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Rückgabe war politisch nicht gewollt

 
     
 
Besteht nach Ihrer Auffassung ein Zusammenhang zwischen dem Bundesverfassungsgerichtsurteil vom Oktober und der bevorstehenden Entscheidung vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte?

Schmidt-Jortzig: Sicherlich versucht man eine gewisse Einflußnahme. Es könnte aber sein, daß alle Äußerungen von deutscher Seite, sprich diejenigen vom Bundesverfassungsgericht
und von Regierungsvertretern, durchaus das Gegenteil in Straßburg bewirken.

Der Völkerrechtsexperte Prof. Karl Doehring sagt, eine Rückgabe müsse aus völkerrechtlicher Sicht immer erfolgen und wenn sie bisher nicht erfolgt sei, so habe man damit gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstoßen ...

Schmidt-Jortzig: Ich befürchte, daß dies in Straßburg nicht ganz so eindeutig gesehen wird. Die Konvention ist ja in Sachen Eigentum eher karg und nur begrenzt ergiebig mit seinem Eigentumsschutz im Zusatzprotokoll. Erst die Rechtsprechung hat daraus etwas mehr gemacht. Es wird in Straßburg aus völkerrechtlicher Sicht zu beurteilen sein, ob der Staat unstrittige Menschenrechtsverletzungen auszugleichen hat, und dies geht nur durch Restitution. Aber das müßte aus meiner Sicht mit Hilfe des Allgemeinen Völkerrechts passieren. Und da glaube ich allerdings nicht, daß die Straßburger Richter sich sehr vom Karlsruher Spruch beeindrucken lassen. Die Karlsruher Vorstellung von einer "Annäherung ans Völkerrecht" mag man gewiß nur in bestimmten Ausnahmesituationen akzeptieren, wenn es einen unverhältnismäßig großen Aufwand erforderte, den völkerrechtsgemäßen Zustand herzustellen. Aber das ist in diesem Fall ja überhaupt nicht so.

Wie vermuten Sie, wird Straßburg konkret entscheiden?

Schmidt-Jortzig: Ich vermute, daß die Entscheidung bezüglich der Neusiedlererben zu Lasten der Bundesrepublik ausgeht. Und dann wäre daraus ja schon mal einiges Grundsätzliche in der Urteilsbegründung zu erwarten.

Ich glaube zweitens, rein gefühlsmäßig, daß man sich bei der zweiten anstehenden Entscheidung irgendwie herausmogeln und kein obsiegendes Urteil aussprechen wird. Obwohl auch dann sicher noch einiges in der Begründung enthalten wäre, mit dem erneut Bewegung in die Politik kommen könnte. Eine große Anfrage, die dann zu einer Parlamentsdebatte führen könnte, würde aber wohl nur kommen, wenn der Tenor in Straßburg so formuliert wäre: "Die Bundesrepublik hat gegen die Menschenrechtskonvention verstoßen. Ihr wird aufgegeben, die Folgen jetzt neu zu regeln."

Heißt das, daß nur ein deutlicher Urteilsspruch aus Straßburg das Thema wieder auf die politische Agenda bringen könnte, weil doch niemand zwischen den Zeilen liest?

Schmidt-Jortzig: Nicht unbedingt, denn zwischen den Zeilen zu lesen würde vielleicht den Weg über das Europäische Parlament eröffnen. Innerhalb der EU steht die Bundesrepublik in der Frage der Rückgabepraxis ziemlich isoliert da. Nehmen wir das Beispiel des künftigen Mitglieds Rumänien. Auch dort wurden die seinerzeitigen Enteignungen rückgängig gemacht, wie auch in anderen ehemaligen Ostblockländern, nehmen Sie etwa Tschechien oder Bulgarien. Hier besteht also durchaus eine Möglichkeit, Druck auf Deutschland auszuüben, seine isolierte Haltung endlich aufzugeben. Das halte ich für ein Politikum, wo man ansetzen könnte.

Warum verweigert sich auch die heutige Politikergeneration der Einsicht, daß hier politische Fehler gemacht wurden?

Schmidt-Jortzig: Bei den Abgeordneten aus den Neuen Bundesländern und vielleicht auch bei den Sozialdemokraten tendenziell ist das aus meiner Sicht unerklärliche Faktum feststellbar, das die Frage der Nicht- antastung der sogenannten Enteignungen im Zuge der Bodenreform zur Identitätsfrage geworden ist. Hier läßt man sich auf keinerlei Argumentation ein, sondern reagiert sofort mit Abwehr, wenn daran gerührt wird.

Aber hat nicht Gorbatschow deutlich erklärt, daß es eine sowjetische Vorbedingung zur Wiedervereinigung nie gegeben hat?

