenster auf das ostdeutsche Leben auf dem Dorf aufstößt".
In Strash Baltiki las man Lob einerseits für die Dichterin, die "Bilder des ländlichen Lebens von damals für immer in ihrem Herzen bewahrt", aber auch für die Illustratorin Tamara Tichonowa, die es verstand, "ungekünstelt und verständlich" Bilder zu den Texten von Hildegard Rauschenbach / Sem Simkin zu zeichnen.
Neben den heiter-besinnlichen Versen sind jedoch auch deutliche Hinweise auf das Schicksal der Autorin zu finden, die dreieinhalb Jahre in sowjetischer Gefangenschaft im Uralgebiet zubringen mußte. Ein Auszug aus der Rede, die Hildegard Rauschenbach zum Volkstrauertag im Plenarsaal des Reichstagsgebäudes in Berlin hielt, und ein ausführlicher Lebenslauf zeigen die Verbindungen, die sie 1991 nach Schadrinsk knüpfte, zu den Menschen, die heute dort leben. Ihrer Initiative ist es letztendlich zu verdanken, daß dort nun ein Gedenkstein an die 1945 bis 1948 im Lager verstorbenen deutschen Frauen und Mädchen erinnert. Die Kaliningradskaja Prawda nannte denn auch die Bücher, die Hildegard Rauschenbach in Deutschland veröffentlicht hat, "kurzweilige und kluge Bücher, die von der Notwendigkeit sprechen, ,zu vergeben, doch nie zu vergessen , die Feindschaft zwischen den Völkern ,aufzuheben , den Weg, der zum Frieden führt, Schritt für Schritt zu gehen". Und an anderer Stelle hieß es: "Es lebte einmal in Ostdeutschland ein Mädel, das man dank Simkins Kunst als Freund empfindet, denn Brot und Schicksal sind unteilbar, und in Frau Rauschenbachs Poesie leben fort der bäuerliche Kern und die Volksweisheit: ,Denn du bist Mensch, und Mensch sollst du auch bleiben. Nichts ist im Leben wichtiger. Gib niemals auf ." Peter van Lohuizen
Nähere Informationen über das Buch "Ostdeutsches Marjellchen" bei Hildegard Rauschenbach, Telefon (0 30) 7 03 66 43. |
|