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Was sich zur Zeit in Berlin-Mitte abspielt, ist mehr als eine Hauptstadtposse, es geht um Geschichtspolitik. Alexandra Hildebrandt, 43, die Witwe des langjährigen Leiters des Mauermuseums am Checkpoint Charlie, Rainer Hildebrandt, hat an der Kreuzung Ecke Friedrichstraße/ Zimmer- straße eine Brachfläche gepachtet. Hier, in der Nähe des früheren Grenzübergangs "Checkpoint Charlie" stehen seit dem 31. Oktober 120 Originalsegmente der Mauer und 1.065 Holzkreuze - eines für jeden Grenz- und Mauertoten. Das Projekt sorgt parteiübergreifend für Aufregung, Hildebrandt hat in ein Wespennest gestochen.
Die Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) kritisierte, die Anordnung der Kreuze würde an das Holocaust-Denkmal erinnern. Sie drohte sogar mit gerichtlichen Schritten, sollte das Gelände nicht termingerecht zum Jahresende wieder geräumt werden. Von Runge-Meyer ist nicht bekannt, daß sie sich je Gedanken gemacht hat, wie man die Teilung Berlins und die Mauertoten im öffentlichen Raum thematisieren soll. Die Heftigkeit ihrer Reaktion zeigt, daß ihr die ganze Richtung nicht paßt. Gleiches trifft auf Kultursenator Thomas Flierl (PDS) zu. Öffentlich bemängelte er aber nur die private und "kommerzielle" Aneignung des Themas, was aber im Gegensatz zu seiner Vision einer "Bürgergesellschaft" steht, wo privates Engagement den klammen Staat entlasten soll. Berlins CDU-Vorsitzendem Joachim Zeller, der auch Bezirksbürgermeister von Berlin-Mitte ist, fiel ebenfalls nichts besseres ein, als die Ausschlachtung historischer Orte für private Zwecke zu monieren. Immerhin mahnt er ein Mauer-Gedenk-Konzept an. Diesen Kritikern hält Alexandra Hildebrandt entgegen: "Die, die gar nichts tun, sollen gefälligst schweigen."
Recht hat sie! Die Unlust, sich mit dem Mauer-Thema zu beschäftigten, ist in Berlin mit Händen zu greifen. Sehr zum Erstaunen der ausländischen Besucher, die nach Überresten jenes Bauwerks suchen, das 28 Jahre lang das Symbol des Kalten Krieges war. Die Gedenkkreuze für die Mauertoten am Reichstag wurden bei der Neugestaltung des Parlaments entfernt, einige davon an das Absperrgitter am Ufer des Spreebogens angebracht, aber so, daß man sie nur von der Wasserseite aus identifizieren kann. Hilde-brandts Privatmuseum am "Checkpoint Charlie" kann das Defizit nicht füllen. Die Gestaltung ist chaotisch, der Eintritt teuer (9,50 Euro). Andererseits ist zu bedenken, daß es sich selbst finanzieren muß.
Zwar gibt es noch einige weitere Gedenkorte für die Opfer der SED-Diktatur. In der Zimmerstraße steht eine Gedenkstele für Peter Fechter, der 1962 an der Mauer verblutet war. Ein Mauer-Museum gibt es in der Bernauer Straße. Hier wurde auch ein Stück Grenz- und Hinterlandmauer wiedererrichtet. Allerdings wirkt das Objekt viel zu gekünstelt, um den Schrecken zu vermitteln, den die Mauer auslöste. Im Invalidenpark, nahe beim Bundeswirtschaftsministerium, steht seit 1997 eine "Sinkende Mauer", die sieben Meter hoch aus einem Wasserbecken hervorragt und über eine Steg begehbar ist. An ihr fließt Wasser herab. Manchmal wird das Wasser abgestellt. Dann machen sich Graffitimaler zu schaffen, und man kann sich wie auf einer Müllkippe fühlen. An der Bornholmer Straße, wo am 9. November 1989 die ersten Bilder vom massenhaften Grenzübertritt entstanden, existiert ein kleiner Gedenkstein. Es gibt noch mehr Beispiele, die alle eines gemeinsam haben: Sie liegen weitab des großen Publikumsverkehrs oder sie sind auffällig unauffällig.
Hildebrandt möchte das Gelände, auf dem sich die Holzkreuze befinden, kaufen, um Platz für eine Dauerpräsentation zu haben. Ihr Argument klingt bekannt: Sie will gegen die Verharmlosung der Geschichte protestieren! Ungewohnt ist nur, daß es hier um die rote statt um die braune Diktatur geht. Das schmeckt dem Wowereit-Senat offenbar ganz und gar nicht.
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