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Als Ernst Reuter einst die "Völker der Welt" aufrief, "auf diese Stadt" zu schauen, konnten die Berliner stolz auf sich sein: Tapfer strotzten sie der Blockade, mit der Stalin die Westsektoren aushungern und dem kommunistischen Machtbereich einverleiben wollte. Wenn heute, 50 Jahre nach Reuters Tod, "die Völker der Welt" erneut auf diese Stadt schauen, gibt es weniger Grund zum Stolz, eher zur Scham.
Dem damaligen Bürgermeister, der zu den bedeutendsten Figuren in der Geschichte der deutschen Sozialdemokratie zählt, wird nämlich ausgerechnet von den eigenen Parteigenossen die längst überfällig e Ehrenbürgerwürde verweigert. Die mehr als fadenscheinige Begründung: Die Ehrung werde grundsätzlich nicht posthum vergeben.
In anderen Fällen nimmt es der rot-rote Senat allerdings mit den Grundsätzen nicht ganz so genau. Filmdiva Marlene Dietrich zum Beispiel durfte posthum Ehrenbürgerin werden - offenbar entsprach sie, im Gegensatz zu Reuter, den politisch korrekten Kriterien von SPD und PDS. Selbst Generaloberst Bersarin, der sich anno 1945 als sowjetischer Stadtkommandant auf höchst zweifelhafte Weise um Berlin "verdient" gemacht hatte, wurde auf Betreiben der SED-Nachfahren als Ehrenbürger reaktiviert; 1992 hatte der Senat ihm die vom Honecker-Regime überkommene "Würde" aberkannt. Daß Bersarin bereits 1945 bei einem Motorradunfall ums Leben gekommen war, spielte weder bei der ersten noch bei der zweiten Ehrung eine Rolle.
Es gab weitere Ausnahmen, beispielsweise Heinrich Zille. Warum Berlins SPD sich jetzt hinter Richtlinien verschanzt, die sie sonst nicht so ganz ernst nimmt, ist nicht nachvollziehbar. Zumal es ja durchaus möglich wäre, eine Richtlinie, die sich als unpraktikabel erwiesen hat, zu ändern (man will doch so "reformfreudig" sein!).
Nein, hier wird der politische und menschliche Anstand geopfert auf dem Altar des Machterhalts einer Koalition, die längst total abgewirtschaftet hat. Für Ernst Reuter ist es letztlich eine Ehre, von diesem Senat nicht geehrt zu werden. |
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