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Reparaturwerkstatt SPD

 
     
 
Da hat der Kanzler innerhalb kurzer Zeit gleich drei Auftritte vor großen Zuhörerkreisen gehabt, die seinem Temperament und Können entsprechen: auf dem SPD-Sonderparteitag in Berlin, wo er den Parteivorsitz an Franz Müntefering abgegeben hat; am Donnerstag darauf mit seiner Regierungserklärung im Deutschen Bundestag; und beim SPD-Landesparteitag in Bayern, auf dem Ludwig Stiegler zum neuen SPD-Landesvorsitzenden gewählt wurde und nun die undankbare Aufgabe hat, die mit 19 Prozent Stimmenanteil bei der letzten Landtagswahl auf den Tiefpunkt aller westdeutschen SPD-Landesverbände an den Rand der politischen Bedeutungslosigkeit gefallene Regionalorganisation wieder auf die Beine zu bringen. Schröder hat alle Auftritte mit der bei ihm gewohnten Souveränität
absolviert.

Wir wissen es ja längst, daß passieren kann was will: Wenn Gerhard Schröder vor große Zuhörerkreise tritt, ist ihm Zustimmung sicher. Da mag die Presse den Beifall mal als stürmischer oder mal als weniger aufbrausend registrieren, grundsätzlich kriegt er sein Publikum immer auf seine Seite, noch kein größerer öffentlicher Auftritt ist ihm danebengegangen. Er ist also nun die Verantwortung für die SPD los, in Bayern kokettierte er sogar mit der Bemerkung, daß er jetzt nur noch "einfaches" Parteimitglied sei und sich daher "einiges leisten" könne. Nach außen gibt er sich aufgeräumt. Das ist aber auch schon alles. Denn was gleichzeitig bei allen Auftritten deutlich geworden war, ist die Tatsache, daß mit seinem Rücktritt vom SPD-Vorsitz kein Problem kleiner geworden ist.

Seine Regierungserklärung, die eine Art Rechenschaftsbericht über das erste Jahr seiner "Agenda 2010" sein sollte, fand nur mäßige Aufnahme. Zwar bestätigten ihm Opposition wie Presse, daß "die Richtung grundsätzlich stimme". Aber unisono wurde sogleich angefügt, daß dies zuwenig sei, entscheidende Schritte erst noch gegangen werden müßten. Diesen Kanzler tangiert das nicht. Obwohl praktisch zeitgleich mit seiner Bundestagsrede einschlägige Forschungsinstitute wie die Spitzengremien der deutschen Wirtschaft, welche den beginnenden schwachen Aufschwung schon wieder erlahmen sehen, mit Sorge auf die Konjunkturdaten hinwiesen, sprach der Kanzler mit geschwellter Brust von einem vor uns liegenden Jahr, das einen deutlichen Ruck nach vorne bringen werde.

Ungeklärt sind die weiteren Schritte hin zu grundsätzlichen Reformen. Da ist ihm die Oppositionsführerin Merkel sehr weit entgegengekommen mit dem Angebot, sich "gleich morgen früh" zusammenzusetzen, um eine große Steuerreform gemeinsam auf den Weg zu bringen. Keine Resonanz! An dieser Stelle wirkte sogar Schröders Lachen aufgesetzt, immer hat er sich eben doch nicht unter Kontrolle. Das ist in der Tat der wunde Punkt: Über die bisherigen notdürftigen Reparaturen unseres überregulierten Systems kann er nicht hinausgehen. Zu wirklich tiefgreifenden Reformen wird es deshalb vor der nächsten Bundestagswahl nicht kommen. Das hat mit etlichen Faktoren zu tun.

Der wesentlichste scheint zu sein, daß diese Regierung insgesamt noch immer keine klaren gesellschaftspolitischen Vorstellungen über die Bewältigung der Gegenwartsprobleme hat. Es sollte nicht unterschätzt werden, was die bereits unumgänglichen Reformen und Abstriche im Sozial- und Gesundheitswesen für die Genossen bedeuten, die den Staat ja einzig als öffentliches Füllhorn und sich selber als Wohltäter gesehen haben, die im Verfolg der "sozialen Gerechtigkeit" Geschenke zu verteilen haben. Daß nun ausgerechnet unter ihrer Regierungsverantwortung wirtschaftlicher Abschwung, demographische Implosion und der weltweite Umschwung unter dem Namen Globalisierung zusammenfallen, stellt sie vor Neuerungen, für die sie keinerlei theoretische Vorbildung und daher auch keine Bewältigungsmuster haben. Das alles überkommt sie wie eine Naturkatastrophe - und deshalb haben sie dagegen auch nur Rezepte, die von einem bis zum nächsten Dammbruch reichen. Das alles in der Hoffnung, die Flut möge sinken und der allgemeine weltwirtschaftliche Aufschwung ganz automatisch auch die deutsche Konjunktur wieder mitnehmen.

Der eigenen Konzeptionslosigkeit stehen nun aber die alten, die Konzepte der Mehrheit ihrer Mitglieder und insbesondere die ihrer früheren engsten Verbündeten gegen-über: Die "antikapitalistischen" Worthülsen des linken Partei- und Gewerkschaftsflügels, marxistischer Zirkel und intellektueller Sektierergruppen, mit denen Schröder, Fischer, Trittin und andere der rot-grünen Fraktionen früher kooperiert haben und woher sie ja selber gekommen sind. Die drohen nun mit Parteispaltung, vielleicht sogar mit der Gründung einer neuen Linkspartei gemeinsam mit der PDS und anderen marxistischen Splittergruppen. Vor allem macht der Koalition der zunehmende Widerstand aus den DGB-Gewerkschaften, insbesondere IG Metall und ver.di, zu schaffen. Diese dogmatischen Gruppen sind auch von einem Wortkünstler wie Schröder nicht zu überzeugen. Und ob der Unteroffizierston von Franz Müntefering da mehr erreicht, muß die Zukunft erst zeigen. Schließlich haben wir ein Jahr mit noch einem Dutzend Wahlen vor uns, und da wird mit Kommandotönen nicht viel auszurichten sein.

Gelungene Inszenierung: Der SPD-Parteitag war unter Aspekten der Regie, Darstellung und Wirkung auf das Publikum erfolgreich. Foto: vario-press

 
     
     
 
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