Schmidt-Jortzig: Hier wird die derzeit dominante Position einfach nicht hinterfragt. Bei den jüngeren Abgeordneten vermute ich, daß es nicht durch ihr dickes politisches Fell durchdringt, daß hier eine eklatante Rechtswidrigkeit als Selbstverständlichkeit hingenommen wird. Ich könnte mir vorstellen, wenn es gelingen sollte, durch dieses dicke Fell durchzukommen und irgendeinen neuen Abgeordneten davon zu überzeugen, daß hier eine katastrophale Ungerechtigkeit besteht, dann könnte sich etwas entwickeln. Aber Politiker reagieren leider oft erst, wenn etwas durch die Presse skandalisiert wird. Als Frau Paffrath ihr Buch präsentierte, gab es solche Aufgeregtheiten, aber inzwischen ist es wieder ruhig geworden. Diese mediale Reizschwelle der Politiker ist in Berlin noch höher als früher in Bonn.

Es geht um Grundrechte, die in der Verfassung garantiert sind, um Artikel 143 Grundgesetz, der vielleicht revidiert werden müßte, wenn man die Dinge neu bewerten würde - das alles ist doch nicht irrelevant...

Schmidt-Jortzig: Juristisch ist die Frage der sowjetischen Bedingung wenig bedeutsam, weil im geschriebenen Text der Gemeinsamen Erklärung nirgends etwas von einem "Restitutionsverbot" steht, da steht vielmehr "Revisionsverbot" drin. Die Sowjetunion wollte unterbinden, daß die alten Verfahren noch einmal aufgerollt, sprich revidiert werden. Darüber besteht kein Streit, das sagt neuerdings auch in schöner Offenheit das Bundesverfassungsgericht in seiner letzten Entscheidung zu den völkerrechtlichen Fragen. Nach den geltenden Texten war Restitution nie verboten, im Gegenteil: Sie war politisch machbar. Allein der politische Wille hierzu war nicht vorhanden. Und auch heute wäre der Weg noch offen, nichts hindert die Politiker daran. "Ausgleichsleistungen" heißt es im maßgeblichen Text, sind vorgesehen, und das ist nun mal ein Oberbegriff für vieles, was man sich als Wiedergutmachung vorstellen kann: Schadensersatz, Aufwendungserstattung, Entschädigung und auch Naturalrestitution. Das sieht auch das Bundesverfassungsgericht so.

Wenn wir ein nicht nur zwischen den Zeilen positives Urteil in dieser Frage aus Straßburg annehmen: Welche politischen und juristischen Lösungen halten Sie für denkbar?

Schmidt-Jortzig: Da ist wirklich alles denkbar. Außer, daß sich der bestehende Zustand noch verschlechtert. Interessant in diesem Zusammenhang ist der vor einiger Zeit erschienene Rechenschaftsbericht der Bodenverwertungs und -verwaltungs GmbH (BVVG), die mit ihrer bisherigen Verkaufspolitik unter dem Motto: "Verkaufen ja, aber um Himmels willen nicht an die Alteigentümer" unter dem Strich nicht einen müden Euro erwirtschaftet hat. Allein die Verwaltungskosten verschlingen Unsummen. Und die Blütenträume der Anfangszeit, wonach vielleicht finanzstarke Millionäre aus aller Welt auftauchen, um in den Neuen Ländern zu investieren, sind ausgeträumt.

Rückgabe würde den Haushalt entlasten nnd damit neue Möglichkeiten für diejenigen schaffen, die nach wie vor in den Neuen Bundesländern investieren würden, wenn sie ihren Besitz zurückerlangten. Es wundert mich ohnehin, warum dieser wirtschaftliche Aspekt des möglichen Aufschwunges in den Neuen Bundesländern durch Rückgabe bisher nicht thematisiert worden ist.

Generell besteht eine Schwierigkeit der aktuellen Klägergruppe in Straßburg darin, daß sie sich aus zwei unterschiedlichen Interessenlagern zusammensetzt. Da ist eine Gruppe, die vor allem bessere Entschädigungen will, und die andere, die sagt, wenn irgendwie möglich, wollen wir unser Eigentum in Natura zurückerhalten, wir lassen uns nicht auf Entschädigungen ein. Hier sollte man besser eine einheitliche Linie verfolgen und in jedem Fall auf Rückgabe bestehen, wo dies möglich ist. Nur wenn man den Besitz nicht zurückerhalten kann, weil sich darauf inzwischen andere geschützte Eigentümer befinden, sollte man Entschädigung erwägen. Manche Kläger sind nach meinem Gerechtigkeitsempfinden zu schnell bereit, sich mit Entschädigungen abzufinden. Wobei ich Erben der jüngeren Generation verstehen kann, die vielleicht nicht selbst in die Heimat ihrer Vorfahren zurückkehren wollen. Aber auch diese Gruppe könnte auf Rückgabe bestehen und dann verkaufen oder verpachten.

Was die politischen Lösungen angeht, so müßten sie in erster Linie vom Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages initiiert werden. Ein Gesetzesentwurf müßte entweder von der Bundesregierung selbst oder von Rechtspolitikern aus dem Parlament erarbeitet werden. Federführend dürfte dabei das Justizministerium sein, übrigens im Unterschied zur Vereinigungszeit, wo das Finanzministerium die Verhandlungsführung mit übernommen hatte, wie Frau Paffrath richtig herausgearbeitet hat.

Die Fragen stellten Beatrix Herzogin von Oldenburg und Sven von Storch.

 

Prof. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, MdB: Mitglied der Bundesregierung von 1996 bis 1998
 
     
     
 
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