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Im vergangenen Monat benoteten die Deutschen die Arbeit der schwarz-roten Koalition auf einer Skala von minus fünf bis plus fünf erstmals negativ mit minus 0,4. Nach dem gewaltigen Vertrauensvorschuß, den die Regierung Merkel-Müntefering noch Anfang des Jahres genossen hatte, ein beispielloser Abstieg, den nicht einmal die Fußballmeisterschaft stoppen konnte. In anderen Zeiten verhalf ein die ganze Nation erhebendes Ereignis wie die WM auch der Regierung stets zu etwas Auftrieb. Diesmal passierte nichts, im Gegenteil: Als Schwarz und Rot mit ihrer verhagelten Gesundheitsreform mitten in die Schlußeuphorie stolperten, richtete sich der Unmut nur um so heftiger gegen sie. Statt die Deutschen milde zu stimmen, erschien ihnen die glücklose Flickschuster ei in Berlin vor dem Hintergrund des strahlenden Deutschlandbildes in aller Welt nur um so elender: Das Volk kann es, die Regierung kann es nicht, so der Eindruck.
Nach den drei Jahren der ersten Großen Koalition fuhren Union und SPD 1969 zusammen rund 90 Prozent der Stimmen ein. Heute sehen sie manche Umfragen beide gemeinsam bei nur noch gut 60 Prozent - ein Ergebnis, das bei mancher Landtagswahl in besseren Zeiten eine der Volksparteien alleine eingefahren hat.
Auch mit der vorübergehenden Erholung der Mitgliederzahlen um die Jahreswende 2005/2006 ist es vorbei: Allein die CSU vermag noch wacker, rund 170000 Parteifreunde um sich zu scharen. CDU und SPD bewegen sich hingegen jeweils auf eine halbe Million Mitglieder zu. Für die Sozialdemokraten wäre das gegenüber ihren glücklichsten Tagen, als Willy Brandt Kanzler war, glatt eine Halbierung. Die CDU zählte in ihrer Blütezeit kurz nach der Regierungsübernahme durch Helmut Kohl 735000 Mitglieder. Und für beide gilt zudem, daß die damaligen Spitzenwerte natürlich nur im alten Bundesgebiet erzielt worden waren. Die ganze Wahrheit des Niedergangs käme erst ans Licht, wenn man die Mitgliederzahlen der Landsverbände in den Neuen Bundesländern statistisch abzöge.
Die Deutschen quält indes ein anderes Problem: Sie wissen nicht wohin, sehen keine aussichtsreiche, überzeugende Alternative zu Schwarz-Rot. Die drei kleinen Oppositionsparteien im Reichstag erzielen zusammen bei Umfragen bestenfalls ein Drittel der Stimmen. So glaubten laut "Forschungsgruppe Wahlen" im Juli immerhin noch 67 Prozent, daß die derzeitige Koalition bis 2009 durchhalten werde, obwohl nur noch 38 Prozent das Verhältnis der Koalitionspartner für gut hielten, im Juni waren dies noch 54 von 100.
Es braut sich eine riskante Mischung aus Regierungsverdruß und dem Gefühl der Alternativlosigkeit zusammen, die den Keim von Fatalismus in sich trägt. Daß die Regierungspolitik dazu den Eindruck erweckt, sich mehr um "Koalitionsbalance" zu kümmern als die tatsächlichen Aufgaben konsequent anzugehen, verschärft diese Stimmungslage noch.
Bundespräsident Horst Köhler hat die Gefahr gewittert. Was, wenn sich bei den Deutschen die Meinung festsetzt, es sei ganz egal, wen oder was sie wählen, weil sowieso immer die gleichen und das gleiche dabei herauskommt? Seine harsche Kritik an den Versäumnissen der Koalition soll den Bürgern den Glauben an die Funktionsfähigkeit der bundesrepublikanischen Demokratie erhalten: Selbst wenn die Parteien durchweg versagen, hält unser System noch immer eine Instanz bereit, die mutig eingreift im Interesse des Volkes - und wenn es das Staatsoberhaupt selbst ist, das sich sonst eher aufs Repräsentieren beschränkt hatte.
Die Erosion der großen Volksparteien wird das kaum aufhalten. Der Warnruf von SPD-Chef Kurt Beck, Schwarz wie Rot könnten 2009 ein gemeinsames Fiasko erleben, war Ausdruck einer durchaus ernstgemeinten Sorge. Der "Stern"-Kolumnist Hans-Ulrich Jörges, der sich jahrelang als besonders harter Kritiker von Rot-Grün hervorgetan hatte, rief noch am Wahlabend im September 2005 dazu auf, eine kommende Große Koalition nun nach Kräften zu unterstützen. Schwarz-Rot sei die "letzte" Option, die das bundesdeutsche Parteiensystem noch zu bieten habe. Wenn die scheitere, kämen die "Allerletzten". Er ließ offen, wen oder was er damit gemeint hat.
Erschöpfung bei Schwarz-Rot und Ärger mit dem Stimmvieh
Tief Luft holen müsse die Große Koalition in der Sommerpause, so der CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer gegenüber der "Berliner Zeitung", da in den nächsten Monaten schwere Entscheidungen anstünden. Ramsauer deutete aber nicht nur an, daß Schwarz-Rot das Ringen um die Ausformulierung der Gesundheitsreform und weitere Hartz-IV-Korrekturen schwerfallen würde. Er sprach auch von "temporären Erschöpfungszuständen" beim Regierungspersonal. Dabei scheint vor allem der so hart zwischen Rot und Schwarz vor der Sommerpause erkämpfte Gesundheitskompromiß noch gar nicht ausgegoren. Immer mehr Widerstände regen sich - auch aus den eigenen Reihen. Vor diesen warnt Ramsauer. Schließlich würden die Spitzengremien nicht alleine entscheiden. In den nächsten Monaten müßten CDU, CSU und SPD ihre Fraktionen, die Parteigremien und die Ministerpräsidenten überzeugen. Sonst drohe die Gefahr, daß die Fraktionen sich zum reinen Stimmvieh degradiert sähen - ein Gefühl, daß laut Umfragen sich inzwischen schon bei den Wählern eingestellt hat. |
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